08.12.2016 14:39 Uhr

Leicester City: Absturz der Überflieger

Die Helden von Leicester sind zurück in der harten Realität
Die Helden von Leicester sind zurück in der harten Realität

Leicester Citys Titel vergangenes Jahr war ein Wunder. In dieser Saison scheitert der Scheich-Klub bislang am Spagat zwischen Königsklasse und Liga-Alltag. Schwächelnde Leistungsträger, fehlinvestierte Millionen und die unbekannte Doppelbelastung lassen die Befürchtungen eines historischen Absturzes immer realistischer werden.

Die Anhänger vom amtierenden englischen Meister müssen sich aktuell vorkommen, als würden sie ein ungewolltes Doppelleben führen. Wenn die Champions League zu Gast in den East Midlands ist, scheint ganz Leicester wieder dieses besondere Gefühl zu spüren, welches die "Foxes" während der gesamten letzten Saison zum ersten Meistertitel in der Vereinsgeschichte trug. Hier führt Leicester die Tabelle der Gruppe G souverän mit 13 Punkten an und steht vorzeitig als Gruppensieger fest. Daran konnte auch das neuerliche 0:5-Debakel beim FC Porto nichts mehr ändern.

Dabei konnte man sogar als erster CL-Neuling in den ersten vier Partien ohne Gegentreffer bleiben. Doch der Schein trügt, denn die Gruppe mit Kopenhagen, Brügge und Porto gehört sicher nicht zur Crème de la Crème der diesjährigen Königsklasse. 

Die Situation in der Premier League ist hingegen eine komplett andere. Dort hat die Mannschaft von Trainer Claudio Ranieri nämlich ebenfalls 13 Punkte. Doch sind hier bereits 14 Partien gespielt. Das bedeutet den nächsten Rekord für die Füchse, doch dieses Mal einen negativen. Noch nie ist ein amtierender Meister so schlecht in eine Saison gestartet wie Leicester nach der Niederlage in Sunderland (2:1) vergangenes Wochenende.

Beim Blick auf die Tabelle herrscht nach der unbändigen Euphorie im letzten Jahr nun Katerstimmung. Tabellenplatz 16, nur zwei Zähler entfernt vom Abstiegsplatz. Zum selben Zeitpunkt lag Leicester in der Märchensaison 2015/16 mit 29 Zählern punktgleich mit Manchester City auf Platz 1 der Tabelle. Doch der Zauber scheint verflogen.

Meister-Team weitgehend zusammengeblieben

"Ich glaube, man kann Leicester in dieser Saison nicht mit Leicester aus der Vorsaison vergleichen", sagte Watfords Sebastian Prödl nach dem 2:1-Sieg gegen seinen österreichischen Landsmann Christian Fuchs. Doch diese Erklärung wäre definitiv zu kurz gegriffen. Denn die "band of brothers", wie sich die Mannschaft selber bezeichnet, ist größtenteils zusammen geblieben. Gegen Watford stand mit Ausnahme von Keeper Kasper Schmeichel sogar die gleiche Startformation auf dem Platz wie noch im Vorjahr. Für den Dänen stand der ehemalige deutsche Nationaltorhüter Ron-Robert Zieler zwischen Pfosten.

Nur einen wirklichen Abgang hat das Ranieri-Team in diesem Jahr zu verkraften: N'Golo Kante. Der französische Nationalspieler wechselte für knapp 36 Millionen Euro zum Ligakonkurrenten Chelsea. Stars wie Riyad Mahrez oder Jamie Vardy konnten hingegen gehalten werden - auch dank der Millionen von Klubbesitzer Vichai Srivaddhanaprabha.

"Riyad, Jamie, eigentlich alle - nicht nur englische Manager sind auf sie aufmerksam geworden. Natürlich bin ich froh, dass sich Vardie und Mahrez entschieden haben, zu bleiben, obwohl ich mir sicher war, dass vieles nur Spekulationen waren", sagte der Italiener. Den Verlust von Kante bedauerte der 65-Jährige hingegen und sprach von einem "Fehler".

Leistungsträger enttäuschen bislang

Das Erfolgsrezept in letzter Saison war ein vergleichsweise simples. Leicester setzte nach dem Fast-Abstieg in der Saison 2014/15 in erste Linie auf Spieler, die bei anderen Vereinen gescheitert waren. Die fußballerische Idee war ebenfalls recht einfach gestrickt: eine kompakte Defensive, gepaart mit schnellem Umschaltspiel und vielen langen Bällen. Doch darauf scheinen sich die gegnerischen Mannschaften nun eingestellt zu haben - zumindest in der Premier League.

Die Taktik ging im letzten Jahr auch auf, weil einzelne Spieler wie Vardy oder Mahrez über sich hinauswuchsen. Schoss der englische Nationalspieler im vergangenen Jahr noch 24 Tore und wurde zu Englands Fußballer des Jahres gekürt, steht er nach gut einem Drittel der Saison bei mageren zwei Toren. Ranieri vertraut aber weiter auf den Helden der letzten Saison: "Ich sehe keinen Unterschied zum Jamie der vergangenen Saison - nur die Tore." Und doch fehlen die Treffer des Senkrechtstarters in der laufenden Spielzeit.

Ähnlich gilt für die Rolle des Algeriers Mahrez. War der 25-Jährige im Meisterjahr noch die ordnende Hand im Leicester-Spiel, geht ihm diese Qualität bislang weitgehend ab. Auch weil die Gegner begriffen haben, dass sie mit Mahrez die Lebensader des amtierenden Meisters aus dem Spiel nehmen müssen. Zuletzt dachte Ranieri sogar laut über einen Platz auf der Bank für den besten Spieler der letzten Saison nach: "Natürlich müssen wir uns etwas überlegen, weil die Gegner uns alle sehr gut kennen. Wir können nicht einfach mit Riyad weitermachen und ihm alle Verantwortung übertragen."

Neuzugänge bleiben hinter den Erwartungen zurück

Die drohende Zusatzbelastung durch die Champions League versuchte der Klub durch Neuzugänge in Höhe von knapp 80 Millionen Euro zu kompensieren. Der teuerste Transfer war Islam Slimani, der für 30 Millionen Euro von Sporting Lissabon verpflichtet wurde. Der Mittelstürmer ist zwar mit vier Treffern bester Torschütze der Füchse, doch so richtig angekommen scheint auch er noch nicht zu sein. Ähnliches gilt für Ahmed Musa oder Nampalys Mendy, die jeweils für mehr als 15 Millionen Euro geholt wurden.

Am Samstag (ab 18:30 Uhr) kommt es ausgerechnet zum Duell mit der Star-Truppe von Pep Guardiola. Dann geht es für die "Foxes" allerdings nicht mehr um Platz eins, sondern darum, nicht noch weiter in den Abstiegsstrudel zu geraten.

Julian Biermann

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