13.02.2015 14:13 Uhr

Verein vs. Ultras: Eiszeit in Hannover

Unversöhnlich: Hannover-Ultras gegen Klubchef Martin Kind
Unversöhnlich: Hannover-Ultras gegen Klubchef Martin Kind

Wer buchstäblich in Ruhe ein Bundesligaspiel schauen will, fährt nach Hannover. Seit die 96-Ultras im Sommer die Kurve im Streit mit Klubpräsident Martin Kind verließen, ist die Stimmung im Stadion auf dem Nullpunkt.

Hannover – HDI-Arena, 19. Spieltag: Im ersten Heimspiel der Rückrunde ist Mainz 05 zu Gast. 30.500 Zuschauer verlieren sich im weiten Rund des Stadions, so wenig wie seit fünf Jahren bei einem Heimspiel der 96er in der Bundesliga nicht mehr. Und das trotz einer sehr erfolgreichen Hinrunde. Doch von Euphorie ist bei den Spielen der Roten nichts zu spüren. Im Gegenteil: Es herrscht Eiszeit zwischen dem Klub und einem großen Teil der organisierten Fanszene. Wie konnte es dazu kommen?

Dass es zwischen Vereinsfunktionären und Ultras knistert, darauf hat Hannover 96 keinen Ausschließlichkeitsanspruch. Zu unterschiedlich sind die Interessen der beiden Gruppen. Während es die Klubvertreter als ihre primäre Aufgabe sehen, das Modeprodukt Fußball möglichst profitabel an den Markt zu bringen, ist vor allem den Ultras die zunehmende Kommerzialisierung des Sports ein Dorn im Auge. In der niedersächsischen Landeshauptstadt uferte der Konflikt jedoch aus, weil dort mit Klubchef Martin Kind und den Ultra-Gruppierungen zwei Parteien aufeinandertreffen, deren Ego keine Kompromisse zulassen. Am Ende könnte das Kräftemessen ausschließlich Verlierer produzieren.

"Selektive Kollektivstrafen" gegen die Kurve

Zu einer ersten Eskalation des lange schwelenden Konflikt kam es in der Saison 2012/2013, als der Verein einen Doppelhalter mit dem Abbild des Hannoveraner Massenmörders Fritz Haarmann verbieten ließ. Viele Monate war dieses Banner unbeanstandet in der Kurve gezeigt worden, bis sich die "Bild" des Themas annahm und sich der Verein zum Handeln gezwungen sah. Da Haarmann dennoch weiter in der Kurve zu sehen war, sprach der Verein erste Stadionverbote aus. Die Fans protestierten gegen diese Maßnahmen mit einer Flugblattaktion, die der Verein im Stadionumfeld untersagte.

Wie in vielen Vereinen liegt das Kernproblem in der unterschiedlichen Bewertung von Pyrotechnik. Doch kein Verein geht derart konsequent gegen die eigenen Anhänger vor wie Hannover 96. Mehrfach hatten Ultras in den vergangenen Jahren gegen das Pyro-Verbot verstoßen. Die saftigen Geldbußen, die der Verein daraufhin von der DFL aufgebrummt bekam, versuchte Martin Kind zumindest zum Teil von den Verursachern wieder einzutreiben. In einer von ihm als "selektive Kollektivstrafe" bezeichneten Aktion ließ Kind die Eintrittspreise für das Europapokalspiel gegen Anzhi Makhachkala im Februar 2013 für die Ultrablöcke um fünf Euro anheben.

Fragwürdige Winkelzüge vor dem Derby

Im April 2013 löste sich der Fan-Verband "Rote Kurve" auf, da man keine Dialog-Grundlage mit dem Verein mehr sah. Den Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Ultras und Vereinsführung gab es rund um das Derby-Auswärtsspiel bei Eintracht Braunschweig im April 2014. In Absprache mit der Polizei sollte den Hannover-Anhängern eine Anreise nur durch den Verein organisierten Bustouren erlaubt werden, wogegen sich mehrere Inhaber von Auswärtsdauerkarten erfolgreich vor Gericht wehrten, indem sie auf die Reisefreiheit pochten. Als weitere Fans vor Gericht ihre individuelle Anreise erwirken wollten, reagierte der Klub mit einem fragwürdigen juristischen Winkelzug und stellte einen Befangenheitsantrag gegen die zuständige Richterin. Damit konnte das Gericht vor dem Derby keine weiteren Ausnahmen von der Busreisepflicht mehr genehmigen.

Als Konsequenz stellten die Ultras die Unterstützung der eigenen Mannschaft in den letzten Spielen der Saison ein, die Ultra-Kurve meldete sich lediglich mit gelegentlichen "Kind-muss-weg"-Sprechchören, die wiederum ein Pfeifkonzert vieler anderer Stadionbesucher provozierte. Der Konflikt zwischen Vereinsführung und Ultras spaltet auch die restliche Fanszene. Viele nichtorganisierte Fans sehen das Abbrennen von Bengalos ebenso kritisch wie Martin Kind, dem darüber hinaus sein großes finanzielles Engagement für den Verein zugute gehalten wird. Auf der anderen Seite wird Martin Kind mehr und mehr der fehlende Wille zum Kompromiss vorgehalten.

Zuschauerschwund seit Saisonbeginn

Seit Saisonbeginn boykottieren die Ultras die Spiele der ersten Mannschaft und sind stattdessen bei der Zweitvertretung der 96er anzutreffen. Deren Zuschauerschnitt ist von 450 auf mehr als 1.300 gestiegen. Die gegenläufige Entwicklung ist beim Profiteam zu erkennen. Die Heimspiele von Hannover 96 besuchen im Schnitt mehr als 4.000 Fans weniger als noch vor einem Jahr. Die fehlende Atmosphäre in der Arena hat sich herumgesprochen. Mannschaftskapitän Lars Stindl erklärte im Dezember: "Wer nicht merkt, dass die Stimmung darunter leidet, seit die Ultras weg sind, der ist nicht ehrlich". Schon wird darüber spekuliert, dass 96 im Vertragspoker um seinen Mannschaftskapitän nicht zuletzt wegen der schlechten Stimmung im Stadion den Kürzeren ziehen könnte.

Eine Einigung zwischen den Parteien scheint in weiter Ferne. Ein Diskurs, der Auswege aus der verfahrenen Situation beinhaltet, findet nicht statt. Stattdessen beschränken sich Martin Kind und die organisierten Fans auf gegenseitige Schuldzuweisungen. Am Ende schaden sie vor allem ihrer großen Liebe – Hannover 96.

Ralf Amshove

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