03.06.2015 15:24 Uhr

Benítez bei Real: Ehe mit Konfliktpotenzial

Gemeinsam in die Zukunft: Real-Präsident Florentino Pérez und Rafael Benítez
Gemeinsam in die Zukunft: Real-Präsident Florentino Pérez und Rafael Benítez

Der Neue ist ein alter Bekannter: Rafael Benítez trainiert in der kommenden Saison das Starensemble von Real Madrid. Die Qualitäten des Spaniers sind unbestritten. Dennoch birgt seine Verpflichtung einige Risiken.

Er ist wieder da. Der Junge der Stadt kehrt in seine Heimat zurück. 20 Jahre nach seinem Abschied aus Madrid kommt Rafael Benítez nach Hause. Zurück zu dem Klub, bei dem er das ABC des Geschäfts als Trainer der Jugend und Co-Trainer der Profis gelernt hat. Als unerfahrener Frischling hatte der heute 55-Jährige die Königlichen einst verlassen, als gestandener und weltweit anerkannter Fachmann ist er nun wieder da.

Dekoriert mit zahlreichen Titeln auf nationaler und internationaler Bühne, sind die Qualitäten des gebürtigen Madrilenen unbestritten. Zwei spanische Meisterschaften, zwei Europa-League-Siege, der vielleicht denkwürdigste Champions-League-Triumph aller Zeiten, einige Pokalsiege und reihenweise persönliche Auszeichnungen zieren seine Vita.

Dass Rafael Benítez ein absoluter Experte ist, steht allein bei dem Blick in seinen Trophäenschrank außer Frage. Ob er sein Wissen und seine Fähigkeiten auch bei Real Madrid umsetzen kann dagegen schon.

Von Taktik besessen, von der Rotation überzeugt

Eins ist zumindest klar: Mit Rafael Benítez holen sich die Königlichen einen akribischen Arbeiter ins Haus. Einen Trainer, der jedes Detail analysiert und von Taktik besessen ist. "Ich habe noch nie einen Coach gesehen, der so viele Kleinigkeiten so genau studiert", sagt zum Beispiel Ismael Urzaiz, ein ehemaliger Wegbegleiter aus Madrid.

"Das Wichtigste für einen Trainer ist die Arbeit auf dem Platz. Den Spielern muss dabei geholfen werden, die Systeme, mit denen sie konfrontiert werden, zu verstehen", ist Benítez überzeugt. Der 55-Jährige ist dabei ein Chef, der das Personal in sein System integriert, nicht umgekehrt. Vorgänger Ancelotti nutzt dagegen die Stärken der Individualisten und passt sein System entsprechend an. Ein gravierender und nicht der einzige Unterschied zwischen den beiden.

Auch ist der Spanier ein erklärter Verfechter der Rotation. Eine Vorliebe, die ihm in Neapel zuletzt viel Kritik eingebracht hat, weil die Leistungen zu inkonstant waren. Ob er von seiner Marschroute abrückt, ist dennoch unwahrscheinlich. Ancelotti hat seinerseits Einsatz-Garantien verteilt. Ein Luxus, den die Superstars im Real-Trikot bald nicht mehr haben könnten – eine Situation mit Konfliktpotenzial.

Mehr Mitbestimmungsrecht bei Transfers?

Auch für die Vereinsführung könnte die Umstellung von Carlo Ancelotti auf Rafael Benítez kaum größer sein. Der Spanier ist der Typ Trainer, der mehr als nur mitbestimmen will. Er will nach Möglichkeit das alleinige Sagen haben. Ähnlich wie José Mourinho, anders als Ancelotti, der bei den Transfers in den letzten beiden Spielzeiten nicht immer die alleinige Entscheidungshoheit hatte. Daran wird sich auch Benítez erst gewöhnen müssen.

Präsident Florentino Pérez nimmt sich seit Jahren das Recht raus, Transfers abzunicken oder auch abzulehnen. Und er ist bekannt dafür, Neuzugänge nicht nur aufgrund ihrer Qualität ins Bernabéu zu locken. Ein Spieler, der das Trikot von Real Madrid trägt, muss auch zur Marke Real Madrid passen, sie voranbringen. Das gehört nach dem Selbstverständnis der Königlichen mit dazu.

Sieben Trainer, 800 Millionen Euro für Neuzugänge

Benítez bevorzugt ausschließlich Akteure, die das Team voranbringen. Koste es, was es wolle. So hat er in sechs Jahren an der Anfield Road 60 Neue für insgesamt 340 Millionen Euro geholt. In zwei Jahren Neapel waren es 29 Spieler für 134 Millionen. Das wiederum passt mit der Herangehensweise von Pérez überein.

Die letzten sieben Real-Trainer durften in ihrem Antrittsjahr Spieler für 800 Millionen Euro verpflichten bzw. bekamen sie vor die Nase gesetzt. So oder so: Das Reservoire, auf das Benítez Zugriff hat, ist nahezu unbeschränkt.

Mehr Möglichkeiten, mehr Druck

Diese "unbegrenzten Möglichkeiten" bringen für Madrids neuen Chef auch Probleme mit. Der Druck auf Rafael Benítez wird im Vergleich zu seinen letzten Stationen steigen. Auch Liverpool, Chelsea und Neapel stehen im Fokus der Öffentlichkeit, allerdings gibt es wohl keinen Klub, der mehr im Rampenlicht steht als Real Madrid.

Außerdem muss der 55-Jährige endlich nachweisen, dass er einer starken Saison in der Endphase das i-Tüpfelchen aufsetzen kann. Denn so gut sein Ruf auch ist, die letzte Meisterschaft holte der Spanier im Jahr 2004 in Valencia. Seine Aufgabe ist es, Real Madrid den ersten Meistertitel seit 2012 zu bringen. Und obendrein mindestens einen Pokal. Am liebsten den elften Triumph in der Champions League. Gelingt ihm das nicht, könnte Rafael Benítez der zwölfte Trainer in Folge werden, dessen Vertrag in der Hauptstadt vorzeitig aufgelöst wird.

Mehr dazu:
>> Offiziell: Benítez neuer Real-Coach
>> Die Trainerhistorie von Real Madrid in der Übersicht

Christian Schenzel

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