27.09.2013 17:45 Uhr

"AVB" bei den Spurs: Liebe auf den zweiten Blick

André Villas-Boas' Co-Trainer bei Tottenham ist Steffen Freund
André Villas-Boas' Co-Trainer bei Tottenham ist Steffen Freund

Mit 35 Jahren ist André Villas-Boas bereits in der Riege der Top-Trainer angekommen. Der Portugiese formte in Tottenham aus einer guten Mannschaft eine noch bessere. Fans und Verantwortliche mögen ihn – doch das war nicht immer so.

Neun Spiele, acht Siege, 20:1 Tore. Es sind höchst beeindruckende Zahlen, die der Verein aus dem Norden Londons in dieser Saison auflegt. So beeindruckend, dass die "großen Vier" der Liga um ihre Vormachtstellung bangen müssen. Die Tottenham Hotspurs sind drauf und dran, die Phalanx der beiden Klubs aus Manchester, Chelsea und Arsenal zu durchbrechen.

Der Erfolg der "Spurs" ist unumstößlich mit dem Namen André Villas-Boas verbunden. Der Portugiese hat dem Team seine eigene Handschrift verpasst, durfte es nach seinen Vorstellungen aufbauen und formen. Dabei stand er schon in seinem ersten Jahr an der White Hart Lane kurz vor dem Aus.

Die Trennung von Mourinho und das Scheitern in Chelsea

Rückblick: "Wir haben verschiedene Persönlichkeiten und andere Ansichten was den Fußball betrifft. Ich respektiere José, aber ich will kein Mourinho-Klon sein" – mit diesen Worten beendete André Villas-Boas im Sommer 2009 seine Lehrjahre unter José Mourinho. Sieben Jahre lang arbeiteten sie zuvor Seite an Seite in Porto, Chelsea und Mailand. Nach erfolgreichen Engagements in Coimbra und seiner Heimatstadt Porto wagte "AVB" 2011 den größten Schritt in seiner jungen Karriere. Er wechselte auf die Insel und heuerte als Hauptverantwortlicher bei den "Blues" an.

An der Stamford Bridge sollte der Portugiese ein "neues Chelsea" aufbauen. Und natürlich Titel holen. Doch er scheiterte. Acht Monate nach seiner Vorstellung wurde er von Roman Abramovich gefeuert. Wegen Erfolglosigkeit. Und weil die Alphatiere im Verein erfolgreich gegen ihn rebellierten. Der erste Makel in seiner beeindruckenden Vita.

"Ich habe mich leer gefühlt, weil ich nicht wusste, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Meine Mitarbeiter und ich haben die Fehler aufgearbeitet und diskutiert, was wir in Zukunft besser machen können", erklärte Villas-Boas wenige Monate nach seinem Rauswurf. Da hatte er bereits einen neuen Vertrag bei den Tottenham Hotspurs unterschrieben. Präsident Daniel Levy war gewillt, ihm eine zweite Chance zu geben. Die Öffentlichkeit aber zweifelte an seinen Fähigkeiten, bezeichnete die Verpflichtung als "Risiko" und "Wagnis". Es schien, als sollten sie Recht behalten.

Kritik von allen Seiten

Schon in der ersten Saison krempelte er die Mannschaft nach Herzenslust um. 21 Ab- und 19 Zugänge gingen in den ersten zwölf Monaten auf seine Kappe. Dementsprechend lange brauchte das Team, um sich zu finden. Nach einem schleppenden Saisonstart und drei sieglosen Spielen in Folge wurde erstmals Kritik an seiner Arbeit geäußert. Von den Spielern. Sie forderten eine offensivere Spielweise – und Villas-Boas gehorchte.

Fortan ließ er, anders als sein Mentor, Fußball im "Hurra-Stil" spielen. Der Erfolg war überschaubar. Beeindruckenden Siegen wie einem 3:2 bei Manchester United folgten spektakuläre Niederlagen wie ein 2:4 gegen Chelsea. Als die "Spurs" am 12. Spieltag im Derby gegen Arsenal mit 5:2 abgeschossen wurden, gerieten Trainer und Mannschaft ins Kreuzfeuer der Kritik.

Der Portugiese stellte sich, wie er es von Mourinho gelernt hatte, bedingungslos vor seine Mannschaft. Die Medien schrieben schon seine Entlassung herbei und auch Chairman Levy wollte endlich Ergebnisse sehen. Zur gleichen Zeit meldete sich Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps zu Wort. Ihm gefiel der Umgang mit Hugo Lloris, seiner etatmäßigen Nummer eins, nicht. Von allen Seiten prasselte es auf André Villas-Boas ein. Der Verein hielt an ihm fest. Eine Entscheidung, die sich auszahlen sollte.

Rekordpunktzahl im Premierenjahr

Je älter die Saison wurde, desto besser kamen Spieler und Trainer miteinander zurecht. Angeführt von einem überragenden Gareth Bale verloren die "Spurs" nur zwei der letzten 22 Ligaspiele und stellten mit 72 Punkten einen neuen Vereinsrekord auf. Ein einziger Zähler fehlte nach 38 Spieltagen zum vierten Platz und der möglichen Champions-League-Qualifikation.

Und in dieser Saison? Läuft es sogar noch besser. Der Klub nutzte die Millionen aus dem Bale-Transfer, um die Mannschaft weiter aufzurüsten und aus ihr einen ernsthaften Titelkandidaten zu formen. Christian Eriksen, Roberto Soldado, Paulinho und elf weitere Neuzugänge sorgten für einen erheblichen Qualitätsschub. Viele davon wechselten auch und vor allem wegen des Trainers an die White Hart Lane.

"Ich liebe Andrés Art, Fußball zu spielen", schwärmte Soldado in seiner Antrittsrede. Eriksen bezeichnete Villas-Boas als "fantastischen Trainer mit großartigen Ideen", ohne seine Arbeit überhaupt jemals aus nächster Nähe gesehen zu haben. Lewis Holtby ist gar davon überzeugt, dass die Mannschaft bereit ist, Trophäen zu gewinnen: "Es ist noch eine lange Saison, aber wir haben eine große Chance, Titel zu holen."

Wiedersehen mit dem Lehrmeister

Ob die Mannschaft tatsächlich schon bereit für einen Titel ist, wird sich am Samstag im Derby gegen den FC Chelsea (ab 13:45 Uhr bei uns im Liveticker) zeigen. André Villas-Boas spielte das Wiedersehen mit "The Special One" im Vorfeld herunter. Doch er wird beweisen wollen, dass er eben kein "Mourinho-Klon" und seine Idee vom Fußball besser ist, als die seines Mentors.

Christian Schenzel 

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