Storck: "Versuche, Aufklärung zu betreiben"

Bernd Storck hat mit Ungarn für die erste Überraschung der EM gesorgt. Nach dem Sieg gegen Österreich haben die Magyaren beste Chancen auf das Achtelfinale. Im Interview spricht Storck über sein erstes großes Turnier als Trainer, die Stimmung in Ungarn und Premierminister Viktor Orbán.
Herr Storck, Ihr Team hat mit dem Sieg gegen Österreich für die erste große Überraschung gesorgt. Besser hätte der EM-Start nicht sein können, oder?
Nein, natürlich nicht. Die Jungs haben das fantastisch gemacht. Sie haben sich für die harte Arbeit in den vergangenen Wochen und Monaten belohnt. Natürlich sind wir alle überglücklich, aber wir müssen den Sieg jetzt abhaken. Am Samstag steht gegen Island schon das nächste schwere Spiel an.
Ungarn ist zum ersten Mal seit 44 Jahren wieder bei einer EM dabei, für Sie es ist es sogar das erste große Turnier als Trainer. Was bedeutet Ihnen diese EM-Teilnahme persönlich?
Natürlich ist es toll, hier zu sein, das will ich gar nicht verhehlen. Aber ich möchte gar nicht so viel über mich reden. Es geht um das Team und den ungarischen Fußball. Und für den ist es toll, dass er wieder einmal bei einem großen Turnier dabei ist. Die Spieler können so viel mitnehmen von dieser EM. Sie sind ja sonst international so gut wie gar nicht vertreten. Es gibt verdammt viel zu tun, aber es macht sehr viel Spaß.
Sie haben die EM-Qualifikation als "Wunder von Budapest" bezeichnet. Was ist denn in Frankreich drin für ihr Team?
Mit dem Sieg gegen Österreich haben wir bereits das nächste kleine Wunder geschafft. Wenn wir die Gruppenphase überstehen würden, wäre das das nächste große Wunder. Aber soweit denken wir noch nicht. Wir schauen nur von Spiel zu Spiel. Und ich sehe insgesamt gar nicht nur diese EM. Ich habe die Weiterentwicklung der Mannschaft insgesamt im Blick. Nach der Europameisterschaft steht schon wieder die Qualifikation für die WM in Russland an. Da wollen wir wieder eine gute Rolle spielen. Die Teilnahme hier soll nicht nur eine Momentaufnahme sein. Es ist eine Riesenherausforderung, den ungarischen Fußball dauerhaft wieder aus der Versenkung zu holen.
Was fehlt dem ungarischen Fußball denn am meisten?
Vor allem Erfahrung. Schauen Sie, die Nationalmannschaft war zuletzt vor 30 Jahren bei der WM in Mexiko bei einem großen Turnier dabei. Die Clubs spielen international fast keine Rolle. Die schaffen es meist nicht einmal in die Gruppenphase der Europa League, von der Champions League ganz zu schweigen. Österreich hat 15 Spieler im Kader, die in Deutschland spielen. Wir gerade einmal vier. In vielen ungarischen Vereinen sind die Erfahrungen mit moderner Leistungsdiagnostik und Trainingssteuerung noch nicht so verankert. Auch kindergerechtes Training gibt es bislang nicht. Von daher versuche ich hier, zusammen mit Andreas Möller und Holger Gehrke auch ein bisschen Aufklärung zu betreiben und Dinge zu erklären.
Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie die negative Stimmung der Nationalmannschaft gegenüber bemängelt. Hat sich das inzwischen geändert?
Im Moment ist die Euphorie in Ungarn groß, das sieht man ja auch daran, wie viele Fans uns hier in Frankreich begleiten. Die großen Erfolge der Vergangenheit sind im Bewusstsein aber immer noch tief verankert, das kann für die Spieler schon zu einer Last werden. Bevor ich kam, war es so, dass ein Spieler, wenn er einen Fehler gemacht hat, gar nicht mehr zur Nationalmannschaft zurückgekommen ist. Der war weg vom Fenster. Die Stimmung war nach dem Motto: "Ach, das schafft ihr doch eh nicht." Auch, nachdem wir das Hinspiel in den Play-offs in Oslo gegen Norwegen gewonnen hatten, haben die Leute noch gesagt: "Toll, aber am Ende reicht es doch wieder nicht."
Es hat aber gereicht...
Ja, und dadurch hat sich das Bewusstsein schon ein bisschen verändert. Die Leute glauben wieder an das Team, die Stimmung ist positiver. Es ist ja toll und verständlich, dass die Helden der 50er Jahre um Ferenc Puskas hier verehrt werden. Jetzt haben wir aber eine neue Generation, die es verdient hat, eine Chance zu bekommen. Die Jungs arbeiten sehr hart, sind sehr wissbegierig. Und sie holen auf. Das zeigen wir ihnen auch anhand von Daten. Im Läuferischen sind sie von den Werten her mit den anderen Teams gleichauf.
Quasi der Opa dieser Generation ist Gabor Kiraly, der zum ältesten Spieler der EM geworden ist. Wie wichtig ist er?
Gabor ist ein klasse Typ und ein herausragender Torwart. Ich habe ihm von Anfang an gesagt, bei mir spielt das Alter keine Rolle. Bei mir gibt es nicht jung oder alt, sondern nur gut oder schlecht. Und Gabor ist einfach überragend. Mit seiner Erfahrung und Ruhe ist er ein ganz wichtiger Bestandteil der Mannschaft.
Ein großer Fan des Nationalteams ist auch Premierminister Viktor Orbán, der wegen seiner Politik im Westen umstritten ist. Wie ist Ihr Verhältnis zu ihm?
Orbán ist ein großer Unterstützer des Fußballs, ja des Sports allgemein. Er hat zum Beispiel ein spezielles Steuersystem eingeführt, dass es Unternehmen ermöglicht, in den Fußball zu investieren. Sein Hauptinteresse gilt nun einmal seinen Landsleuten und seinem Land. Das steht für ihn an erster Stelle.
Mit welchem Abschneiden wäre er denn bei der EM zufrieden? Und wann würden Sie für sich sagen: Das war ein gutes Turnier?
Wenn die Jungs alles gegeben haben und in ihrer Entwicklung einen Schritt nach vorne gemacht haben, dann wäre ich zufrieden. Was dann am Ende dabei herausspringt, das werden wir sehen. Portugal und Österreich sind weiter die großen Favoriten in unserer Gruppe, die sind für uns weit weg. Für uns geht es nach wie vor mit Island um Platz drei. Wobei auch die Isländer nicht zu unterschätzen sind.
Und was trauen Sie der deutschen Mannschaft zu?
Sehr viel, Deutschland zählt für mich zum absoluten Kreis der Favoriten. Die individuelle Klasse ist enorm, trotzdem haben wir gegen sie in Gelsenkirchen über weite Strecken sehr gut mitgehalten. Das macht mir wiederum Hoffnung für unser Team.