24.01.2016 11:26 Uhr

Chelsea: Rost am alten Eisen?

Fanliebling John Terry steht auf der Insel in der Kritik
Fanliebling John Terry steht auf der Insel in der Kritik

Verkehrte Welt in London: Während Arsenal die Langzeitbaustelle in der Verteidigung vorerst geschlossen hat, wirkt die Defensive von Lokalrivale Chelsea auch unter Guus Hiddink nicht stabil. Kritiker sehen den hohen Altersschnitt der Blues-Abwehr als Hauptgrund der Misere und zählen die Oldies bereits an. Dem Noch-Meister steht ein personeller Umbruch ins Haus – schon im Winter?

Vorige Woche schien es, als hätte die andauernde Berg- und Talfahrt des Fußballers John George Terry endlich ihren Höhepunkt erreicht: Der Routinier markierte im Heimspiel gegen den FC Everton in der 98. Minute den umjubelten 3:3-Ausgleich, nachdem er den Rückstand zuvor selbst per Eigentor verschuldet hatte. Ein Wechselbad der Gefühle mit Happy End, doch der Freudentaumel währte nicht lang.

Wenige Minuten nach Abpfiff ging es in der Mixed Zone der Stamford Bridge bereits hoch her. Eine gefühlte Ewigkeit musste sich Guus Hiddink den bohrenden Fragen der Journalisten stellen. Ob die anfällige Abwehr noch höchsten Ansprüchen gerecht werden könne, wollten sie vom 69-jährigen Niederländer wissen. Der Mourinho-Nachfolger antwortete ausweichend: "Natürlich war es frustrierend, mit zwei Toren in Rückstand zu liegen. Aber ich möchte auch auf die gute Reaktion meines Teams hinweisen." Hauptsache nicht verloren. Ein Hinweis auf die neue Anspruchshaltung beim amtierenden Champion.

Folgenschwere Aussetzer

Lange Jahre konnten sich die Chelsea-Anhänger stets auf eine bombensichere Hintermannschaft verlassen. Läppische 32 Gegentreffer in 38 Ligapartien legten zuletzt den Grundstein für den Meistertitel. Heute ist alles anders: John Terry, im Vorjahr ein Erfolgsgarant, schafft es ebenso wenig wie Nationalmannschaftskollege Gary Cahill oder Branislav Ivanović, bei den Blues für Stabilität zu sorgen. Bezeichnend: Aktuell haben nur fünf Ligakonkurrenten mehr Gegentore geschluckt. Warum das einstige Bollwerk der Londoner zur Problemzone verkommen ist, bleibt rätselhaft.

Während offiziell häufig von Formschwächen und Verletzungspech die Rede war, mehren sich kritische Stimmen, die den Machern entscheidende Fehler bei der Kaderzusammenstellung vorwerfen. Der Tenor: Für die temporeiche Premier League ist die Chelsea-Defensive nicht mehr schnell genug. Mit Terry (35), Ivanović (bald 32) und Cahill (30) gehören drei Spieler über 30 Jahren zum Stammpersonal, während Nachwuchshoffnungen wie Abdul Rahman Baba, für einen Wahnsinnsbetrag aus Augsburg auf die Insel gewechselt, auf der Ersatzbank versauern. Und das, obwohl sich die Platzhirsche in jüngerer Vergangenheit immer wieder folgenschwere Aussetzer leisteten. Setzen die einst so stabilen alten Eisen langsam Rost an?

Die letzte Identifikationsfigur

Freilich lässt sich die Misere nicht allein an John Terry festmachen, schließlich zählt der Routinier zu den erfolgreichsten Spielern der glorreichen Chelsea-Geschichte. Knapp 700 Einsätze hat der Innenverteidiger in 18 Jahren gesammelt und in diesem Zeitraum nahezu jeden möglichen Titel gewonnen. Gemeinsam mit Didier Drogba, Frank Lampard und Petr Čech zählte die Nummer 26 mehr als eine Dekade lang zu den Identifikationsfiguren des Abramowitsch-Klubs. Von jenem Quartett ist heute nur noch Terry übrig.

Als Führungsspieler ist der mehrfache Familienvater weiterhin unersetzlich, doch die Konstanz früherer Tage ist dahin. Zu oft sorgen riskante Fehlpässe und Stolpereinlagen für Gefahr. Noch stärkt Guus Hiddink seinem Kapitän den Rücken: "Er trainiert jeden Tag hart, will immer spielen. Körperlich ist John topfit. Er ist und bleibt extrem wichtig für uns." Widerspruch blieb aus - wohl auch, weil ein legitimer Nachfolger für den 78-fachen Nationalspieler noch nicht gefunden wurde.

Folgt der große Umbruch?

Bald steht den Blues also ein personeller Umbruch ins Haus. In Kurt Zouma deutet nur ein Youngster an, das nötige Rüstzeug für die Stammelf mitzubringen - doch auch der Franzose ist umstritten. Mit den Erkenntnissen dieser Horrorsaison scheint eine Transferoffensive unumgänglich. In der Gerüchteküche brodelt es bereits.

Passend dazu läuft der Vertrag von John Terry im Sommer aus. Der Fanliebling hat bereits erklärt, am liebsten um ein Jahr verlängern zu wollen, um die Karriere bei seinem Herzensverein ausklingen zu lassen. Diskussionen um mangelndes Tempo begegnet er gelassen: "Ich bin niemals schnell gewesen, in meiner gesamten Laufbahn nicht. Wer alles darauf schiebt, macht es sich zu leicht. Ich fühl mich fitter denn je und bin immer noch hungrig. Ich will bleiben."

Bleibt die Frage, wann und wo der Klub personell nachlegen wird. Hiddink schloss größere Investitionen im Winter kürzlich aus, doch dank konstanter Inkonstanz auf dem Platz hat sich der Handlungsdruck erhöht. Geht das Derby gegen Spitzenreiter Arsenal, bislang ein Lieblingsgegner der Blues, in die Hose, sind weitreichende Aktivitäten auf dem Transfermarkt nicht mehr auszuschließen. Womöglich haben die alten Eisen dann ausgedient.

Mehr dazu:
>> Ab 17 Uhr im Liveticker: Arsenal - Chelsea

Heiko Lütkehus

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