22.11.2015 09:35 Uhr

Rückkehr einer Fußballnation

Platzt im November 1950 aus allen Nähten: das Stuttgarter Neckarstadion
Platzt im November 1950 aus allen Nähten: das Stuttgarter Neckarstadion

Vor 65 Jahren bestritt die deutsche Nationalmannschaft ihr erstes Spiel nach dem Ende des 2. Weltkriegs. Vor mehr als 100.000 Zuschauern gab es gegen die Schweiz eine Schlammschlacht.

Das Datum hatte Symbolcharakter, ebenso der Gegner. Am 22. November 1950 endete die Abstinenz der deutschen Nationalmannschaft von der internationalen Fußballbühne – auf den Tag genau acht Jahre nach dem letzten Spiel einer deutschen Elf, das mitten im Krieg im Spätherbst 1942 mit 5:2 gegen die Slowakei gewonnen wurde. Wenige Wochen zuvor hatte die FIFA den Ausschluss West-Deutschlands aufgehoben und den DFB als Mitglied in den Weltverband aufgenommen.

Nun also die Schweiz. Wieder einmal sind die Eidgenossen bei einer Zäsur des deutschen Fußballs zu Gast. 1908 stellte das Nachbarland den Gegner im ersten offiziellen Länderspiel einer deutschen Nationalmannschaft. Fünf Jahre nach der Kapitulation des Deutschen Reiches waren es wieder die Schweizer, die sich nicht nur bei der FIFA für eine Aufnahme des DFB in den Weltverband einsetzten, sondern nach der Rehabilitation auch den ersten Gegner stellten.

Überfüllte Tribünen, viele Verletzte

Wie sehr die Deutschen der Rückkehr auf die internationalen Fußballbühne entgegengefieberten, zeigte sich an diesem Tag rund um das Stuttgarter Neckarstadion. Obwohl es seit Stunden in Strömen regnete, pilgerten die Fans in Massen zum Spiel. Tausende, die keine Karte ergattert hatten, verschafften sich durch das Aufschneiden der Umzäunung Zugang zum Stadion. So sollen bis zu 115.000 Zuschauer Zeuge des historischen Ereignisses geworden sein. Mehrere hundert Verletzte mussten im hoffnungslos überfüllten Rund versorgt werden, das Spiel stand mehrfach kurz vor dem Abbruch.

Die achtjährige Pause hatte das Gesicht der Nationalelf verändert. Viele Nationalspieler waren im Krieg umgekommen, einige befanden sich noch in Kriegsgefangenschaft. So stellte der alte Reichs- und neue Bundestrainer Sepp Herberger eine Mannschaft aus acht Debütanten zusammen, die sich gegen die favorisierten Schweizer erstaunlich gut hielten. Auf dem von tagelangen Regenfällen völlig aufgeweichten Rasen, der eher einer Schlammlandschaft glich, trug das deutsche Team um die vier späteren Weltmeister Toni Turek, Ottmar Walter, Max Morlock und Berni Klodt einen vielversprechenden Angriff nach dem anderen vor das Schweizer Tor. Einzig ein Treffer wollte nicht fallen. Für das einzige Tor des Tages musste allerdings ein Elfmeter herhalten, den der Bremer Herbert Burdenski, dessen Sohn und späterer Bundesligatorhüter Dieter Burdenski vier Tage nach dem Spiel geboren wurde, zum 1:0-Endstand verwandelte.

Fanal für 1954

"Ich brauchte keinen großen Anlauf, war ja so viel Schlamm, anderthalb Schritt. Ich hab gesagt: Wenn ich den voll drauf haue, so schnell kriegt der die Arme gar nicht hoch. Und ich hatte Glück", beschrieb das langjährige Mitglied des legendären "Schalker Kreisels" später das wichtigste Tor seiner Karriere. Das Schweizer Magazin Sport fand nach dem Spiel lobende Worte für das neue deutsche Team: "Diese Deutschland-Elf wird nicht nur den Tag, sondern sicherlich eine längere Periode ihres Wiedereintritts in die internationale Wettkampf-Arena erfolgreich bestreiten." Es sollte Recht behalten – keine vier Jahre nach dem Comeback bestieg das Team um den in Stuttgart fehlenden Fritz Walter bei der Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz den Fußball-Thron.

Ralf Amshove

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