26.03.2015 10:15 Uhr

Chiles goldene Generation der "Flegel"

Arturo Vidal (r.) und Alexis Sánchez (M.) stehen für die erfolgreiche Generation des chilenischen Fußballs
Arturo Vidal (r.) und Alexis Sánchez (M.) stehen für die erfolgreiche Generation des chilenischen Fußballs

Chile spielte bereits unter Bielsa attraktiven Fußball, kam aber erst mit Sampaoli zu einer effizienteren Spielweise und internationaler Anerkennung. Dazu hat man der Generation "Flaite" die Flausen ausgetrieben. Die neue Südamerika-Kolumne.

Das Niveau der "kleineren" Nationalmannschaften Südamerikas ist zyklisch. Mal ist Uruguay härtester Verfolger von Brasilien oder Argentinien, mal Paraguay. Alle zwei bis vier Turniere verschiebt sich die Spielstärke und derzeit sind es Kolumbien und Chile, die mit den beiden "Großen" auf Augenhöhe sind.

In Chile spricht man häufig von der U20-Weltmeisterschaft 2007 in Kanada als Geburtsstunde dieser goldenen Generation um Alexis Sánchez und Arturo Vidal. Neben gutem Fußball gab es nach der Halbfinalniederlage gegen Argentinien damals aber auch eine Auseinandersetzung mit der Polizei. Die gesamte chilenische Mannschaft wurde vorläufig festgenommen. Es war die Geburtsstunde einer Generation hochtalentierter "Flaite".

Chilenische Jungs mit Flausen im Kopf

Als "Flaite" beschreibt man in Chile Jungs von der Straße, die kaum verständliches Spanisch brabbeln, ungebildet und unerzogen sind. Einige der heute erfolgreichsten Fußballer des Landes kommen wahrhaftig von ganz unten aus der ungleichen chilenischen Gesellschaft, andere sorgten bei Länderspielen immer wieder für Skandale auf Partys, mit Prostituierten oder zu viel Alkohol.

Es war wohl der in Südamerika hochangesehene Argentinier Marcelo Bielsa, dessen Persönlichkeit neben dem Platz einige Jungs zurechtweisen konnte. Auch sportlich gab es unter dem Offensivspezialisten eine große Entwicklung, die sein Landsmann Jorge Sampaoli fortsetzen konnte und die bei der WM mit dem unglücklichen Aus Chiles im Achtelfinale gegen Brasilien nur vorläufig gebremst wurde.

Zentimeter fehlten für die Sensation gegen Brasilien

Damals hatte das kleine Chile den großen Gastgeber an den Rand der Sensation gekämpft. Wenige Sekunden vor dem Abpfiff der Verlängerung knallte Mauricio Pinilla den Ball an die Latte und vergab die Chance auf den Siegtreffer. Eine Spielszene, die das ganze Land nie vergessen wird und die sich der Beinahe-Nationalheld nach dem Turnier auf den unteren Rücken tätowieren ließ.

Ebendieser Pinilla hat am vergangenen Wochenende seinen 37. Treffer in der Serie A erzielt und damit die Stürmerlegende Marcelo Salas als erfolgreichsten chilenischen Torjäger in Italien überholt.

Es ist ein weiteres Indiz für den endgültigen Generationenwechsel im chilenischen Fußball, denn erstmals seit den Zeiten von Marcelo Salas und Iván Zamorano sind Chilenen in den europäischen Topligen wichtige Protagonisten. Arturo Vidal ist seit Jahren Schlüsselspieler bei Juventus. Alexis Sánchez trifft regelmäßig in der Premier League für Arsenal. Und auch der Kapitän der Nationalmannschaft Claudio Bravo war der stille Held des letzten Clásicos zwischen Barcelona und Madrid, in dem er sich im Kasten von Barça mehrfach mit Glanzparaden auszeichnen konnte.

In Europa etablierte Topspieler fordern Brasilien

Es war für Bravo das 200. Ligaspiel in Spanien – ein beachtlicher Wert für einen südamerikanischen Torhüter in Europa. Ebenso erwähnenswert sind sicherlich Gary Medel von Inter und Matías Fernández von der ACF Fiorentina. Allesamt werden sie am kommenden Sonntag in London gegen Brasilien zum Freundschaftsspiel (ab 16:00 Uhr im weltfussball-Liveticker) antreten. Das Duell ist nicht nur eine Revanche für das Achtelfinalaus bei der WM, sondern auch ein Auszeichnung dafür, dass Chile im Konzert der Großen des Weltfußballs mitspielen kann.

Im Juni wird das schmale Land an der Pazifikküste Gastgeber der Copa América sein. Noch nie konnte "La Roja", so der Spitzname der Nationalmannschaft, die Kontinentalmeisterschaft gewinnen. Die sehr patriotischen 18 Millionen Chilenen ersehnen nichts mehr als einen Titelgewinn in der Heimat.

Es wäre an der Zeit, denn 2018 ist noch lang hin und in Russland wird man nicht wie in Brasilien auf die lautstarke Unterstützung von zigtausenden Fans zählen könnten. Es wäre aber auch verdient für eine Generation von Ausnahmefußballern vom Fuße der Anden, die im Laufe der Jahre gereift sind und den Sprung geschafft haben vom flegelhaften "Flaite" zu Überfliegern des südamerikanischen Fußballs.

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Für weltfussball berichtet aus Südamerika: Viktor Coco

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