12.05.2015 09:30 Uhr

Luis Enrique: Mastermind oder Marionette?

Luis Enrique ist mit dem FC Barcelona auf dem Weg ins Champions-League-Finale
Luis Enrique ist mit dem FC Barcelona auf dem Weg ins Champions-League-Finale

Luis Enrique ist auf dem Weg, mit dem FC Barcelona das zweite Triple der Klubgeschichte zu gewinnen. Plötzlich gilt er als Trainer von Weltformat. Dabei stand der 45-Jährige noch im Januar mit dem Rücken zur Wand.

Sir Alex Ferguson hat es 1999 mit Manchester United geschafft. Pep Guardiola zehn Jahre später mit dem FC Barcelona. 2010 feierte José Mourinho es als Inter-Trainer. Und Jupp Heynckes schenkte es dem FC Bayern im Jahr 2013: das Triple aus Champions League, Meisterschaft und nationalem Pokal.

Seitdem der Pokal der Landesmeister vor gut 20 Jahren in den neuen Modus umgewandelt wurde, haben nur vier Trainer es fertig gebracht, gleichzeitig erfolgreich auf allen Hochzeiten zu tanzen. Ferguson, Guardiola, Mourinho und Heynckes bilden den Trainer-Olymp der jüngeren Vergangenheit.

Neu im Olymp?

Gut möglich, dass in knapp vier Wochen ein weiterer Trainer in diesen Olymp aufsteigt: Luis Enriques FC Barcelona hat die spanische Meisterschaft beinahe sicher, das Pokalfinale gegen Athletic Bilbao bereits erreicht und steht nun vor dem Einzug ins Endspiel der Königsklasse. Plötzlich ist Enrique ein Trainer von Weltformat. 

Eine Aussage, die in der Tat plötzlich kommt. Denn gerade einmal vier Monate ist es her, da schien es, als stünde seine Amtszeit bei der Blaugrana schon vor ihrem schnellen Ende.

Kurz vor dem Aus

Ein Blick zurück: Im ersten Spiel des Jahres hatte Barça mit 0:1 bei Real Sociedad verloren und stand vier Punkte hinter Real Madrid "nur" auf Platz zwei.

Der Grund für die Fans: Der Coach hatte den Sieg wegrotiert. Gegen die Basken hatten unter anderem Neymar, Dani Alves und Lionel Messi zunächst nur auf der Bank gesessen. Die Anhänger pfiffen Enrique aus, dessen Herangehensweise ihnen schon länger sauer aufstieß. Zu pragmatisch und zu rustikal war der Fußball, zu wenig Zauber schwebte durch das Camp Nou. Enrique war zu wenig Ästhet und charismatischer Mann von Welt. Zu wenig Pep Guardiola.

Und auch mit den Spielern war das Verhältnis zerrüttet: In der Kabine soll es zu üblen Beschimpfungen und Bedrohungen gekommen sein. Als Barcelona wenige Tage später einen Kantersieg im Pokal einfuhr, reagierte Neymar bei seiner Auswechslung mit demonstrativ hämischem Kopfschütteln.

Mit Lionel Messi soll es derweil überhaupt keine Kommunikation mehr gegeben haben. Der Argentinier war frustriert darüber, häufig von der Bank zu kommen und kokettierte öffentlich mit einem Wechsel: "Ich weiß nicht, wo ich nächste Saison spiele", sagte er bei der Gala um den Ballon d’Or. Sofort sprossen Spekulationen aus dem Boden, La Pulga könnte für eine aberwitzige Summe nach England wechseln.

Team solidarisch mit Messi

Die Mannschaft machte klar, auf wessen Seite sie stand: "Wir folgen Messi, er ist unser Anführer", sagte Verteidiger Marc Bartra. Die "Mundo Deportivo" titelte darauf: "Es gibt nur eine Lösung: die Entlassung von Luis Enrique."
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Schwierige Zeiten für einen Trainer in diesem stolzen Gebilde, das sich selbst als "mehr als ein Klub" (mes que un club) bezeichnet. In dieser schwierigen Phase stärkte ausgerechnet Vereinsikone Pep Guardiola in der "Marca" seinem Nachfolger den Rücken: "Er wird Erfolge feiern und Titel sammeln. Allerdings muss man ihm auch die nötige Zeit dafür geben."

Die Situation hatte Folgen: Sportdirektor Andoni Zubizarreta musste gehen. Enrique durfte bleiben – auf Bewährung.

Trendwende geschafft

Nur wenige Monate später wirkt das skurril. Seit jener Niederlage Anfang Januar hat der FC Barcelona außer einem Remis (2:2 gegen Sevilla) und einer Niederlage (0:1 gegen Málaga) alle 28 Pflichtspiele gewonnen und die Fußballwelt verzückt.

Doch was hat die Wende gebracht? Barça spielt unter Enrique einen anderen Fußball als damals unter Guardiola. Standardsituation haben eine höhere Wichtigkeit, die Defensive steht mehr im Fokus der Trainingsarbeit, Fernschüsse sind ebenso in gewissen Situationen ein Mittel wie eine rustikale Zweikampfführung. All das war jedoch auch schon in der Hinrunde so.

Der große Unterschied: Enrique hat sich mit den Machtverhältnissen arrangiert. Messi, Neymar und Luis Suárez spielen immer, zuletzt wurden sie nicht einmal mehr ausgewechselt. Das Trio dankt es dem Trainer mit überragenden Leistungen und Toren am Fließband.

Historische Bilanz

Nach wie vor wirken Messi und sein Trainer nicht wie die besten Freunde. Doch La Pulga weiß die Herangehensweise des 45-Jährigen zu schätzen: Während Guardiola einst ohne echten Stürmer spielen ließ, besteht Enrique auf einem System mit seinen drei Stürmern als Zielspieler – ausgestattet mit einer großen kreativen Freiheit. Der Chemie innerhalb des magischen Dreiecks kommt dies zugute. Und das wiederum ist der X-Faktor im Spiel der Katalanen. Das Trio ist in Topform, schießt Tore und bringt Ergebnisse.

Die Bilanz des aktuellen Trainers liest sich mittlerweile beeindruckend: Von 55 Pflichtspielen hat seine Mannschaft 47 gewonnen. Zu diesem Zeitpunkt hatte selbst Guardiola in seiner historischen Triple-Saison keine so starke Bilanz.

Marionette von Messi?

Enrique hat die Kurve gekriegt und sein Team in der entscheidenden Phase auf den Weg des Erfolgs gebracht. Der Zusammenschluss mit seinen Superstars hat gezeigt, dass Enrique nicht der Sturkopf ist, als der er öffentlich häufig dargestellt wird. Das ist die eine Seite der Medaille. Etwas zynischere spanische Medien nannten ihn auch schon eine "Marionette von Messi". Die Spekulationen, das Team coache sich quasi selbst, und das Verbot, einen seiner Stars auszuwechseln, schwebt wie ein Damokles-Schwert über Enriques Kopf.

Sollten künftig Phasen kommen, in denen die Leistungsträger überspielt oder gar angeschlagen sind und nicht immer auf dem Feld stehen, könnte es schwierig um sein Standing werden. Dann wird sich zeigen, ob sein Gentlemen's Agreement mit Messi und Co. ein Zeichen von Stärke oder eben von Handlungsunfähigkeit ist.

Wie jeder andere wird sich letztlich auch Luis Enrique an Titeln messen lassen müssen. Beziehungsweise dürfen: Denn er ist auf einem guten Weg, in den Olymp der Triplesieger aufzusteigen – auf dem Weg zum Weltformat.

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Jochen Rabe

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