18.09.2023 11:11 Uhr

Bayern-Star über DFB-Krise: "Man leidet mit"

Giulia Gwinn ist beim FC Bayern wieder zurück
Giulia Gwinn ist beim FC Bayern wieder zurück

Fast ein Jahr nach ihrem zweiten Kreuzbandriss ist Hoffnungsträgerin Giulia Gwinn zurück beim Fußball-Nationalteam.

Im "SID"-Interview spricht die Außenverteidigerin des FC Bayern über ihr Comeback und ihre Ziele, das WM-Debakel aus ihrer Zuschauerperspektive und besseren Schutz für Profifußballerinnen vor schweren Verletzungen.

Giulia Gwinn, Ihr Comeback beim Nationalteam steht bevor, die wichtigste Frage: Wie geht es Ihnen?

Giulia Gwinn: "Ich fühle mich echt gut und ich habe keine Bedenken, dass irgendetwas passiert. Das ist das Wichtigste, dass man ein gutes Gefühl hat. Und ich hatte genug Vorbereitungszeit. Auf die WM zu verzichten, war auf jeden Fall eine vernünftige Entscheidung, gerade mit Blick auf die Zukunft."

Nun sind Sie zurück beim DFB-Team, wie fühlt sich das an?

"Es löst sehr viel aus. Es macht mich total stolz, dass ich nach einer zweiten großen Verletzung wieder die Chance habe, im Kreise der Nationalmannschaft dabei zu sein. Es ist fast ein Jahr her und ich konnte viel nur über den Fernseher verfolgen. Deswegen ist es schön zu merken, dass sich die harte Arbeit auszahlt."

Wie lief die Nominierung in Abwesenheit der erkrankten Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg ab?

"Britta Carlson (Co-Trainerin, d.Red.) hat mich angerufen. Sie meinte natürlich, dass es in enger Absprache mit dem FC Bayern stattfindet, damit alle mit im Boot sind, weil es eine besondere Situation bei mir ist."

War der Weg zurück beim zweiten Kreuzbandriss schwieriger oder leichter als beim ersten Mal 2020?

"Der zweite Kreuzbandriss ist genauso schlimm von der Diagnose her. Aber mir ist es im Reha-Verlauf deutlich leichter gefallen, weil ich alles kannte und wusste, ich habe die Challenge schon mal geschafft und schaffe es auch erneut."

Gab es dabei wieder Hilfsmittel?

"Letztes Mal hatte ich ein Maßband, das ich immer abgeschnitten habe. Dieses Mal habe ich vom Team ein Plakat bekommen, auf dem stand: 'Wir stehen alle hinter dir'. Da waren ungefähr 170 verdeckte Bilder drauf, die man aufkratzen musste wie bei einem Rubbellos. Das war ein cooles Ritual, das Kraft gibt."

Sehen Sie mit Ihrer Historie auch Missstände in Sachen Prävention bei Fußballerinnen?

"Es ist extrem auffällig, wie viele Kreuzbandverletzungen seit der EM 2022 passiert sind. Wir haben immer mehr Spiele. Die Spielerinnen müssen geschützt werden, die Vereine müssen gut aufgestellt sein, auch beim zyklusbasierten Training. Beim FC Bayern haben wir da eine super Absprache. Und wir haben in dieser Saison einen sehr breiten Kader. Der ermöglicht, den Spielerinnen Pausen zu geben, weil die Intensität immer höher wird."

Der aufgestockte Kader in München spricht auch für ambitionierte Ziele?

"Wir wollen einfach mehr, es ist unser Anspruch, weiter ganz vorne mitzuspielen, auch international. Es ist extrem viel Qualität im Kader, man könnte zwei starke Startformationen stellen. Als Meister möchten wir den Titel verteidigen und in den anderen Wettbewerben ebenfalls Ausrufezeichen setzen."

Also ist das Triple im Visier?

"Von drei Titeln sprechen wir noch nicht. Aber wir haben auch im Pokal keine Lust mehr, immer gegen den VfL Wolfsburg rauszufliegen. Und auch in der Champions League haben wir es ins Halbfinale geschafft. Das wollen wir wieder erreichen - und gerne noch mehr."

Im DFB-Team wurden Sie bei der WM als Außenverteidigerin schmerzlich vermisst. Wie haben Sie das frühe Aus verfolgt?

"Man leidet mit. Es tut sehr weh, wenn man nicht eingreifen kann. Es hat gewirkt, als wären diese Verbindungen, die wir bei der EM hatten, dieses Teamgefüge mit blindem Verständnis, nicht mehr so vorhanden gewesen. Es war sehr schade, dass die Mädels nicht das zeigen konnten, was sie draufhaben. Ich weiß, was für eine Qualität in der Mannschaft steckt."

Haben Sie einen Erklärungsansatz?

"Es ist nicht einfach, weil ich nicht so nah dran war. Ich hatte das Gefühl, dass es schon vor dem Turnier schwierig war, weil der finale WM-Kader sehr spät festgelegt wurde. Das war anders vor der EM. Gerade bei Spielerinnen, die wissen, sie stehen noch auf der Kippe, kann das viel auslösen."

Was braucht es jetzt für schnellen Erfolg, sprich die Olympia-Qualifikation über die Nations League?

"Es ist gut, dass es wieder um etwas geht und man die berechtigte Kritik wieder wettmachen kann. Der Schlüssel wird sein, dass man die WM aufarbeitet und es nicht einfach so weiterläuft, wie es war. Aber dass man es trotzdem schafft, auch wieder eine gewisse Leichtigkeit reinzubringen. Es ist wichtig, dass man dieses Selbstkritische ummünzt. Wir haben wieder die Chance, auf ein großes Turnier hinzuarbeiten."

Dem Männer-Nationalteam ist unter Rudi Völler gleich eine solche Leichtigkeit anzusehen gewesen. Macht das Mut?

"Total. Es hat mich auch sehr gefreut. Das ist ja ein ähnliches Beispiel. Sie haben so viel Qualität, aber es die letzten Spiele nicht auf den Platz bekommen. Es war schön, dass sich da so ein Knoten gelöst hat. Sie arbeiten auch auf ein Großereignis hin. Es ist wichtig, dass diese Spielfreude da ist, dass man Lust hat, den Fans etwas zurückzugeben."

Ist Olympia als Ziel reizvoll? Es werden nur noch zwei Europa-Tickets vergeben, es wird schwierig...

"Mir würde es viel bedeuten, bei Olympia dabei zu sein. Das ist nicht nur eine einzigartige Erfahrung für eine Sportlerin, sondern insgesamt natürlich auch eine coole Herausforderung, sich da zu messen und diesen Turniercharakter zu haben. Und am Ende vielleicht auch um eine Medaille zu spielen. Das ist unser Anspruch. Es wird aber schwierig. Die WM hat gezeigt, dass mit Spanien, England oder Schweden einige europäische Nationen dabei waren, die ganz vorne mitgespielt haben."

Sind Sie Fan des neuen Wettbewerbs?

"Ich finde es gut, dass man sich in jeder Abstellungsperiode mit starken Mannschaften messen kann. Das macht einen am Ende auch besser. Wenn man aber nochmal auf die Verletzungen schaut - das sind alles Spiele auf Augenhöhe, in denen man wahrscheinlich nicht mehr viel auf Rotation achtet, da die beste Elf spielen soll. Das ist wieder ein Aspekt, der für mehr Verletzungsrisiko spricht."

Sie haben eben die Weltmeisterinnen aus Spanien erwähnt - wie verfolgen Sie, was dort rund um den Rubiales-Skandal passiert?

"Es war schockierend, wie das alles im spanischen Verband abgelaufen ist. Aber aus der Ferne ist es sehr schön zu sehen, dass sich die ganze spanische Mannschaft hinter Jenni Hermoso stellt. Das ist sehr inspirierend, dass eine Einheit doch viel Macht haben kann."

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