04.08.2023 17:56 Uhr

Der Niedergang des deutschen Fußballs

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Frauen ist bei der WM ausgeschieden
Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Frauen ist bei der WM ausgeschieden

Der deutsche Fußball liegt am Boden. Der DFB muss Grundsätzliches ändern.

Bernd Neuendorf saß auf gepackten Koffern. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) wollte das Frauen-Nationalteam bei der WM in Australien und Neuseeland ab dem Achtelfinale vor Ort anfeuern. Inzwischen liegen seine Sachen wieder im Schrank, das Ticket ist storniert.

"Ich hätte die Mannschaft gerne bis ins Finale begleitet", sagte der DFB-Boss am Freitagabend bei einer Presserunde in Hanau: "Nun muss ich leider zu Hause bleiben. Ich hätte es mir anders gewünscht."

Neuendorfs Fehleinschätzung ist bezeichnend. Ein Vorrunden-Aus war für den einst so ruhmreichen Verband unvorstellbar. Dabei ist das historische WM-Debakel nur ein weiterer Mosaikstein im Gesamtbild vom Niedergang des deutschen Fußballs.

Dieser, so stellte der "Tagesanzeiger" in der Schweiz nach der Blamage von Brisbane fest, sei "nur noch ein Scheinriese". Der legendäre Ausspruch des englischen Ex-Stürmers Gary Lineker: 'Fußball ist ein einfacher Sport: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball hinterher und am Ende gewinnt Deutschland', ist inzwischen veraltet.

Gewonnen haben die beiden A-Nationalmannschaften schon länger nichts mehr. Die Männer 2014 den WM-Titel in Brasilien, die Frauen zwei Jahre später olympisches Gold an gleicher Stelle im Maracana von Rio de Janeiro. Und danach?

Die Männer scheiterten 2018 und 2022 in der WM-Vorrunde, die U21 ereilte in diesem Sommer das gleiche Schicksal als Titelverteidiger bei der EM. Und nun stürzten die hoch gehandelten Frauen in der vom Papier her leichtesten Vorrundengruppe böse ab.

Rudi Völler sieht kein grundlegendes Problem

Ein grundlegendes Problem im deutschen Fußball sehe er deswegen aber nicht, sagte Rudi Völler am Freitag bei einem DFB-Termin in seiner Heimatstadt Hanau. "Die A-Mannschaft der Männer, die U21 und jetzt die Frauen - das alles unter einen Hut zu bekommen, wäre falsch. Das muss man alles getrennt beurteilen, da gibt es Gründe für", so der DFB-Direktor.

Doch viele Probleme sind hausgemacht - und der größte nationale Sport-Fachverband der Welt scheint aus seinen Fehlern nicht zu lernen. Der Verfall der Vorzeige-Mannschaften ähnelt sich in dramatischen Zügen: Persönlichkeiten auf dem Platz sind rar, es mangelt an Wettkampfhärte, es fehlt der Konkurrenzdruck, und bei der Ausbildung des Nachwuchses wurden im Glanz der früheren Erfolge Entwicklungen verschlafen.

Wie die Männer 2018 in Watutinki und 2022 in der Wüste Katars suchten sich auch die Frauen ein WM-Quartier in der Abgeschiedenheit in Wyong. Die Pläne lassen zumindest die Vermutung zu, dass sie ähnlich wie Oliver Bierhoff in Russland vor fünf Jahren das Turnier "von hinten gedacht" haben. Ebenso wie bei den Männern wurden Warnsignale ignoriert. Die verpatzte Generalprobe gegen Sambia (2:3) wurde ebenso heruntergespielt wie die Niederlage im zweiten Gruppenspiel gegen Kolumbien (1:2).

Der ehemalige U21-Erfolgstrainer Stefan Kuntz sieht derweil auch "ein gesellschaftliches Problem", weil man letztendlich versuche "den Kindern so viele Konflikte wie nur möglich abzunehmen". Dabei, sagte der türkische Nationaltrainer zuletzt bei Sport1, führe "jeder einzelne Konflikt dazu, die Persönlichkeit und den Charakter zu fördern. In Konflikten lernst du dazu".

Martina Voss-Tecklenburg darf wohl weitermachen

Für Martina Voss-Tecklenburg wird das frühe WM-Aus derweil wohl keine Folgen haben, Neuendorf stärkte der Bundestrainerin am Freitag den Rücken.

"Ich bin doch sehr sicher, dass sie mit der Mannschaft wieder die Kurve kriegen kann", sagte der DFB-Präsident in Hanau. Ein Jahr nach der erfolgreichen EM und der Vertragsverlängerung mit Voss-Tecklenburg sei es "nicht der richtige Weg, das alles jetzt in Frage zu stellen aufgrund eines enttäuschenden und sicherlich auch in Teilen nicht befriedigenden Ergebnisses und Auftretens."

Für den deutschen Fußball ruhen die großen Hoffnungen nun auf der Heim-EM 2024. "Hoffentlich", schrieb die ehemalige DFL-Chefin Donata Hopfen im sozialen Netzwerk LinkedIn, "wachen die Verantwortlichen in Fußball-Deutschland vor der EM im eigenen Land auf, sonst wird aus dem erhofften Sommermärchen ein Sommergrusel."

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