19.06.2016 17:25 Uhr

Koller: "Nicht von Vergangenheit leben"

Marcel Koller hat bereits das Island-Spiel im Kopf
Marcel Koller hat bereits das Island-Spiel im Kopf

Marcel Koller wurde am Tag nach der Nullnummer gegen Portugal in seiner Analyse ungewohnt deutlich. Der ÖFB-Teamchef erschien am Sonntagnachmittag gemeinsam mit Torhüter Robert Almer zur Pressekonferenz in Mallemort. Während der Held des torlosen Remis gegen die Portugiesen sympathisch durch "understatement" seiner Glanzleistung auffiel, fand der Cheftrainer klare Worte.

Die Reise nach Paris ging für die Nationalmannschaft erst am Sonntag um 5:30 Uhr früh mit der Rückkehr ins Teamhotel zu Ende. Der späte Anpfiff im Parc des Princes am Vorabend um 21:00 Uhr sowie die anschließende Dopingkontrolle, ein Besuch samt Essen in der ÖFB-Botschaft, eine halbe Stunde Verspätung bei der Betankung auf dem Flughafen Charles de Gaulle und der anschließende Transfer von Avignon zurück nach Mallemort hatten ihre Spuren hinterlassen.

Beim "Aufstiegsfinale" gegen Island am Mittwoch (ab 18:00 Uhr im weltfussball-Liveticker) im Stade de France von Saint-Denis wird man sehen, ob die erneute Rückreise in die Provence wirklich die beste Lösung war. Ein Verbleib in der französischen Hauptstadt hätte früher erholsamen Schlaf ermöglicht und die Strapazen wesentlich reduziert. So muss die Regeneration für den Pflichtsieg bei erneut wesentlich wärmeren Temperaturen im Süden erfolgen.

Selbst Marcel Koller, der nicht gespielt sondern "nur" in seiner Coaching Zone mitgelebt hatte, wirkte am "Tag danach" noch nicht ganz frisch. Sein Kopfkreisen kurz vor Beginn des Medientermins sprach Bände. Der Schweizer gestand, dass er "noch ein paar Minuten des Portugal-Spiels im Flieger gesehen hat, dann aber zu müde war um konzentriert weiter zu schauen."

Steigerung bei Aggressivität, Kompaktheit und mentaler Stärke

Der Teamchef sah von seiner Mannschaft gegen "starke Portugiesen" eine "Steigerung bei Aggressivität, Kompaktheit und mentaler Stärke. Die Spieler sind nach einer Niederlage zurückgekommen und haben leidenschaftlich gemeinsam verteidigt."

Koller warnte aber fast im gleichen Atemzug davor, die kommende Partie gegen Island auf die leichte Schulter zu nehmen. "Das ist ein Gegner, der sehr diszipliniert, zweikampfstark und kompakt auftritt. Es wird ein unangenehmes Spiel und nicht einfach drei Punkte zu machen."

Sein "Vertrauen" in seine Schützlinge ist aber immer noch da. Der Grund dafür? "Weil wir es können! Portugal ist seit 30 Jahren in der Weltspitze, wir sind vielleicht ein halbes Jahr dabei. Der ein oder andere Spieler muss sich erst an dieses Top-Level gewöhnen und wichtige Erfahrungen sammeln. Gegen Island werden wir aber Tore schießen müssen. Da brauchen wir nach vorne mehr Ruhe und Genauigkeit."

David Alaba soll sich keine Gedanken machen

Ruhe und Genauigkeit fehlten auch David Alaba. Der ÖFB-Coach nahm seinen Schlüsselspieler nach dessen schwacher Leistung gegen Portugal vom Platz und kommentierte dies so: "Er hat im vergangenen halben Jahr mit die meisten Spiele gemacht und war über 2.000 Minuten im Einsatz. Noch dazu spielt er bei uns eine andere Position."

"Aber ich werde mit ihm sprechen. Er braucht sich keine Gedanken und keinen Kopf machen. Er hat das drauf", weiß Koller um die Bedeutung von Alaba in der Entscheidungspartie gegen Island.

"Es geht nicht um Einzelschicksale"

Gegenüber der Auftaktpleite gegen Ungarn hatte es beim Portugal-Spiel gleich an fünf Positionen Änderungen gegeben. Für weltfussball ein Grund zur Nachfrage: Waren sie so unzufrieden mit der Leistung Herr Koller?

"Du kannst nicht von der Vergangenheit leben. Es geht nicht um Einzelschicksale, sondern wir versuchen erfolgreich zu sein. Auch wenn das für den ein oder anderen Spieler frustrierend oder nicht befriedigend ist. Wichtig ist die Leistung. Alles andere ist nicht entscheidend und hat keinen Einfluss", lautete die deutliche Antwort.

Nachholbedarf bei Präzision, Ruhe und Genauigkeit

Nachholbedarf sieht der Schweizer bei "Präzision, Ruhe und Genauigkeit": "Das Niveau hier ist sehr hoch. Wir müssen daran arbeiten, weil wir nicht konservieren können, was einmal war. Bei jedem Spiel gilt es von vorne zu beginnen, zu arbeiten und zu entwickeln, damit wir wieder dorthin kommen."

Dorthin. Zu den Leistungen der starken EM-Qualifikation mit dem ungeschlagenen Gruppensieg nach einem Remis und neun folgenden Siegen. "Aber jetzt gilt es hier aktuell zu entscheiden und die Mannschaft zusammen zu setzen. Wichtig ist die Psyche: Wer ist bereit? Es gibt hier kurze Abstände zwischen den einzelnen Spielen. Es herrscht beim Team eine offene Beziehung und man muss sich vertrauen können", so Koller.

Welches Vertrauen genießt dabei Marc Janko nach seiner Auswechslung gegen Ungarn und seiner Rolle als Ersatzspieler gegen Portugal? "Er hatte eine Muskelverletzung in Basel. Dadurch hat ihm der Spielrhythmus gefehlt. Den braucht er, um bei dem Turnier bestehen zu können. Dann ist leider auch noch die Nackenverletzung beim Team dazugekommen", beschrieb der ÖFB-Coach die Situation.

Aber nun sind Treffer gefordert. Ob der erfolgreichste Torschütze der EM-Qualifikation gegen Island jubeln darf, oder jemand anderer, ist nicht entscheidend. Sondern nur, dass ein Österreicher trifft. Oder wie es der Teamchef ausdrückt: "Wir haben noch die Chance weiter bei der EM dabei zu sein." Bei einem Sieg geht das Turnier für die rot-weiß-rote Auswahl weiter. Dann braucht man nicht in der Vergangenheit leben sondern in der Gegenwart und noch besser in der Zukunft.

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Christian Tragschitz, weltfussball.at aus Mallemort

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