30.06.2014 17:03 Uhr

WM 1982: Die finstere "Nacht von Sevilla"

Ohne Rücksicht auf Verluste: Toni Schumacher gegen Patrick Battiston
Ohne Rücksicht auf Verluste: Toni Schumacher gegen Patrick Battiston

Erfolgreich war die deutsche Nationalmannschaft in den 1980er Jahren, geliebt aber hat sie die Fußballwelt kaum. Nach der "Schande von Gijón" folgte bei der Endrunde '82 mit der "Nacht von Sevilla" das nächste dunkle Kapitel auf dem Fuße.

Wurde das als "Schlucksee" berühmt-berüchtigt gewordene Trainingslager in Schluchsee im Schwarzwald nur hierzulande beargwöhnt, brachte nach Beginn der WM in Spanien die "Schande von Gijón" nicht allein die verschaukelten Algerier, sondern gleich die halbe Welt in Rage.

Doch all das war wenig gegen das Entsetzen und die Empörung in Frankreich, die Schumacher und der deutschen Mannschaft nach dem dramatischen Halbfinale gegen die Équipe Tricolore entgegen schlug. Am Abend dieses 8. Juli 1982, der als die "Nacht von Sevilla" in die WM-Geschichte eingehen sollte, ging es am Ende um mehr, als nur den Finalgegner Italiens zu ermitteln.

Ohne Rücksicht auf Verluste

Rund eine Viertelstunde nach Beginn hatte Pierre Littbarski die von Jupp Derwall trainierte Elf im Stadion Ramón Sánchez Pizjuán in Führung gebracht. Nur wenige Minuten später glich Michel Platini per Elfmeter zum 1:1-Halbzeitstand aus. Kurz nach dem Wiederanpfiff kam schließlich Patrick Battiston vom Serienmeister AS St. Etienne in die Partie.

Knapp 10 Minuten später setzte Michel Platini den noch frischen Abwehrspieler mit einem wunderbaren Steilpass in Szene. Battiston erwischt nach seinem Sprint an der Strafraumkante noch den Ball - doch nur einen Sekundenbruchteil später springt der aus seinem Tor stürmende deutsche Schlussmann mit angezogenen Knien, ausgefahrenem Ellbogen und einer solchen Wucht in den 25-Jährigen hinein, dass dieser wie von einer Lokomotive getroffen zu Boden fliegt.

"Dann zahl' ich ihm seine Jacketkronen"

Dieses Foul, aber fast mehr noch die folgenden Augenblicke sorgten dafür, dass die fast 30-jährigen Nachkriegsbemühungen um die deutsch-französische Freundschaft mit einem Schlag verpufft schienen. Erschreckt die Brutalität des Fouls noch heute, so entsetzte die französische Öffentlichkeit damals mindestens ebenso sehr die offenbar völlige Gleichgültigkeit Schumachers.

Patrick Battiston war nach dem Foul kurzzeitig bewusstlos, er verlor zwei Zähne, trug eine Gehirnerschütterung und einen angebrochenen Wirbel davon - und was machte Schumacher? Der deutsche Torwart spielte kaugummikauend, ja offenbar geradezu gelangweilt mit dem Ball in seinem Strafraum und dehnte sich ein bisschen. Nach dem Spiel tönte der Schlussmann des 1. FC Köln sogar noch nach dem Hinweis auf Battistons verlorene Zähne flapsig: "Dann zahl' ich ihm seine Jacketkronen".

Das Maß an Empörung in Frankreich überstieg alle sportlichen Dimensionen. Die "L’Equipe" bezeichnete Schumacher gar als "brute épaisse" (finstere Bestie) - ein Ausdruck, der die Erinnerung an die Brutalitäten der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkriegs wach rief.

Schumacher bleibt und siegt

Für sein Foul erhielt der Torwart vom niederländischen Schiedsrichter Charles Corver im Übrigen nicht einmal die Gelbe Karte. Das Spiel aber sollte später in die Verlängerung gehen und auch sportlich als eines der denkwürdigsten der WM-Geschichte Schlagzeilen machen.

Nur sechs Minuten nach Beginn der Verlängerung brachten Marius Trésor und Alain Giresse die Equipe Tricolore scheinbar uneinholbar mit 3:1 in Führung. Die deutsche Mannschaft schien mit allen Kräften am Ende. Doch der erst in der Verlängerung eingewechselte Karl-Heinz Rummenigges brachte die nicht mehr für möglich gehaltene Wende. Seinem Anschlusstreffer zum 2:3 folgte der Ausgleich per Fallrückzieher durch Klaus Fischer, später zum Tor des Jahres 1982 gewählt.

Zum ersten Mal in der WM-Geschichte musste nun ein Elfmeterschießen entscheiden. Auch während diesem lag die deutsche Elf zurück, da Uli Stielike beim Stand von 2:3 verschoss. Doch Toni Schumacher, der eigentlich nicht mehr auf dem Platz hätte stehen dürfen, hielt die Schüsse von Didier Six und Maxime Bossis und mit Horst Hrubeschs finalem Treffer fand der Ruf deutscher Mannschaften als "Könige des Elfmeterschießens" seinen Ursprung.

Schumachers legendäres Foul im Video:

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Lars Plantholt

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