Im wichtigen WM-Qualifikationsspiel gegen die Ukraine bauen die Engländer auf einen Stürmer, den vor wenigen Jahren kaum jemand auf der Rechnung gehabt haben dürfte.

Auch im Fußball werden manchmal Märchen geschrieben: Ein weitestgehend unbekannter Drittligaspieler aus dem Liverpooler Vorort Fazakerley spielt bis zu seinem 29. Lebensjahr nie in einer höheren englischen Spielklasse und gilt nur zwei Jahre später als Hoffnungsträger des englischen Nationalteams. Richard, genannt "Rickie", Lambert vom FC Southampton ist dieses Kunststück gelungen.

Ein Lebenstraum erfüllt sich

Im August feierte der mittlerweile 31-jährige Stürmer beim Klassiker zwischen England und Schottland sein Debüt für die "Three Lions". Diese späte Chance hatte sich der großgewachsene Lambert durch seine unglaublich konstante Torquote redlich verdient, doch als Nationaltrainer Roy Hodgson ihn tatsächlich zum Länderspiel einlud, konnte er es trotzdem kaum fassen:

"Heute ist ein ganz besonderer Tag. Ein Lebenstraum, für den ich mein ganzes Leben gekämpft habe, geht in Erfüllung". Und wie: Beim 3:2-Erfolg im Wembley Stadion erzielte er nur drei Minuten nach seiner Einwechslung den gefeierten Siegtreffer für sein Heimatland.

Lambert schießt Southampton zurück auf die Fußball-Landkarte

Der märchenhafte Aufstieg des als bescheiden geltenden Lambert hatte 2011 begonnen. Mit seinen Toren führte er die "Saints", wie die Mannschaft des FC Southampton auf der Insel genannt wird, nach Jahren in der Versenkung zurück in die zweite englische Liga. Für Lambert Neuland, hatte er vorher doch höchstens im FA-Cup gegen die großen Namen des britischen Fußballs spielen dürfen.

Die Akklimatisierung gelang ihm und seinem Team überraschend schnell: Ein sensationeller Durchmarsch der Südengländer durch die "Championship" gipfelte im erneuten Aufstieg, diesmal trug Lambert stolze 27 Treffer bei. Damals munkelten viele Experten, dass die traditionsreichen "Saints" nun an ihre Grenzen stoßen würden, doch weit gefehlt: Angeführt vom treffsicheren Lambert sprang ein respektabler 14. Rang in der Abschlusstabelle der Premier League heraus.

Die späte Chance grandios genutzt

Die logische Konsequenz dieser unglaublichen Erfolgsstory war dann der Anruf von Roy Hodgson, der dem Torgaranten auch im WM-Qualifikationsspiel gegen Moldawien das Vertrauen schenkte. Dafür wurde der Nationalcoach sofort belohnt: Ein Tor und zwei Assists beim 4:0-Sieg standen nach dem ersten Startelfeinsatz Lamberts zu Buche.

Im Team der "Three Lions", das sich zwischen Altstars wie Frank Lampard und Steven Gerrard und hoffnungsvollen Talenten á la Ross Barkley im Umbruch befindet, entwickelt sich der Stürmer aus Southampton zunehmend zum Hoffnungsträger.

Englands holpriger Weg zur WM 2014

Ein zuverlässiger Knipser hatte den Engländern zuletzt merklich gefehlt, das selbsternannte "Mutterland des Fußballs" kämpft drei Spieltage vor Schluss in der Gruppe H in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit Überraschungsteam Montenegro und der Ukraine um ein Ticket für die WM 2014 in Brasilien.

Im direkten Duell mit den Ukrainern steht für Rooney und Co. heute schon viel auf dem Spiel, denn bei einer englischen Niederlage würden die Ost-Europäer die Tabellenführung übernehmen. Hinzu kommt das eher leichte Restprogramm der Ukraine. Und auch die punktgleichen Montenegriner, die aktuell nur wegen der schlechteren Tordifferenz hinter den Engländern rangieren, lauern auf einen der Qualifikationsplätze.

Spatzünder sind auf der Insel an der Tagesordnung

Die Entwicklung von Lambert ist kein Einzelfall in England. Grant Holts Weg mit Norwich City weist erstaunliche Parallelen auf: Bis zu seinem 29. Lebensjahr hatte auch er im fußballerischen Niemandsland gekickt, dann folgte der direkte Durchmarsch von der drittklassigen League One in die Premier League - und Holt schoss in jeder Liga Tore wie am Fließband. Ein mögliches Debüt von ihm im Nationalteam wurde in der Presse diskutiert, doch diesmal blieb der erhoffte Anruf aus. Dieser ereilt auf der Insel gelegentlich sogar Zweitligaspieler: Jay Bothroyd durfte 2010 mit 28 Jahren als Knipser von Cardiff City seine Premiere im Nationaldress gegen Frankreich feiern.  

Dort hat sich Lambert nun schon etabliert und damit Spieler wie Jermain Defoe und Peter Crouch verdrängt. Dass diese beiden optisch wie Zwerg und Riese wirken, passt ins Bild des Märchens von Rickie Lambert, der in nur zwei Jahren vom No-Name zum Hoffnungsträger Englands wurde – Happy End nicht ausgeschlossen.    

Heiko Lütkehus