07.07.2016 12:07 Uhr

Frankreich: Am Tropf der Offensive

Das Offensiv-Feuerwerk von Dimitri Payet (r.) und Co. täuscht bisher über einige Schwächen hinweg
Das Offensiv-Feuerwerk von Dimitri Payet (r.) und Co. täuscht bisher über einige Schwächen hinweg

Nach einem holprigen EM-Start hat sich die Équipe Tricolore von Spiel zu Spiel gesteigert. Der fulminante 5:2-Sieg gegen überforderte Isländer offenbarte aber auch die Schwächen, mit denen der Gastgeber während des gesamten Turnierverlaufs zu kämpfen hatte. weltfussball.de nimmt den Viertelfinalgegner des DFB-Teams vor dem ersten Aufeinandertreffen beider Mannschaften seit der schrecklichen Pariser Terror-Nacht unter die Lupe.

Formkurve:

Der klare Sieg im Viertelfinale gegen den Underdog Island kann nur mit Abstrichen das tatsächliche Leistungsvermögen der französischen Elf abbilden. So konnten die Schwächen in der Defensive selbst gegen den Außenseiter mit zwei Gegentoren nur unzureichend kaschiert werden. Trotz allem herrscht in Frankreich jetzt eine Euphorie, die Pogba und Co. auch gegen den Weltmeister in das Finale tragen soll.

Der Spielplan meinte es allerdings bisher gut mit den Gastgebern. Nach Rumänien, Albanien und der Schweiz folgten Irland und Island in der k.o.-Runde. Nun wartet mit der deutschen Mannschaft der erste Gegner Marke Großkaliber auf die Franzosen. An Selbstvertrauen mangelt es dem zweimaligen Europameister aber nicht: "Wir wollen Revanche für 2014", tönte bereits Stürmer Oliver Giroud nach dem Halbfinaleinzug.

Schlüsselspieler: 

Im Schatten der überragenden Offensivabteilung hat sich Blaise Matuidi zum Schlüselspieler in Didier Deschamps Mannschaft entwickelt. Gerade nach der Verletzung von Lassana Diarra ist der 29-Jährige aus der Équipe tricolore nicht mehr wegzudenken. "Er ist immer da, er bearbeitet das gesamte Spielfeld, er ist beim Pressing stets zur Stelle", sagt Deschamps über den PSG-Star.

"Er ist eine Maschine. Er läuft und läuft und läuft. Ich würde nicht gerne gegen ihn spielen", äußert sich auch Klubkollege David Luiz anerkennend über die Qualitäten von Matuidi. Qualitäten, die gerade von Fußball-Experten anerkannt werden. Bereits im vergangenen Jahr wurde der Mittelfeldabräumer von einer hochkarätig besetzten Jury, unter anderem mit Zinédine Zidane und Jean-Pierre Papin, zum Spieler des Jahres in der Ligue 1 gewählt. 

Trainer:

Didier Deschamps hat sich allen Widerständen zum Trotz durchgesetzt und die Mannschaft dabei ganz nach seinem Ideal zusammengestellt. Disziplin im Kollektiv ist dem 47-Jährigen dabei besonders wichtig. Seinen Mittelfeld-Star Paul Pogba ließ er nach einem Verstoß gegen die Kleiderordnung beim zweiten Gruppenspiel zunächst auf der Bank schmoren. Auf Karim Benzema, der in einen Erpressungsvorfall mit Ex-Nationalmannschaftskollege Mathieu Valbuena verwickelt sein soll, verzichtete Deschamps bereits im Vorfeld gänzlich. Auch eine Rückholaktion von Franck Ribéry war wohl nie ernsthaft ein Thema.

Denen, die beim Heim-Turnier für Frankreich auf dem Platz stehen, vertraut der ehemalige Weltklasse-Spieler dagegen uneingeschränkt. "Wie sollen die Spieler an sich glauben, wenn ich beunruhigt wäre?", ließ der Trainer bereits vor dem EM-Auftakt verlauten. Gegen die deutsche Auswahl will Deschamps sein Heil in dem bisherigen Prunkstück, der Offensive, suchen: "Wir müssen sie in die Defensive zwingen", forderte der Coach für das Halbfinale.

Stärken & Schwächen:

Kein Teilnehmer zeigte sich bei der EURO bisher treffsicherer als die Franzosen. Bisher elf Tore im Wettbewerb sprechen eine klare Sprache. Die Star-Offensive um Antoine Griezmann (4 Tore), Dimitri Payet (3) und Olivier Giroud (3) trifft fast nach Belieben. Auch auf der Bank hat Deschamps mit Kingsley Coman und Anthony Martial noch starke Alternativen in der Hinterhand. Die Balance im französischen Spiel fehlt aber noch häufig. So setzte es gegen vermeintlich schwächere Gegner bereits vier Gegentore.

Die Abwehrkette ist nach Verletzungen und Sperren nicht eingespielt. Gegen Island ließ man sich zudem gleich zweimal von einem einfachen Einwurf-Trick düpieren. So warnte auch Giroud direkt nach dem Viertelfinale: "Gegen Deutschland werden wir für Fehler wie heute härter bestraft." Beim Duell mit der DFB-Elf dürfte dann wieder der zuvor gesperrte Adil Rami in die Innenverteidigung rücken. Der bittere EM-Ausfall des eigentlichen Abwehrchefs Raphaël Varane schmerzt die Équipe allerdings noch immer.

Ein Vorteil dürfte hingegen das heißblütige Publikum in Marseille sein. Zu hoch wollte Bundestrainer Joachim Löw den Heimvorteil für Frankreich aber nicht bewerten: "Das ist ja auch eine Motivation. In Brasilien war es ja genauso im Halbfinale. Da stand ein ganzes Land mit 200 Millionen Menschen hinter ihrer Mannschaft. Da sind wir auch gut mit klar gekommen."

Prognose für das Deutschland-Spiel:

Die Nervenschlacht gegen Italien hat ihren Tribut gefordert. Trotz der verletzungsbedingten Ausfälle von Sami Khedira und Mario Gomez sowie der Sperre von Mats Hummels, geht die DFB-Elf aber als Favorit ins Rennen. "Wir haben keinen Qualitätsverlust", betonte bereits Thomas Müller im Vorfeld des Spiels. Zuletzt gab immerhin Bastian Schweinsteiger grünes Licht für einen Einsatz.

Gegen Frankreich trifft die beste Defensive (ein Gegentor) auf die bisher torhungrigste Mannschaft. Wenn Boateng und Co. aber ähnlich konsequent und abgeklärt zu Werke gehen wie gegen Italien, hat die französische Offensiv-Power keine Chance zur Entfaltung zu kommen. Mit einem 2:0-Sieg zieht der Weltmeister schlussendlich souverän ins Endspiel ein.

Falk Velten

Online-Wettanbieter: bet365 | Interwetten | sportingbet | Tipico Sportwetten