11.03.2020 16:30 Uhr

Dortmunds Dilemma mit Can und Brandt

Konkurrenten im Mittelfeld des BVB: Emre Can (l.) und Julian Brandt
Konkurrenten im Mittelfeld des BVB: Emre Can (l.) und Julian Brandt

Emre Can oder Julian Brandt? Vor dem Rückspiel im Champions-League-Achtelfinale bei Paris Saint-Germain am Mittwoch (21:00 Uhr im Live-Ticker) sieht es so aus, als könne mittelfristig nur einer der beiden Nationalspieler fester Bestandteil des Mittelfeldzentrums von Borussia Dortmund sein. Für Brandt brechen beim BVB deswegen schwere Zeiten an.

Wenn Emre Can sich wieder einmal furchtlos in einen Zweikampf geworfen und dem Gegenspieler im Idealfall den Ball vom Fuß gegrätscht hat, steht der Neuzugang des BVB manchmal auf und peitscht die Fans an.

Can, ein klassischer Vertreter der Spezies "Mentalitätsspieler", sieht das als seine Aufgabe an. Schon als Kind habe er auf dem Bolzplatz gegrätscht "bis die Knie schlimm aussahen", erinnerte er sich in einem aktuellen "kicker"-Interview.

Die Dortmunder Anhänger schätzen Can wegen seiner Art sehr. Und das, obwohl der 26-Jährige erst vor etwas mehr als zwei Monaten von Juventus Turin ins Ruhrgebiet gewechselt ist.

In Paris wird Can seine Fähigkeiten als Einheizer für die Fans zwar nicht demonstrieren können. Das Spiel im traditionsreichen Prinzenpark findet ohne Zuschauer statt. Die Coronavirus-Epidemie hat auch die Fußball-Königsklasse fest im Griff.

Emre Can begeistert Mitspieler und Experten

Mitreißen soll Can aber seine Mitspieler, wenn es gegen das vom früheren BVB-Coach Thomas Tuchel trainierte Pariser Star-Ensemble um den Einzug ins Champions-League-Viertelfinale geht. Auch das gehört zu den Kernkompetenzen des ehemaligen Münchners und Liverpoolers.

Can strahle "richtig was aus", lobte Mats Hummels den neuen Kollegen nach dem Hinspiel gegen PSG. "Er geht jetzt schon voran. Er ist einfach ein Gewinner."

Für Lothar Matthäus ist Can beim BVB "der aggressive Leader, der bisher gefehlt hat", wie der Rekordnationalspieler in einem "WAZ"-Interview erklärte.

Kein Platz für Julian Brandt im BVB-Zentrum

Was Julian Brandt von den Lobeshymnen für Can hält, ist nicht überliefert. Klar ist aber: Für den ehemaligen Leverkusener ist die Luft auf seiner Lieblingsposition im zentralen Mittelfeld seit der Ankunft des Nationalmannschaftskollegen deutlich dünner geworden.

Viermal stand Can bisher in der Startelf der Borussia. In zwei dieser Partien begann auch Brandt. Platz auf der "Acht" war für ihn nicht.

Stattdessen musste der 23-Jährige jeweils eine Position nach vorn rücken, auf die "Zehn", die derzeit wegen der langwierigen Muskelverletzung von Kapitän Marco Reus vakant ist. Dazu gehörte auch, immer wieder auf die Flügel auszuweichen und dadurch Angriffe einzuleiten.

Brandt zeigte dabei allenfalls durchschnittliche Leistungen, obwohl der BVB gegen den SC Freiburg (1:0) und bei Borussia Mönchengladbach (2:1) Siege einfuhr. Argumente für eine personelle Neubesetzung der Zentrale, in der neben Can weiterhin Axel Witsel eine feste Größe ist, sammelte Brandt nicht.

Witsel lobt Can: "Er gibt uns eine bessere Balance"

Auch wenn in Gladbach die in den vorangegangenen Partien für Dortmunder Verhältnisse extrem sattelfeste Hintermannschaft nicht ohne Probleme blieb: Seit Can das Kommando in der Spielfeldmitte übernommen hat, sind die Debatten um die Anfälligkeit der BVB-Defensive nahezu verstummt.

Dass die Schwarz-Gelben mit dem gebürtigen Frankfurter in der ersten Elf erst zwei Pflichtspiel-Gegentreffer kassierten, kommt nicht von ungefähr. "Er gibt uns eine bessere Balance", sagte Witsel über Can. Und: "Emre hat bislang einen tollen Job gemacht - wir zusammen in der Mitte."

Denn auch der Belgier profitiert enorm von seinem neuen kongenialen Nebenmann. "Mit ihm ist meine Rolle etwas anders, denn ich kann jetzt offensiver denken. Ich würde nicht sagen, dass ich freier bin und überall hingehen kann. Aber ich weiß, dass wenn ich gehe, er da ist und absichert", schwärmte Witsel im klubeigenen TV-Sender.

Vor Cans Verpflichtung war der WM-Dritte von 2018 mit Brandt an seiner Seite bei Ausflügen in die gegnerische Hälfte eher gehemmt - und musste häufig die Drecksarbeit vor der Abwehr verrichten. Eine Rolle, die dem brillanten Strategen Witsel nicht hundertprozentig liegt.

Brandt oder Can? Viele "Do-or-die-Spiele" für den BVB

Dementsprechend wackelte auch Dortmunds "Mr. Zuverlässig" in den wilden Spielen gegen zu Beginn der Rückrunde gegen den FC Augsburg (5:3), Bayer Leverkusen (3:4) oder Werder Bremen im DFB-Pokal (2:3) beträchtlich.

Can als Abfangjäger und Witsel als Ballverteiler - diese Kombination passt dagegen und erhöht nach Ansicht vieler Beobachter die Titelchancen des BVB signifikant.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Brandt, der in den Wochen vor Weihnachten gemessen an seinen persönlichen Leistungen zu den herausragenden Akteuren beim BVB zählte, vor diesem Hintergrund zeitnah weitere Bewährungschancen im Zentrum bekommt, tendiert gegen Null. Zumindest, wenn die beiden Platzhirsche gesund bleiben.

Zu wichtig ist im Schlussspurt der Saison jede einzelne Partie für den BVB, der sich sowohl im K.o.-Modus der Königsklasse als auch im engen Kampf um den Titel in der Bundesliga keine Ausrutscher mehr erlauben darf.

Die Dortmunder "Do-or-die-Spiel" beginnen schon in Paris, wo Emre Can zwar nicht die Fans, aber zumindest die anderen BVB-Profis mitreißen soll - und Brandt wohl eher nur auf der ungeliebten Zehnerposition auflaufen darf.

Tobias Knoop

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