Koller: Mit Professionalität gegen die Vorbehalte

Marcel Koller hat Österreich wieder zu einem Kandidaten im Kampf um die WM-Qualifikation geformt. Dabei hatte er anfangs mit Gegenwind zu kämpfen – vom Boulevard und Legenden der "Generation Cordoba".
Ein Lächeln legt sich Marcel Kollers Gesicht, als er vor dem Qualifikationsspiel gegen Deutschland mit einer Aussage von Joachim Löw konfrontiert wird. Deutschland werde auf jeden Fall ein Tor mehr erzielen als Österreich. "Er kann sich ja nicht hinstellen und sagen, Österreich ist Favorit und wir haben Angst. Die Deutschen sind klarer Favorit", erwidert der österreichische Nationalcoach. Um dann jedoch bestimmt hinzuzufügen: "Aber wir hoffen schon, dass wir danach über diese Aussage schmunzeln können."
Ein neues Selbstvertrauen ist beim ÖFB eingekehrt. Der 2:1-Sieg beim wichtigen Qualifikationsspiel im Juni gegen Schweden hat das Land in Euphorie versetzt. Die Teilnahme an der WM 2014 in Brasilien ist zum Greifen nahe. Es wäre die erste seit 16 Jahren.
Ein Gesicht dieser neuen Stärke Österreichs ist Marcel Koller. Der Schweizer arbeitet akribisch und hat eine klare Idee davon, wie sein Fußball aussehen soll. Rund zwei Jahre nach Kollers Amtsantritt zieht ÖFB-Präsident Leo Windtner ein positives Zwischenfazit: "Er hat die Erwartungen bisher voll und ganz erfüllt. Die Öffentlichkeit hat registriert, dass im ÖFB professionell gearbeitet wird. Der Zusammenhalt im Team ist beeindruckend."
Starker Gegenwind beim Amtsantritt
Rückendeckung von Verband und Spielern – die Situation für den 52-Jährigen wirkt optimal, um in Ruhe an der Entwicklung seiner Mannschaft zu arbeiten. Das war nicht immer so.
Die Entscheidung, Koller im Herbst 2011 zum österreichischen Nationaltrainer zu machen, führte zu heftiger Kritik. Boulevard und österreichische Spielerlegenden aus der "Generation Cordoba" empörten sich. Österreichs Jahrhundertfußballer Herbert Prohaska etwa kritisierte die Entscheidung in seiner Kolumne in der "Krone" scharf. Für das Amt hätte man jemanden gebraucht, "der Österreich und die Strukturen kennt", sprich: einen Österreicher. Außerdem sei Koller bereits seit zwei Jahren aus dem Geschäft.
Nahrung hatte derartige Kritik in der jüngeren Vergangenheit bekommen: Der Tscheche Karel Brückner wollte bei seinem Engagement (2008-2009) nicht nach Wien ziehen, betreute das Team stattdessen von seiner Heimat aus und wirkte in den Medien unbelehrbar. Die Gründe für sein Scheitern waren schnell ausgemacht. Dass als Nachfolger mit Didi Constantini ein klassisch österreichisch verwurzelter Trainer eingesetzt wurde und ebenfalls scheiterte, sei nur am Rande erwähnt.
Professionelle Öffentlichkeitsarbeit
Aber nun Koller? Die Kritik war groß. Der Schweizer allerdings zeigte sich gut vorbereitet und ging das Thema Öffentlichkeitsarbeit hochprofessionell an – vor allem im Bereich Social Media. So brachte er beispielsweise ein Video in Umlauf, indem er ein U21-Spiel gegen die Niederlande analysiert und sich dabei demonstrativ Notizen auf einem ÖFB-Block macht – eine Aktion, die positiv aufgenommen wurde.
Auch mit seiner ruhigen, sachlichen Art konnte Koller punkten. Von den Vorbehalten des Boulevard unbeeindruckt, versuchte er, seine Art des Fußballs zu vermitteln: Ein 4-2-3-1 mit starkem Gegenpressing und schnellem Passspiel. "Wenn ich mit zwei oder drei Kontakten vor das Tor kommen kann, muss ich nicht 50-mal hin- und herspielen", so Kollers Credo. Ein attraktiver Fußball, der den Fans gefällt.
Dem potenziellen Konfliktherd "Wohnort" ging Koller ebenfalls aus dem Weg und zog direkt nach Wien. "Für mich war immer klar, dass ich hier leben will, mittendrin, immer erreichbar. Auch, um die Mentalität kennenzulernen", sagte er der Tageszeitung "Österreich".
Koller ist darauf bedacht, wenig Angriffsfläche zu bieten. Mit Erfolg: Die starke Kritik der Anfangszeit ist abgeebbt. Der Verband stellte dem Schweizer zuletzt sogar eine Verlängerung seines bis Sommer 2014 gültigen Arbeitspapieres in Aussicht.
Kontinuität oder Starrsinn?
Der ÖFB sehnt sich nach Kontinuität und Koller scheint der Mann zu sein, mit dem diese möglich ist. Wie in seinen kontinuierlich scharfen Analysen, ist er auch bei der Spielernominierung nicht wankelmütig, vertraut stattdessen einem Stamm. Spieler, die das Vertrauen des Trainers gewonnen haben, dürfen sich auch mal zwei, drei schlechtere Spiele erlauben.
Doch gerade in der personellen Kontinuität liegt eine Gefahr. Zuletzt wurde Koller immer wieder das Festhalten an Marc Janko vorgeworfen. Der Angreifer ist seit seinem Wechsel zu Trabzonspor nur noch Ergänzungsspieler, mit Philipp Hosiner sitzt ein vielversprechender Ersatz aus der heimischen Bundesliga (letzte Saison 32 Tore in 34 Spielen) nur auf der Bank.
Im Fall des Misserfolgs kann die Begeisterung über das Vertrauen des Trainers in Vorwürfe des Starrsinns umschlagen. "Schlussendlich sind die Resultate die Messlatte", knüpft ÖFB-Präsident Windtner eine Verlängerung von Kollers Vertrag an eine klare Bedingung.
Der Schweizer ist sich dessen bewusst. Und so bereitet er sich auf das große Spiel gegen Deutschland mit dem für ihn typischen langfristigen Blick vor: "Es bringt nichts, Deutschland zu besiegen, wenn wir in Brasilien nicht dabei sind."
Jochen Rabe