19.09.2016 13:21 Uhr

Kommentar: So ist Fußball… nicht!

Ritter von trauriger Gestalt: Viktor Skripnik
Ritter von trauriger Gestalt: Viktor Skripnik

Die Chaostage in grün-weiß gehen weiter. Mit einiger Verspätung haben die Verantwortlichen in Bremen reagiert und das hilflose Trainerteam beurlaubt. Eigentlich die Chance für den dringend benötigten Neuanfang, doch Zweifel an den Handlungsmotiven der Macher bleiben.

Da stand er nun, tapfer wie gewohnt, vor den Kameras und Mikrofonen der Pressevertreter in Mönchengladbach. Viktor Skripnik, das einst als "Viktory" gefeierte Werder-Urgestein, sollte sich zum peinlichen Auftritt seiner Elf beim 1:4 bei der Borussia äußern. Eine Disziplin, die dem wortkargen Ukrainer von jeher sichtlich wenig Freude bereitet hat. Zu limitiert der Wortschatz, zu provokant die Fragen – dem 46-Jährigen war sein mediales Unbehagen auch nach guten Ergebnissen stets anzumerken. Seine gängigste Floskel erlangte traurige Berühmtheit: "So ist Fußball" antwortete der Fußballlehrer schicksalsergeben auf jeden Rückschlag. Doch am vergangenen Samstag war die Situation kurz nach Spielende dennoch eine andere als nach all den bitteren Pleiten der letzten 16 Monate.

Schließlich hatten Skripnik, Sportdirektor Frank Baumann und all die anderen Beteiligten gerade nicht nur das Spiel, sondern auch die Unterstützung ihrer sonst so treuen Anhängerschaft verloren. Die Bremer Ultras hatten schon zur Halbzeitpause ihren Support eingestellt, die übrigen Fans im Gästebereich quittierten die Aktionen der hilflosen Hanseaten mit höhnischem Beifall. Zur Erinnerung: Ebenjene Gefolgschaft hatte den schon damals am Boden liegenden Nordklub im April erst dank mitreißender Aktionen ("Green-White Wonderwall") zum Last-Minute-Klassenerhalt geschrien. Entsprechend deutlich stand den Werderanern der Schock über den Verlust des letzten großen Faustpfands in der Mixed Zone ins Gesicht geschrieben.

Schmoren im grün-weißen Saft

Auch dem Letzten – im wahrsten Sinne des Wortes – schien zu schwanen, was nun folgen würde. Die vielzitierten Mechanismen des Geschäfts griffen am Sonntag, Skripnik und sein Trainerteam um Werder-Legende Torsten Frings wurden vom Verein beurlaubt. Ein längst überfälliger Schritt, der aufgrund seines Zeitpunktes dennoch überrascht. Längst hatten Kritiker resigniert, Widerstand schien zwecklos. Der Werder-Weg, das Schmoren im eigenen, grün-weißen Saft, stand für Aufsichtsratschef Marco Bode, Baumann und Co. über allem. Nicht anders war es zu erklären, dass Querdenker Thomas Eichin vom Hof gejagt und das Trainerteam nach dem Fast-Abstieg langfristig gebunden worden war. 

Nun mussten die Entscheidungsträger von ihrem Treue-Kurs abweichen und sich so automatisch eingestehen, einen monumentalen Fehler gemacht zu haben. Denn die letzten Wochen haben Spuren hinterlassen. Statt dringend benötigter Aufbruchstimmung, die angesichts eines runderneuerten Kaders möglich gewesen wäre, überwog schon in der völlig verkorksten Saisonvorbereitung bei vielen Fans das Gefühl, dass ihre große "Leidenschaft" erneut auf die ersten vier Buchstaben reduziert werden würde. Es kam, wie es kommen musste.

Kein Neuaufbau ohne Basis

Nun muss ein neuer Hoffnungsträger her, mitten in der Saison. Kein leichtes Unterfangen, schließlich stolpert das völlig verunsicherte und durch Verletzungen geschwächte Werder-Team derzeit von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen. Auf der Suche nach einem geeigneten Mann für den Job sind die Möglichkeiten limitiert. Zwar sind in André Breitenreiter und Markus Gisdol zwei Trainer verfügbar, die ihre Bundesligatauglichkeit bereits unter Beweis gestellt haben, doch Zweifel bleiben. Was die Bremer brauchen, ist ein Übungsleiter, der eine Basis für den Neuaufbau schafft. Wichtigster Baustein: Defensive Stabilität. Weder Breitenreiter, noch Gisdol stehen dafür.

Zudem muss in der kuscheligen Werder-Welt endlich der Fokus auf moderne Strukturen gelegt werden. Leistung vor Legendenstatus, Fortschritt vor Vereinstreue - auf wie neben dem Spielfeld. Ob es dazu kommt, bleibt gleichwohl fraglich. Allzu oft waren die Handlungsmotive der Führungsetage für Außenstehende kaum noch nachzuvollziehen. 31 Ligaspiele bleiben dem SVW noch, um den Umschwung zu schaffen - mehr als genügend Zeit also. Bleibt für alle Fans und Sympathisanten des Vereins zu hoffen, dass endlich die richtigen Schlüsse gezogen werden. Zweifel bleiben.

Heiko Lütkehus

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