30.06.2021 13:19 Uhr

Joachim Löw: Die Leere nach dem Sturm

Joachim Löw übergibt das Amt des Bundestrainers an Hansi Flick
Joachim Löw übergibt das Amt des Bundestrainers an Hansi Flick

Nach 5744 Tagen ist Joachim Löws Amtszeit als Bundestrainer vorbei. Was bleibt?

Im Schwarzwald-Idyll, wo sich das Jogi-Löw-Stadion des FC Schönau an den Hausberg Belchen schmiegt, geht bald ein ehemaliger Bundestrainer auf die Suche nach sich selbst. "Eine emotionale Pause ist wichtig für mich", sagte Joachim Löw in seinem letzten TV-Interview nach 15 Jahren Amtszeit. Er will den Panzer endlich brechen, die Schutzlosigkeit zulassen, "diese schwere Last der Verantwortung" abwerfen: "Dann wird auch wieder neue Energie kommen."

In der Ruhe des Wiesentals lag schon immer die Kraft des Bundestrainers, der dann ja wahrhaftig keiner mehr ist - man muss sich manchmal selbst daran erinnern. Nach Turnieren hat sich Löw seit jeher in die Einsiedelei zurückgezogen, dann kam unabhängig vom Erfolg die dunkle Leere nach dem Sturm: "All die Emotionen muss ich jetzt einordnen und verarbeiten."

Selbst nach dem WM-Titel 2014 war Löw, so hat er es erzählt, nicht weit "von einer depressiven Verstimmung" entfernt. Diesmal begleitet ihn die Diskussion über sein Vermächtnis: Was bleibt? "Mein Herz", versicherte Löw, "schlägt weiter schwarz-rot-gold."

Kapitän Manuel Neuer hatte "nach dem Abpfiff Richtung Trainerbank geschaut", was er erblickte, war traurig: "Besonders schmerzt, dass die Ära Jogi Löw so endet", schrieb er bei Instagram. "Wir haben ihm sehr viel zu verdanken. Alles Gute!" Im Großen und Ganzen, resümierte Uli Hoeneß schon vor Turnierbeginn, gehe Löw "durch den WM-Titel in die Annalen der Fußballgeschichte ein".

Löw scheut sich nicht, Fehler einzugestehen

Es war ja eine Ära des Erfolgs, durchaus, immer noch. Der Triumph von Rio, EM-Finale, EM-Halbfinals, WM-Dritter. Der Confed-Cup-Sieg 2017, Löws Jungbrunnen. Nie wieder hat man ihn derart frisch und mitreißend gesehen. So wenig Sturheit, so wenig "Scho au"-Gezaudere, so viel Freude! Die Mannschaft der Zukunft begeisterte - neun Spieler waren nun bei der EM dabei, davon zwei Ersatztorhüter. Einzig Joshua Kimmich spielte eine wirklich tragende Rolle.

Der Transfer der 2014er-Weltmeistermannschaft in eine goldene Zukunft ist Löw misslungen. Er hat es versucht, nachdem er blauäugig ins WM-Debakel 2018 gerannt war, taktische Entwicklungen ignorierend, nicht nur bildlich an der Laterne lehnend, im Irrglauben, der deutsche Fußball sei formidabel. Mit der Rückkehr von Thomas Müller und Mats Hummels sprang er über seinen Schatten - zu spät.

Er sei ein Mensch, und Menschen machen Fehler, sagt Löw. Die Frage, ob er "etwas bereut", hat er bissig gekontert: "WAS?" Die Entscheidung 2018 sei gewesen: "Okay, wir machen weiter, es gibt neue Ziele. Im Nachhinein zu reden, ist schwierig." Letztendlich, betont Löw, waren die vergangenen zwei, drei Jahre "auch sehr lehrreich".

So kann man es nennen. Das Vorrunden-Aus in Russland, der sportliche Abstieg in der Nations League, ein historisches 0:6 in Spanien, die Blamage gegen Nordmazedonien - alles trübt das ursprünglich stehende Bild des Aufrüttlers, der den deutschen Überfallfußball zum heißesten Stil der Welt formte. Wo war der Elan von 2010, 2014, 2017 danach? "Da könnte ein Feuer im Stadion ausbrechen, die würden weiter auf dem Rasen bleiben", sagte Lukas Podolski. Das EM-Aus erscheint als logische Konsequenz: Löw erstarrte ohne Plan B.

"Vom Ruhestand habe ich nie gesprochen"

Ihm bleibt "der Weg mit Menschen, da sind unglaublich starke Verbindungen gewachsen. Es gab Momente, die unvergesslich sind. Da fällt in einigen Jahren eine Niederlage mehr oder weniger nicht so ins Gewicht". Nun müsse er "die Enttäuschung und die Leere, die kommt, auch zulassen" - er habe "weder einen Urlaub noch sonstige Dinge" geplant.

In zehn, zwanzig Jahren wird Löw wahrscheinlich als großer Erneuerer dastehen, der den Absprung verpasste. Auch jetzt, wo es bei der Nationalmannschaft nach 198 Spielen vorbei ist, will der 61-Jährige weitermachen: "Vom Ruhestand habe ich nie gesprochen." An Hansi Flick übergibt er mit Stolz.

Es werden sich hochkarätige Interessenten finden. Doch zunächst wird Löw die Ruhe suchen, vielleicht im "Pit-Stop", der Gaststätte des FC Schönau am Jogi-Löw-Stadion. Vereinswirt ist sein Bruder Peter.

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