19.03.2024 11:19 Uhr

Elf Kens im Barbie-Bus: Kulturkampf um das Nationaltrikot

Das neue Auswärtstrikot des DFB-Teams
Das neue Auswärtstrikot des DFB-Teams

Der Kulturkampf um das pink-lila Auswärtstrikot der deutschen Fußball-Nationalmannschaft tobt. Partner adidas feiert sich für einen Coup.

Florian Wirtz trägt Wölkchen von rosa Glitzer-Schminke, die anderen Nationalspieler stöckeln im Ballettröckchen zum Barbie-Bus. Selbstverständlich sind die zehntausendfach geteilten Social-Media-Bildchen nur Fotomontagen - aber nach der Präsentation der knallpinken EM-Auswärtstrikots tobt vor allem im Internet der Kulturkampf um die Deutungshoheit. Gewagtes Symbol für gesellschaftliche Vielfalt? Oder billige Anbiederung an den woken Zeitgeist?

So oder so - adidas hat den Nerv einer in ihren Ansichten gespaltenen Nation getroffen und darf sich für einen PR-Coup feiern lassen. Auch wegen einer guten bis genialen Werbekampagne, die Kritik antizipiert und sogleich humorvoll entkräftet. "Ist das ein Frauen-Trikot?", wird in einem Clip gefragt. Nationalspielerin Jule Brand antwortet provokant: "Ich weiß nicht. Sieht für mich noch nicht nach acht EM-Titeln aus." Die Männer haben nur drei.

Oliver Bierhoff hat als langjähriger Nationalmannschaftsdirektor viele Trikot-Präsentationen erlebt. Generell liege das Design eher beim Ausrüster, sagte er bei Welt-TV: "Da steht auch der kommerzielle Gedanke hinter, die Trikots zu verkaufen. Und da sind sie jetzt an die ganz junge Generation gegangen." Die Konzentration auf die Generation TikTok mit Influencern, YouTube und stundenlangen Twitch-Streams bringe auch Probleme mit sich: "Dass das ein 60-Jähriger liebend gern trägt, kann ich mir schwerer vorstellen." Der aber kann aus adidas-Sicht, überspitzt gesagt, beim Grillen auf dem Campingplatz ja immer noch das weiße Heimtrikot über den Bauch spannen.

Und sonst: Schwarz-Rot-Pink?

Lob für Mut und Modernität scheint sich mit Kritik an Gefallsucht und angeblichem Werte-Verrat die Waage zu halten, beides kommt aus den erwartbaren Richtungen. Die Diskussion entblößt fragile Männlichkeit und uralte Vorurteile - aber adidas hat eines vollbracht: Fast jede(r) hat eine klare Meinung.

Auch Marcel Loko. "Ich frage mich, ob die Intention zu durchsichtig ist", sagte der Markenexperte dem Spiegel. "Auf mich wirkt es zu anbiedernd, zu hey-wir-sind-cool-artig." Pink bewege sich im Farbspektrum nicht nur fernab der bisherigen DFB-Palette: "Überfordert es nicht die Spieler, wenn zu viel Gesellschaftspolitisches ins Trikot gezwängt wird?" Mittelfristig drohe ein "kommunikativer Schaden", wenn "mit zentralen Werten und Symbolen" so leichtfertig umgegangen werde.

Adidas jedoch legt die Hand nach dem PR-Desaster für den Deutschen Fußball-Bund bei der Weltmeisterschaft in Katar (Stichworte: Regenbogenbinde, Mund-zu-Geste) ganz bewusst auf die heiße Herdplatte. Es werde "humorvoll mit deutschen Klischees und Stereotypen" gespielt - beispielsweise war am Dienstag im Pressebereich am Frankfurter Campus ein "typisch deutsches" Wohnzimmer der 1950er-Jahre aufgebaut. Nebenan stand eine Dönerbude: Tradition und Moderne.

Die "unerwartet frischen" Auswärtstrikots, so der Hersteller, werden unter anderem von Influencern, dem Model Lena Gercke und dem Rapper RIN angepriesen. Wirtz ist begeistert: "Ich finde es sehr cool! Mal etwas anderes und wirklich außergewöhnlich."

Nicht so cool dürften die Fans den Preis finden. Die Trikots kosten 100 Euro, in Kindergrößen 75. Die von den Spielern getragene "Authentic-Version" ist für 150 Euro zu haben. Mut zum 50-Euro-Trikot hätte vielleicht auch mal gutgetan.

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