Schweiz vor WM-Auftakt: Dabei sein ist nicht genug

Der Druck auf die Schweiz bei der WM ist hoch, das Ziel heißt Viertelfinale. Nur dabei sein reicht den Anhängern längst nicht mehr. Die Erwartungshaltung ist deutlich gewachsen.
Knapp vier Monate nach der "Schande von Basel", als Anhänger der "Nati" ausgerechnet bei der erfolgreichen WM-Qualifikation im Playoff-Duell gegen Nordirland den unglücklich agierenden Stürmer Haris Seferovic niederpfiffen, war der 6:0-Sieg gegen Panama Ende März so etwas wie eine Versöhnung.
Der unschöne Vorfall kann mit Blick auf die WM-Endrunde in Russland auch etwas Gutes haben, sagt Ottmar Hitzfeld. Der Schweizer Ex-Nationaltrainer glaubt, dass das Team noch enger zusammengerückt sei, es könne "die Mannschaft noch mehr anspornen, wenn ein paar Chaoten pfeifen".
Die Unmutsbekunden kamen vor allem deshalb überraschend, weil sich die Schweiz an diesem Abend am 12. November in Basel zum vierten Mal in Folge für eine WM-Endrunde qualifiziert hatte - wenn auch mit viel Mühe. "Ein Wunder für ein kleines Land, wie wir es sind", schrieb die Zeitung "Blick". Doch nur dabei zu sein, das reicht vielen Anhängern längst nicht mehr. Der Anspruch ist der Einzug ins WM-Viertelfinale. Das ist der Schweiz zuletzt vor 64 Jahren im eigenen Land gelungen.
- Der Star: Granit Xhaka
Granit Xhaka lässt sich nichts gefallen. Im Zweikampf nicht und im verbalen Schlagabtausch erst recht nicht. Als kürzlich Stürmer Troy Deeney vom FC Watford ihm und den anderen Profis des FC Arsenal fehlende Männlichkeit vorwarf, konterte Xhaka: "Wenn er glaubt, dass wir keine Eier haben, dann soll er in unsere Kabine kommen und sich selbst überzeugen."
Der auf und neben dem Platz unbequeme Xhaka ist einer, an dem sich seine Mitspieler aufrichten können. Auf seine Führungsqualitäten setzt auch die Schweizer Nationalmannschaft bei der Fußball-WM in Russland. Der in Basel geborene Sohn kosovo-albanischer Eltern vereint viel Temperament mit viel Klasse.
Im defensiven Mittelfeld geht Xhaka rustikal zur Sache, aber er hat auch ein feines Gespür für den richtigen Pass im richtigen Moment und die taktischen Vorgaben des Trainers. "Er ist das Gehirn dieser Mannschaft geworden", sagte der Schweizer Ex-Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld.
Kraft schöpft der frühere Mönchengladbach-Profi aus dem Familienleben. Er und Bruder Taulant, der für das albanische Nationalteam spielt, geben noch heute aus Dankbarkeit "80 Prozent unserer Einkommen geben wir zu Hause ab", verriet Xhaka vor einiger Zeit. Sein Vater Ragip Xhaka, der 1986 als Student bei einer Demonstration gegen die kommunistische Zentralregierung Jugoslawiens zu sechs Jahren Haft im Gefängnis verurteilt worden war, habe ihm und seinem Bruder das Kämpfen beigebracht: "Deshalb bringen wir diese Stärke auf den Platz."
>>> der WM-Kader der Schweiz in der Übersicht
- Der Trainer: Vladimir Petkovic
Die Schweizer Fußball-Nationalmannschaft ist ein Schmelztiegel unterschiedlichster Nationen. Von diesem Aspekt her passt Vladimir Petkovic hervorragend zu diesem Multi-Kulti-Team. Der im ehemaligen Jugoslawien geborene Nationaltrainer hat wie die meisten seiner Spieler einen Migrationshintergrund.
Dass der 54-Jährige die "Nati" aber auch sportlich voranbringt, wird die WM in Russland zeigen. Bei der EM 2016 führte der Nachfolger von Ottmar Hitzfeld die Schweiz bis ins Achtelfinale, die EM-Qualifikation zuvor war jedoch ebenso wie das Erreichen der WM-Endrunde über die Playoffs gegen Nordirland eine Qual.
Die Ansprüche in der Schweiz sind höher, Petkovic muss auch mit dem Erwartungsdruck kämpfen. Der frühere Trainer von Lazio Rom mache "einen sensationellen Job", lobte Vorgänger Hitzfeld, "der Fußball unter Petkovic ist attraktiv".
Das sehen viele Fans anders. Bei einem WM-Aus in der Gruppenphasen würden sie bei dem unnahbar wirkenden Petkovic sicher den Daumen senken.
- Die Prognose:
Seit einigen Jahren zählt die Schweiz nun schon zum erweiterten Kreis der europäischen Spitzenmannschaften. Aus gutem Grund: Auf vielen Positionen sind die Eidgenossen erstklassig besetzt, verfügen über Spieler, die ihr Geld in der Premier League, Bundesliga und Serie A verdienen.
In den entscheidenden Momenten fehlte dem Team bei den großen Turnieren jedoch das gewisse Etwas - und das Glück. Mit Costa Rica wird sich die Elf in der Gruppe um den zweiten Platz streiten. Dass die Reise in diesem Jahr bis ins Viertelfinale geht, ist mit Blick auf den möglichen Achtelfinalgegner Deutschland jedoch unwahrscheinlich.