Teamchef, öffnen Sie die Augen!

ÖFB-Teamchef Marcel Koller hat am Donnerstagabend nach dem 2:2-Remis im WM-Qualifikationsspiel gegen Wales überwiegend positiv bilanziert. Besteht dazu wirklich Anlass? Ein Kommentar.
Im Vergleich zum 2:1-Sieg vor einem Monat in Georgien ortete Koller eine klare Steigerung und sprach von einer "reifen Leistung. Ich habe den Spielern nach dem Match mitgeteilt, dass sie erwachsen geworden sind. Sie waren nie hektisch, haben immer ihre Positionen gehalten und zweimal einen Rückstand aufgeholt. Wir haben die Idee, wie wir spielen wollen, bis zum Schluss konsequent umgesetzt. Das ist eine Erfahrung, die wichtig ist."
"Man hat gesehen, dass die Waliser nicht umsonst im EM-Semifinale waren", lautete ein weiteres Fazit des Schweizers. Eine Aussage, die weltfussball nicht ohne Widerspruch stehen lassen kann.
Der schlechteste ÖFB-Gegner aus Topf eins aller Zeiten
Wie Wales bei der Europameisterschaft 2016 in Frankreich bis ins Halbfinale gekommen ist, wissen "The Dragons" (oder in der Landessprache "Y Dreigiau") bis heute noch nicht. Auch die lautstarken Fans konnten ihr Glück über den Sommer ihres Lebens kaum fassen. Ihr "Don't take me home" wurde zum Ohrwurm und war am Donnerstagabend auch im Prater mehrmals zu hören.
Es beschreibt perfekt den Zustand einer Illusion in Verbindung mit alkoholischen Getränken, aus der man nie erwachen möchte. Die Wahrheit ist - auch wenn das im Lager von Wales und des ÖFB-Teams vielleicht niemand hören will - eine andere: Diese Mannschaft war der schwächste Gegner aus Topf eins, den man je im Ernst Happel-Stadion gesehen hat.
Der im Vorfeld mehrmals als Topfavorit stark geredete Kontrahent aus einem Land mit etwas mehr als drei Millionen Einwohnern entpuppte sich als ganz "normale" Fußballmannschaft. Mit einem einzigen Topspieler namens Gareth Bale. Das verletzungsbedingte Fehlen von Mittelfeld-Taktgeber Aaron Ramsey konnte Wales nie kaschieren.
Wenn der Blitz zweimal ins selbe Haus einschlägt
Der Rest der Gäste? Verunsichert in der Defensive. Nie in der Lage konstruktiven Spielaufbau zu betreiben oder den Ball in den eigenen Reihen zu halten. Vorne wartete man auf ein Wunder oder, dass bei Regenwetter der Blitz einschlägt. Es passierte sogar zweimal.
Bale durfte seinen Turbo zünden, weil Florian Klein seine Position als rechter Verteidiger einmal mehr nicht konsequent genug einhielt. Aleksandar Dragović musste als zentraler Abwehrchef deshalb auf der Außenbahn in ein Laufduell und war dabei chancenlos. Die Flanke hätte so nie passieren dürfen und dann patzte auch noch Kevin Wimmer. Er spielte bei Tottenham und im Nationalteam noch nie als linker Verteidiger und genauso stellte er sich auch an.
Der Oberösterreicher wehrte den Ball nicht nur ungenügend ab, sondern auch noch ins Zentrum, wo Joe Allen sehenswert ins lange Eck traf. Der zweite ÖFB-Gegentreffer kurz vor der Pause war dann Slapstick pur. Ein weiter Einwurf von Bale, zwei Kopfballduelle in Serie im eigenen Strafraum verloren, Torhüter Robert Almer wehrte nach vorne ab und traf Pechvogel Wimmer von dem der Ball ins eigene Tor sprang.
Österreich spielte mit einem Mann weniger
Aber nicht nur Kevin Wimmer spielte im Nationalteam auf einer Position, die er aktuell im Verein nie einnimmt. Bei David Alaba gilt dies schon seit geraumer Zeit. Dementsprechend schwer kam der Bayern-Legionär in die Partie. Drei unglaubliche Fehlpässe und zwei Schüsse, die weit ihr Ziel verfehlten. Erst mit dem wunderschönen Assist zum 1:1 war Alaba in der Partie angekommen.
Was Marcel Koller dazu sagte? "Ich habe ihm gratuliert, weil er die Position gut gehalten hat. Er hat teilweise gegen Bale gespielt und das zusammen mit Baumgartlinger gut gemacht. Wenn er ab und zu Risiko nimmt und ein Fehlpass kommt, gehört das dazu. Das nehmen wir in Kauf."
Österreich muss aber schon seit der EM ein ganz anderes Problem in Kauf nehmen: Den Fitness-Zustand von Marc Janko. Der Torjäger schleppte sich beim Auftaktspiel der Europameisterschaft gegen Ungarn in einer körperlichen Verfassung über den Platz, die einer Aufstellung mit zehn Mann entsprach. Koller korrigierte seinen Fehler erst in den zwei Spielen danach und setzte den 33-Jährigen auf die Ersatzbank.
Gegen Wales stand der Basel-Legionär in der Anfangsformation, obwohl er bei seinem Verein seit seiner Verletzung am 13. September in der Champions League gefehlt hatte. Das Comeback beim Schweizer Meister erfolgte erst am Samstag war schwach und endete nach 69 Minuten mit der Auswechslung.
ÖFB-Teamchef Koller lernte aus seinem Fehler bei der EM nicht und ließ Janko, der keinen einzigen Sprint in vollem Tempo absolvieren konnte, nicht nur erneut beginnen. Er ließ den Sturmtank, der nach der Pause mit Dehnbewegungen für das Publikum klar ersichtlich um eine Auswechslung "flehte" auch noch durchspielen. Herr Teamchef, bitte öffnen Sie die Augen!
Mehr dazu:
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Christian Tragschitz
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