23.11.2023 13:13 Uhr

Künstler oder Arbeiter? Richtungsstreit um DFB-Auswahl

Auch unter Julian Nagelsmann spielt die DFB-Elf Stotterfußball
Auch unter Julian Nagelsmann spielt die DFB-Elf Stotterfußball

Künstler oder Arbeiter? Nach der Blamage von Wien ist rund um die Nationalmannschaft ein Richtungsstreit entbrannt.

Joachim Löw leidet. Kratzen, beißen, kämpfen - dieser Art von Fußball kann der Feingeist nichts abgewinnen. "Ich kann es nicht mehr hören, wenn Trainer und sogenannte Experten immer mit den deutschen Tugenden ankommen", sagte der Weltmeister-Coach von 2014 zuletzt im Spielmacher Podcast von 360Media und legte sich fest: "Wenn jemand denkt, mit deutschen Tugenden könnte man heute Spiele gewinnen, täuscht er sich gewaltig. Für die DFB-Teams und die Bundesligisten gilt es, durch spielerische Akzente die Partien zu gewinnen."

Doch das ist das Problem. Die Nationalmannschaft gewinnt seit fünf Jahren viel zu selten Spiele - bei Turnieren ohnehin nicht mehr. Das war unter Löw so und änderte sich nicht unter Hansi Flick. Auch die Hoffnung, Julian Nagelsmann könne das havarierte Flaggschiff des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) schnell wieder auf Kurs bringen, hat sich nach den alarmierenden Niederlagen gegen die Türkei (2:3) und in Österreich (0:2) zerschlagen. Seit der Blamage im Erst-Happel-Stadion ist vielmehr ein Richtungsstreit entbrannt. Knapp sieben Monate vor der Heim-EM lautet die Frage: Was benötigt das DFB-Team. Künstler oder Arbeiter?

Löw beschwört "taktische und technische Fortschritte". Diese habe man zuletzt "versäumt". Grundsätzlich trifft er damit auch den Nerv Nagelsmanns. Doch den Bundestrainer haben die besorgniserregenden Auftritte in Berlin und Wien ins Grübeln gebracht. Vielleicht, so Nagelsmann, müsse man "auf zwei Prozentpunkte Talent verzichten und zwei mehr 'Worker' reinwerfen". Denn der 36-Jährige ist sich sicher, dass seine Mannschaft bis zur EURO nicht mehr zu einem "Verteidigungsmonster" werde.

Warum eigentlich nicht? Für Jürgen Kohler ist es "zu wenig zu sagen, wir haben keine Verteidigungsmonster". Dann müsse man das eben üben, schreib der Weltmeister von 1990 im kicker und kam zu dem Schluss: "Verteidigen ist leichter zu lernen als Kreativität."

Für die DFB-Auswahl offensichtlich nicht. In den vergangenen zehn Spielen hagelte es 22 Gegentore. Bei einem großen Turnier stand die Null letztmals im EM-Achtelfinale 2016 gegen die Slowakei (3:0). "Jetzt geht es um Struktur und Stabilität im Zentrum und darum, Zweikämpfe zu gewinnen. Wir wurden 1996 nicht ohne Grund mit Dieter Eilts und Steffen Freund Europameister", sagte Fredi Bobic und brachte als Kandidaten "Robert Andrich und Rani Khedira" ins Spiel.

DFB-Elf: "Keiner weiß so richtig, woran er ist"

Bis zu den Länderspielen im März muss Nagelsmann bei Taktik und Personal wichtige und richtige Entscheidungen treffen. "Spieler wollen und brauchen Klarheit, aber wer weiß denn überhaupt, dass er in dieser Mannschaft gesetzt ist? Keiner weiß so richtig, woran er ist", kritisierte Rekordnationalspieler Lothar Matthäus in seiner Sky-Kolumne und forderte: "Nagelsmann muss sich langsam auf einen Kern-Kader sowie auf ein System festlegen." Dazu könnte auch eine Rückversetzung von Joshua Kimmich auf die Problemposition hinten rechts gehören. "Dort", betonte Bobic, "ist er am wertvollsten".

Rudi Völler will den Hebel in Sachen Einstellung ansetzen. "Wir müssen die fünf bis zehn Prozent an Leidenschaft, an Energie, an Dynamik in das Spiel bringen", sagte der DFB-Sportdirektor. In diesem Zusammenhang sprach er auch von "deutschen Tugenden". Zum Unmut von Joachim Löw.

Online-Wettanbieter: bet365 | Interwetten | sportingbet | Tipico Sportwetten