12.11.2020 12:32 Uhr

Klartext: Löw erhöht Druck auf BVB-Star

Julian Brandt vom BVB konnte gegen Tschechien nicht überzeugen
Julian Brandt vom BVB konnte gegen Tschechien nicht überzeugen

Julian Brandt ist schlau und sensibel genug, um diese EM-Warnung von Joachim Löw genau zu verstehen.

"Julian hat so viel Können. An der Konstanz muss er arbeiten. Er ist ein bisschen schwankend in den Leistungen", sagte der Bundestrainer nach dem 1:0-Testsieg der Fußball-Nationalmannschaft gegen Tschechien. "Er muss noch die nächste Hürde überspringen", forderte Löw und stellte mit Blick auf das anstehende Turnierjahr klar fest: "Wir müssen schauen, dass wir dran bleiben und er den nächsten Schritt macht."

Als Trainerurteil war das für den Offensiv-Wirbler von Borussia Dortmund sicherlich zu verkraften. Doch der Unterschied in der Wortwahl zu den von Löw ausdrücklich gelobten Kollegen machte die bedenkliche Lage für den 24-Jährigen deutlich. Luca Waldschmidt hat eine "große Torgefahr". Florian Neuhaus findet "immer gute Lösungen". Robin Koch ist "gut organisiert". Und auch den Neulingen Ridle Baku und Philipp Max wurden von Löw schon "sehr gute Ansätze" bescheinigt. Und Brandt? Muss eben endlich mal den nächsten Schritt machen.

Löw mag Brandt - eigentlich. Der einstige Leverkusener passt in das Profil des reflektierenden Profis. Nach dem WM-Desaster galt er, jung und eloquent, als ein Gesicht des Neuanfangs. Der Blondschopf hängt aber im Status des Dauertalents fest und droht im DFB-Team ein ewiger Bubi zu bleiben. In Löws Azubi-Auswahl in Leipzig war er bei seinem 34. Länderspiel neben Ersatzkapitän Ilkay Gündogan (40 Länderspiele) und Antonio Rüdiger (36 Einsätze) der einzige Akteur jenseits der 30er-Marke. Schon vor der EM 2016 debütierte er unter Löw. Doch die Konkurrenz aus seinem Jahrgang ist rasant vorbeigezogen.

Mit nur drei Toren hat Brandt als "Mister Uneffektiv" eine schlechtere Quote als Serge Gnabry (15 Spiele/14 Tore), Timo Werner (33/13) und Leroy Sané (23/5), die von Löw wieder den Vorzug bekommen werden, wenn es am Samstag (20:45 Uhr) gegen die Ukraine in der Nations League um Pflichtspielpunkte geht. Auch Waldschmidt mit zwei Toren in fünf Länderspielen liefert in der Startphase schon verlässlicher.

Wo soll da künftig noch Platz für Brandt sein? Zeit zum Beweisen wird er nur noch wenig bekommen. Löw kündigte an, dass er jetzt mit dem Stammpersonal den nötigen EM-Rhythmus aufnehmen will. Und Brandt bekommt auch beim BVB keine Konstanz hin. Nur ein Ligaspiel über 90 Minuten absolvierte er in dieser Saison. Auch bei Schwarz-Gelb hängen ihn junge Kollegen wie Jadon Sancho oder Giovanni Reyna ab.

Die Leistung im Tschechien-Spiel - erst das fünfte Länderspiel über 90 Minuten - war eine Blaupause seiner DFB-Karriere. Zwischen genial und fatal lagen oft nur wenige Augenblicke. "Heute war er nicht immer ganz glücklich in allen Aktionen. Aber er war sehr engagiert, er war wahnsinnig viel unterwegs", beschrieb Löw die Diskrepanz. Die Großchance nach einem Tschechen-Patzer hätte er verwerten müssen.

Brandt ist eben immer irgendwie ganz nah dran, aber das letzte bisschen fehlt. Wie auch bei der WM 2018, als er als Jungspund fast die Turnierblamage verhindert hätte, aber eben nur fast. In Erinnerung bleiben viel Wirbel als Last-Minute-Joker und zwei Pfostentreffer gegen Mexiko und Schweden. "Der nächste sollte drin sein", sagte er damals. Gleiches gilt auch aktuell für Brandt.

 


Das komplette Interview von Joachim Löw:

Wie fällt Ihr Fazit nach diesem Testspiel aus?

Joachim Löw: Einsatz und Laufbereitschaft waren von allen sehr, sehr gut. Mehrere Spieler hatten wenig oder gar keine Länderspielerfahrung und haben das sehr gut gemacht. Nach dem 1:0 hatten wir zwei, drei richtig gute Torchancen. In der zweiten Halbzeit war das Spiel nicht mehr ganz so flüssig. Da haben wir ein paar Fehler mehr gemacht.

Wir beurteilen Sie die Leistung und Entwicklung von Torschütze Luca Waldschmidt?

Er hat auf jeden Fall nochmal einen Schritt nach vorne gemacht. Er hat bei uns gut begonnen, dann war er verletzt, dann war die lange Pause. Er hat gegen die Türkei ein Tor erzielt, er hat heute ein Tor gemacht. Er hat in Lissabon schnell Fuß gefasst. Das ist auch nicht ganz so einfach. Man merkt bei ihm, er hat eine große Torgefahr. Er ist ein Stürmer, der sich sehr gut bewegt. Er hat einen sehr guten linken Fuß. Mit ihm kann man gut kombinieren. Ich finde schon, dass er bei uns klar einen Schritt nach vorne gemacht hat.

Waren Sie mit den beiden Neulingen Ridle Baku und Philipp Max zufrieden?

Beide haben sehr intensiv gespielt, sehr viele Räume überbrückt mit dynamischen Läufen. Philipp Max hat das Tor schön vorbereitet. Ridle Baku ist noch ein junger Spieler, der muss noch weitere Entwicklungsstufen machen. Aber gerade in der ersten Halbzeit hat er viel Druck gemacht. Beide waren sehr intensiv unterwegs. Bei beiden hat man gespürt, dass sie mutig in das Spiel reingegangen sind, sehr engagiert und mit sehr guten Ansätzen.

Julian Brandt bleibt weiter unglücklich in vielen Aktionen, warum?

Er hat echt viel Potenzial. Woran man bei ihm arbeiten muss, ist Konstanz. Heute war er nicht immer ganz glücklich in allen Aktionen. Aber er war sehr engagiert, er war wahnsinnig viel unterwegs. Im Abschluss war er vielleicht das eine oder andere Mal ein bisschen unglücklich, da muss er noch zulegen. Das erwarte ich oder erhoffe ich von ihm, denn er hat so viel Können, da muss er gucken, dass er das auf dem Platz bringt. Wir müssen schauen, dass wir dran bleiben und er den nächsten Schritt macht.

Robin Koch und Florian Neuhaus haben einen sehr guten Eindruck gemacht. War das so zu erwarten?

Bei Robin Koch war jede Aktion solide, klar, er hat Fehler ausgebügelt, war als zentraler Spieler gut organisiert. Florian Neuhaus, das haben wir alle gesehen, dass der eine hohe Spielintelligenz besitzt, eine sehr gute Technik, der findet immer gute Lösungen. Er hat wirklich ein gutes Spiel gemacht. Er spielt sehr abgeklärt. Von der Leistung war ich angetan.

Viele Spiele bleiben nicht mehr bis zur EM. Beginnt jetzt die Zeit, eine Mannschaft für das Turnier einzuspielen?

Ich hoffe es. Es hängt auch immer davon ab, ob es Verletzungen gibt. Wir haben jetzt noch zwei Spiele und dann im März nochmal drei und dann ist die Nominierung und die Vorbereitung für die EM. Natürlich geht es ums Einspielen. Gegen die Ukraine und Spanien versuchen wir, nicht ganz so viele Wechsel vorzunehmen. Einspielen ist jetzt ein wichtiges Thema.

Wie wichtig ist Ihnen nun der Gruppensieg in der Nations League?

Dass Wettbewerbe eine gewisse Wichtigkeit haben, ist klar. Wenn es um Punkte geht, will man natürlich gewinnen. Die Chancen sind noch vorhanden. Gegen die Ukraine ist es ein vorentscheidendes Spiel. Wenn wir gewinnen, sind wir in einer guten Position.

Es gab zuletzt viel Kritik, oft wurden Vorsprünge verspielt. Wie gut tut der Sieg?

Jedes Spiel, das man gewinnt, ist gut und hilfreich und gibt ein gutes Gefühl, aber das Wie ist mitentscheidend. Ich weiß, dass viel diskutiert worden ist. Im letzten Jahr haben wir sieben Spiele gewonnen und nur eines verloren, dieses Jahr haben wir nun zwei Spiele gewonnen und ein paar Unentschieden. Wenn ich es von der Seite betrachte, haben wir bei 16 Spielen eine Niederlage. Dass die Stimmung anders ist, spüren wir auch. Na klar ist man unzufrieden, wenn man in der letzten Minute den Ausgleich kassiert. Deswegen haben wir es heute gut über die Zeit gebracht. Da haben alle ein bisschen durchgeatmet.

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