15.10.2015 09:25 Uhr

Jorge Valdivia: Der chilenische Zauberer

Jorge Valdivia ist bei Chile nach wie vor Stammspieler
Jorge Valdivia ist bei Chile nach wie vor Stammspieler

Er spielte fast nie bei einem Topklub, wurde mehrfach aus der Nationalmannschaft suspendiert und hält selten über 90 Minuten durch: Chiles Spielmacher Valdivia

Die prestigeträchtige Nummer 10 in der derzeit besten Nationalmannschaft Südamerikas trägt kein Spieler des FC Barcelona oder Real Madrid. Die Nummer 10 von Chile ist bei Al Wahda in den Vereinigten Arabischen Emiraten unter Vertrag.

Jorge Valdivia ist zwar nicht mehr der Jüngste, als frischgebackener Sieger der Copa América wäre er aber auch mit knapp 32 Jahren durchaus in der Lage, auf höherem Niveau zu spielen. Allerdings muss man sich fragen, ob der offensive Mittelfeldspieler diese Ambitionen überhaupt hegt oder jemals hatte. Denn bereits mit 25 Jahren auf dem Zenit seiner Karriere, wechselte Valdivia nicht nach Europa, sondern zu Al-Ain in die Vereinigten Arabischen Emirate.

"Der Zauberer" schießt ins Leere

Damals spielte Valdivia bei Palmeiras São Paulo und verzauberte das Publikum mit seinen Kabinettstückchen. Seinen Spitznamen hatte er bereits aus seiner Heimat Chile mitgebracht: "El Mago" ("Der Zauberer"). Warmherzig adoptierten die Brasilianer den flinken Rechtsfuß und feierten "Maguinho" – wenn er denn spielte. Verletzungen und Sperren verhinderten meist, dass Valdivia über 25 Saisonspiele absolvierte.

So wie ihn die Palmeiras-Anhänger liebten, so hassten ihn die Gegner. Provokativ und mitunter arrogant, repräsentiert "el Mago" jenen Typ Bolzplatzspieler, den man nach dem dritten Beinschuss herzlich gern umtritt. Sein Markenzeichen war lange Zeit der "chute o vácuo" ("Schuss ins Leere"), bei dem Valdivia seinem Gegenspieler aus kurzer Distanz einen kräftigen Fernschuss vorgaukelt, das Schussbein ordentlich durchschwingt und das Ganze genussvoll wiederholt, wenn der Gegner aus dem Gleichgewicht taumelt.

Palmeiras und Petrodollars im Wechsel

Nach zwei Jahren holte Palmeiras den Publikumsliebling aus der arabischen Diaspora zurück und zahlte dafür eine der bis dato höchsten Ablösesummen der brasilianischen Liga. Von 2010 an spielte Valdivia erneut in Brasilien und ging mit dem Klub sogar in die zweite Liga, bevor er im Juni 2015 zu besagtem Klub Al Wahda nach Abu Dhabi wechselte.

Trotz des Niveaus auf Vereinsebene war Valdivia immer ein Kandidat für die chilenische Nationalmannschaft. Die Auswahltrainer Acosta, Bielsa, Borghi oder Sampaoli schienen magisch von ihm angezogen und verziehen ihm seine regelmäßigen Aussetzer. 2007 war er nach einem Trinkgelage bei einem Länderspiel in Venezuela für 20 Länderspiele gesperrt worden. Ebenso suspendierte man ihn und einige Mitspieler im Jahr 2011, da sie 45 Minuten verspätet und alkoholisiert von der Taufe einer Tochter von Valdivia ins Mannschaftshotel zurückgekehrt waren.

Trinkskandale in der Nationalmannschaft

Aber auch Sampaoli hielt an ihm fest, selbst als "der Zauberer" kurz nach seiner Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Brasilien über Twitter seinen Abschied aus der Nationalmannschaft ankündigte – nur um wenige Monate später sein drittes Comeback im Dress von "La Roja" zu feiern. Der argentinische Trainer Sampaoli sollte mit diesem erneuten Vertrauensbeweis Recht behalten, denn ohne herauszuragen war Valdivia ein wichtiges Puzzlestück beim historischen Gewinn der Copa América.

Valdivia fügt sich in Sampaolis vertikalen Powerfußball problemlos ein. Im Gegensatz zu seiner früheren Spielweise hält er den Ball weniger lang und spart sich provokative Tricks im direkten Zweikampf. Eher glänzt er durch das blitzschnelle Weiterleiten von Bällen in die Sturmspitze. Denn wie so häufig im heutigen Fußball kommen die spieleröffnenden Pässe auch im Spiel der Chilenen nicht zwingend von der Zehner-Position sondern eher aus dem zentralen oder defensiven Mittelfeld. Hier baut Valdivia auf die drei Bundesligaprofis Marcelo Díaz, Charles Aránguiz und Arturo Vidal, die ihm zudem jegliche Defensivarbeit vom Hals halten.

Fans in Chile lieben sein freches Auftreten

Außerdem ist Valdivia ein Charakter, wie ihn jede Mannschaft braucht und jeder Fan liebt. Sein freches Auftreten, seine Skandale und Undiszipliniertheiten sind bereits seit seiner Jugend bei Colo Colo sein Markenzeichen. Zuletzt wurde er bei Al Wahda gesperrt, weil er gegenüber den Zuschauern den Mittelfinger gestreckt hatte – laut seiner Aussage ein freundschaftlicher Gruß an einen Bekannten auf der Tribüne.

Nach dem letzten glanzvollen Auftritt der chilenischen Nationalmannschaft gegen Peru (4:3) bezeichnete er das peruanische Publikum als "ordinär". Zudem befeuerte "el Mago" die chilenisch-peruanische Rivalität, in dem er den von beiden Seiten als Nationalgetränk proklamierten Traubenschnaps Pisco als "definitiv chilenisch" ausgab. Die Chilenischen lieben solche Scharmützel und wenn er über diesen Schnaps nicht Bescheid weiß, wer dann?!

Mehr aus der Südamerika-Kolumne:
>> Mit frischen Kräften in die Eliminatorias
>> Weltklassekeeper in Südamerika? Nix da!
>> Chiles goldene Generation der "Flegel"

Für weltfussball berichtet aus Südamerika: Viktor Coco

Online-Wettanbieter: bet365 | Interwetten | sportingbet | Tipico Sportwetten