Vier Ikonen, vier Neustarts

Schweinsteiger, Casillas, Gerrard, Xavi – ihre gesamte Karriere haben sie beim gleichen Klub gespielt, zusammen 81 Vereinstitel in 66 Saisons gesammelt und Fanherzen erobert. Im Sommer haben sich alle vier lebenden Legenden neuen Klubs angeschlossen. Die Gründe und Perspektiven sind dabei allerdings unterschiedlich zu bewerten.
Bastian Schweinsteiger: Bayern München zu Manchester United
Wichtigste Vereins-Titel: 8x Deutscher Meister, 7x Pokalsieger, 1x Champions-League-Sieger
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Bewertung des Transfers: Der Wechsel des deutschen Nationalmannschafts-Kapitäns ist im Reigen der genannten Ikonen der ambitionierteste.
Womöglich hätte er mit den Bayern in der kommenden Saison mehr Titel gewonnen, aber es gibt gewichtige Argumente für Manchester United: Die Red Devils rüsten richtig auf und haben große Ambitionen. Abgesehen davon, dass sie diese auch schon vor der vergangenen Saison hatten, war die Spielidee von Louis van Gaal in der Rückrunde schon deutlicher zu erkennen als noch im Herbst. Ein wichtiger Baustein einer Mannschaft zu sein, die diesen schillernden Klub wieder an die Spitze führt, ist reizvoll.
Die Personalie van Gaal ist ebenfalls ein wichtiger Grund für den Wechsel. Na klar, die Bayern dementieren ein Zerwürfnis mit Pep Guardiola. Diesen Aussagen kann man auch glauben. Der Katalane hält viel vom DFB-Kapitän, weiß um dessen nach wie vor hohe Leistungsfähigkeit. Ob Schweinsteiger jedoch bei voller Fitness von Thiago, Xabi Alonso und Javi Martínez noch unumstritten ist, darf bezweifelt werden – zumal Guardiola auch Philipp Lahm und David Alaba in der Zentrale sieht.
Darüber hinaus ist auch der Schritt in die Premier League ambitioniert. Auf der Insel misst sich Schweinsteiger mit 30 Jahren noch einmal auf allerhöchstem Niveau – zumindest ist der Ligawechsel nicht als Rückschritt von der Bundesliga zu werten.
>> DIASHOW: Schweinsteiger: Eine Karriere für Romantiker
Iker Casillas: Real Madrid zum FC Porto
Wichtigste Vereins-Titel: 5x Spanischer Meister, 2x Copa-del-Rey-Sieger, 3x Champions-League-Sieger
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Bewertung des Transfers: Die Verabschiedung war emotional, der Verein bezeichnete San Iker in der offiziellen Mitteilung als "größten Torhüter des Vereins und des spanischen Fußballs", dennoch hat der Abgang etwas von Abschiebung.
In den vergangenen Jahren war Casillas nicht mehr unumstritten bei den Königlichen – spätestens seitdem José Mourinho ihn vorletzte Saison aus dem Kasten nahm, war sein Standing angekratzt. Zwar war er in der vergangenen Spielzeit wieder Stammspieler, doch seine immer häufiger auftretenden Patzer brachten ihn deutlich mehr in die öffentliche Kritik, als es in der Vergangenheit der Fall war.
Dass sich der Klub nun seit Wochen offensiv um David De Gea bemüht, deutete bereits auf einen Abschied des 34-Jährigen hin. Wie in der Nationalmannschaft wird ihn der Noch-United-Keeper also auch bei Real ablösen. Angeblich soll Klubboss Florentino Pérez die Ikone sogar offensiv dazu aufgefordert haben, sich einen neuen Verein zu suchen. Das tat Casillas auch – machte jedoch nie eine Schlammschlacht draus, sondern blieb bis zuletzt respektvoll gegenüber Real.
Die Wahl fiel auf den FC Porto. Die Entscheidung spricht dafür, dass Iker Casillas durchaus noch Ambitionen hat, auf hohem Niveau weiterzuspielen – auch wenn es für das allerhöchste wohl nicht mehr ganz reicht.
Für San Iker zählt zudem noch das Argument des verhältnismäßig "weichen" Übergangs: Da er einen Wechsel innerhalb Spaniens von Beginn an kategorisch ausschloss, ist Portugal die kulturell ähnlichste Option. Angebote lagen auch aus der Türkei oder England vor, in diesem Fall wäre die Umstellung im Alter von 34 Jahren noch einmal eine deutlich größere gewesen.
>> DIASHOW: Iker Casillas: 25 Jahre im Real-Trikot
Steven Gerrard: FC Liverpool zu Los Angeles Galaxy
Wichtigste Vereins-Titel: 2x FA-Cup-Sieger, 3x League-Cup-Sieger, 1x Champions-League-Sieger, 1x UEFA-Cup-Sieger
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Bewertung des Transfers: "The best there is, the best there was and the best there ever will be": Wohl kein Abschied war in diesem Sommer so emotional wie der von Steven Gerrard beim FC Liverpool. Die Fans an der Anfield Road vergöttern den Mittefeldspieler, der 25 Jahre im Klub war und zwölf Jahre davon die Kapitänsbinde trug.
Auch Gerrards eigene Bindung zum Klub war riesig. So groß, dass er dafür in der Vergangenheit mehrfach darauf verzichtete, mehr Trophäen in seine Vita schreiben zu können: Unter anderem Chelsea und Real Madrid waren mehrfach an einer Verpflichtung interessiert. Damit begründete der 35-Jährige auch die Tatsache, dass er nicht innerhalb Europas wechseln wollte: Gegen Liverpool wollte er niemals spielen müssen.
Also geht Gerrard den gleichen Weg, den einst David Beckham ging, nämlich zu Los Angeles Galaxy. Viele bewerten den Wechsel als Ausklingen der Karriere, am Ende noch einmal richtig abkassieren.
Bei einem genauen Blick auf die Situation lassen sich jedoch durchaus plausible Gründe für die Entscheidung finden: Natürlich wird Stevie G. bei Galaxy gut verdienen und es stimmt auch, dass das sportliche Niveau lange nicht so hoch ist wie in den europäischen Topligen.
Im Gegensatz beispielsweise zum Katar ist die Major League Soccer jedoch eine aufstrebende Liga – ähnlich wie der Fußballsport an sich in den USA. Platzhirsche wie Basketball, Eishockey, Baseball oder American Football wird der Soccer zwar auch langfristig nicht vertreiben können, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ist aber – auch durch die gute Entwicklung der Nationalmannschaft unter Jürgen Klinsmann – zuletzt gestiegen. Die Stadien sind gut besucht.
Darüber hinaus ist die USA für einen Engländer kulturell zwar eine Erweiterung des Horizonts, ähnlich wie im Fall Casillas ist es hier aber auch ein eher "weicher" Übergang. Für Gerrard persönlich ist der Wechsel zu Galaxy sicher die 1a-Option.
>> DIASHOW: Gerrard: Urgestein auf Abschiedstournee
Wichtigste Vereins-Titel: 8x Spanischer Meister, 3x Copa-del-Rey-Sieger, 4x Champions-League-Sieger
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Bewertung des Transfers: Beim 35-Jährigen hat der Transfer am ehesten den Beigeschmack eines Ausklingens der Karriere. Eine entsprechende Wortwahl legte dies bei der Verkündung seines Abschieds nahe: "Ich hätte mir keine bessere Karriere wünschen können", sagte Xavi. Das hätte er in der Tat nicht: Mit 23 Verein- und drei Nationalmannschafts-Titeln ist der Mittelfeldspieler der erfolgreichste spanische Fußballer aller Zeiten, dazu ist er alleiniger Champions-League-Rekordspieler. Er hat alles erreicht.
Bei Barça war er in der vergangenen Saison meist nur noch Rotationsmasse, das Ende der Ära Xavi hatte sich abgezeichnet. Eine Folgefunktion im Verein ist ihm sicher. Aber bevor er die Fußballschuhe endgültig an den Nagel hängt, möchte Xavi noch mindestens zwei Jahre bei Al Sadd spielen.
Nicht ganz bedeutungslos waren sicherlich auch die Verbindungen des FC Barcelona in den Katar. Die Qatar Foundation ist seit 2010 Trikotsponsor der Katalanen.
Außerdem tritt Xavi mit seinem Wechsel in die Tradition weiterer spanischer Legenden, die gegen Ende ihrer Karriere noch einmal im Emirat unterschrieben. Unter anderem wechselten Raúl und Pep Guardiola dorthin.
>> DIASHOW: Xavi: Més que un jugador
Jochen Rabe