08.05.2018 10:31 Uhr

"Doof für mich": Kießling kritisiert Joachim Löw

Ein Bild aus gemeinsamen Zeiten: Löw (li.) und Kießling
Ein Bild aus gemeinsamen Zeiten: Löw (li.) und Kießling

Stefan Kießling hat wenige Tage vor seinem Karriere-Ende den Umgang von Bundestrainer Joachim Löw mit ihm kritisiert.

In einer Aussprache 2013 habe ihm Löw gesagt, "dass ich nicht in sein System passe. Das habe ich akzeptiert", sagt der Torjäger von Bayer Leverkusen im Interview mit der "Deutschen Presse-Agentur": "Doof für mich war nur, dass er das nie öffentlich gesagt hat und das Thema immer wieder unnötig aufkam."

Kießling war nach seinem sechsten Länderspiel im Spiel um Platz 3 bei der WM 2010 nicht mehr von Löw nominiert worden. Als Kießling im Jahr 2013 Bundesliga-Torschützenkönig wurde, forderten viele Fans und Experten öffentlich seine Rückkehr ins DFB-Team. "Es hat sich ehrlich gesagt durchaus auch gut angefühlt, dass die Menschen mich in der Nationalmannschaft sehen wollten", sagt der 34-Jährige heute: "Nur der Bundestrainer wollte mich eben nicht. Ich habe aber nie verstanden, warum öffentlich eine Aussprache zwischen uns gefordert wurde. Ich hatte ja nichts getan. Und der Bundestrainer auch nicht."

"Ich war kein Stinkstiefel"

Ob Löw ein Problem mit ihm hatte? "Da müssen Sie ihn fragen. Ich hatte keine Probleme mit ihm. Ich war ja auch nur ein kleiner Fisch im Teich, war nur selten dabei. Und ich war sicher kein Stinkstiefel", beteuert Kießling. Gerüchte über einen Disput bei der WM 2010 bestreitet er nicht gänzlich. "Natürlich war ich unzufrieden, denn ich hätte gerne mehr gespielt", sagt er: "Aber ich habe nix angestellt oder gegen den Trainer geschossen."

Auf die US-Reise 2013, für die er wohl nominiert worden wäre, verzichtete er freiwillig. Was er nicht bereut. "Warum auch?", fragt er: "Als Notnagel ohne Aussicht auf eine Perspektive - das musste nicht sein. Da war der Urlaub schöner."

Kießling wird nach dem Spiel von Bayer am Samstag gegen Hannover seine Profi-Karriere beenden. Für Leverkusen geht es um den Einzug in die Champions League. Kießling spielt seit 2006 für die Werkself.


Im ausführlichen Interview spricht Kießling nicht nur über Joachim Löw, sondern auch über sein Phantomtor und seine Hüftprobleme.

Wie schwer wird Ihnen der Abschied vom Profi-Fußball fallen?

Stefan Kießling: Ehrlich gesagt nicht so schwer. Ich werde alles in mich aufsaugen und es wird sicher hochemotional werden. Natürlich werde ich auch Dinge vermissen. Aber die schmerzende Hüfte sagt mir: Es ist der richtige Zeitpunkt.

Bereuen Sie, nicht im vergangenen Sommer aufgehört zu haben?

Nein, absolut nicht. Körperlich war das zusätzliche Jahr eine Quälerei, meinem Körper habe ich damit sicher keinen Gefallen getan. Aber vergangenes Jahr wäre es schwierig gewesen, aufzuhören, weil es vorher nicht klar war und somit kein bewusster Abschied gewesen wäre.

Sie haben einen Knorpelschaden und Arthrose im Hüftgelenk. Sorgen Sie sich, irgendwann ein künstliches Hüftgelenk zu brauchen?

Ich bin in jedem Fall gefasst darauf. Ich Moment denke ich bewusst noch nicht darüber nach. Aber wenn die Schmerzen nach dem Karriereende nicht weniger werden sollten, muss ich mir darüber Gedanken machen.

Sind Sie in erster Linie stolz auf das Erreichte? Oder ärgert es Sie, keinen Titel gewonnen und "nur" sechs Länderspiele zu haben?

Ich bin wirklich superstolz. Ich habe zwölf Jahre in einem Top-Klub gespielt, war mehr als zehn Jahre Stammspieler. Ich wurde Torschützenkönig, habe für mein Land bei einer WM gespielt und bin Dritter geworden, stand im Pokalendspiel, wurde Vizemeister - ich denke, auf all das darf man stolz sein.

Seit 2006 haben Vereine wie der FC Chelsea oder Borussia Dortmund um Sie geworben. Warum haben Sie Bayer nie verlassen?

Weil ich keinen Grund dazu hatte. Ich war Stammspieler, habe gutes Geld verdient, habe mich wohlgefühlt, meine Frau kommt von hier, meine Kinder sind hier geboren - warum hätte ich woanders das Glück herausfordern sollen? Nur um mehr Geld zu verdienen, wäre ich nie gewechselt. Tatsächlich überlegt habe ich nur 2015, als ich nach Hannover wollte. Aber da habe ich mich fit gefühlt und in meinen Augen zu wenig gespielt. Da hätte ich sogar auf Geld verzichtet, um spielen zu können.

Hatten Sie nie den Traum, ins Ausland zu wechseln?

Nein, nie. Nach dem Karriere-Ende will ich aber reisen. Es gibt so viel zu sehen auf der Welt. Ich will nach Kanada, nach Asien, Sportreisen in die USA machen. Darauf freue ich mich riesig.

Vor etwa fünf Jahren haben Fans, Experten und die Medien lautstark ihre Rückkehr in die Nationalmannschaft gefordert. Ärgert es sie noch, dass Joachim Löw sie nicht mehr nominiert hat?

Es hat sich ehrlich gesagt durchaus auch gut angefühlt, dass die Menschen mich in der Nationalmannschaft sehen wollten. Nur der Bundestrainer wollte mich eben nicht. Ich habe aber nie verstanden, warum öffentlich eine Aussprache zwischen uns gefordert wurde. Ich hatte ja nichts getan. Und der Bundestrainer auch nicht. Aber dann gab es die Aussprache, und Joachim Löw hat mir gesagt, dass ich nicht in sein System passe. Das habe ich akzeptiert. Doof für mich war nur, dass er das nie öffentlich gesagt hat und das Thema immer wieder unnötig aufkam.

Viele vermuteten, dass Löw persönliche Probleme mit Ihnen gehabt haben muss. War dem so?

Da müssen Sie ihn fragen. Ich hatte keine Probleme mit ihm. Ich war ja auch nur ein kleiner Fisch im Teich, war nur selten dabei. Und ich war sicher kein Stinkstiefel.

Es gab Gerüchte über einen Disput mit Löw bei der WM 2010.

Natürlich war ich unzufrieden, denn ich hätte gerne mehr gespielt. Aber ich habe nix angestellt oder gegen den Trainer geschossen.

2013 wären Sie wohl für die US-Reise nominiert worden, haben aber selbst verzichtet. Haben Sie das bereut?

Nein, warum auch? Als Notnagel ohne Aussicht auf eine Perspektive - das musste nicht sein. Da war der Urlaub schöner.

Ein vieldiskutiertes Kapitel Ihrer Karriere war auch das Phantomtor 2013 in Hoffenheim. Wie stehen Sie heute dazu?

Im Stadion haben schon damals so viele Leute auf Bildschirme geschaut, da hätte ich mir einfach gewünscht, dass irgendwer dem Schiedsrichter gesagt hätte, dass der Ball von außen durchs Netz geflogen ist. Aber mit dem Video-Schiedsrichter wird so etwas nie mehr passieren.

Sie wurden zu der Zeit heftig attackiert, obwohl sie eigentlich als untadeliger Sportsmann galten...

Da haben Leute in einer Art und Weise über mich geredet, das geht gar nicht. Ich war der Leidtragende, weil ich den Ball geköpft habe. Aber ich habe doch vorher kein Loch ins Netz geschnitten und extra dorthin geköpft. Plötzlich lag der Ball im Tor – wie er dahingekommen ist, habe ich nicht gesehen.

Werden Sie nach der Saison erst einmal eine Auszeit nehmen?

Ja. Ich muss unbedingt mal die Füße hochlegen. Aber ich kann mir vorstellen, ab Oktober wieder anzufangen.

Können Sie sich vorstellen, dann in der zweiten Karriere irgendwann den Verein zu wechseln?

Wir wohnen seit zwölf Jahren hier, und das wollen wir auch weiterhin tun. Ich werde nun sicher nicht zum Wandervogel.

Der Fußball ist auch sehr überhypt. Glauben Sie, dass Ihnen der Jubel der Fans fehlen wird?

Das kann ich in zwei, drei Jahren beantworten. Aber ich glaube nicht. Ich war immer fannah, aber ich brauche das Rampenlicht nicht. Ich habe nichts dagegen, in Zukunft ruhig zu leben.

ZUR PERSON: Stefan Kießling (34) hat sechs Länderspiele für die Nationalmannschaft bestritten, unter anderem kam er zweimal bei der WM 2010 zum Einsatz. Er wurde 2013 mit 25 Toren Torschützenkönig der Fußball-Bundesliga. 2006 wechselte der gebürtige Franke vom 1. FC Nürnberg zu Bayer Leverkusen, mit Bayer stand der Publikumsliebling im Pokalfinale 2009 und wurde Vizemeister 2011.

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