16.06.2014 14:23 Uhr

Kommentar: Wie ein Fähnchen im Wind

Ist die spanische Flagge auch in diesem Jahr noch ein Erfolgssymbol?
Ist die spanische Flagge auch in diesem Jahr noch ein Erfolgssymbol?

Lionel Messi wird innerhalb von einer Minute vom Rohrkrepierer zum Gott, Spanien innerhalb von 90 Minuten vom absoluten Topfavoriten zur satten Rentnertruppe. Bei der WM ist jeder Experte und Stammtischparolendreschen macht ja auch Spaß – bis zu einem gewissen Grad.

Endlich ist WM – und wie! Die ersten Spiele waren einfach grandios: Elfer, Diskussionen, Tore über Tore und die ein oder andere Überraschung. Die WM-Stimmung ist jetzt schon voll da! Besonders faszinierend ist immer, dass jeder Bescheid weiß und alle sich für das runde Leder interessieren. Und das ist nicht sarkastisch gemeint! Ehrlich: Es macht Spaß, über die Spiele zu diskutieren und 24 Stunden mit Infos und Meinungen versorgt zu werden. Es macht auch riesigen Spaß, Sprüche zu klopfen, übertriebene Urteile zu fällen und Phrasen zu dreschen. Das gehört einfach dazu.

An manchen Stellen würde man sich aber wünschen, dass Meinungen und Einschätzungen Bestand hätten. Beispiele gefällig? Die gab es in den ersten vier Tagen schon zuhauf.

Beispiel eins: Die Verwandlung des Lionel Messi

Am Sonntagabend startete Argentinien ins Turnier. Die Erwartungen an die Albiceleste waren unermesslich hoch, besonders weil Lionel Messi in ihren Reihen spielt. Messi ist ein Weltklassefußballer und eigentlich über jeden Zweifel erhaben.

Als er dann gegen Bosnien-Herzegowina allerdings in der ersten Halbzeit keine gute Leistung zeigte, überschlugen sich Hohn, Spott und Kritiken.

"Wenn Argentinien jemanden wie Messi hätte, könnten sie eine echte Bedrohung in diesem Turnier sein", twitterte etwa der einstige WM-Torschützenkönig Gary Lineker. Auch sonst entwickelte sich in den sozialen Medien ein richtiger Shitstorm gegen den vierfachen Weltfußballer.

Nach seinem genialen Treffer zum 2:0 drehte sich der Wind komplett. Plötzlich hieß es: "Das macht einen Star aus", Redaktionen verteilten die Bestnote. Natürlich wurde Messi auch zum Spieler des Spiels gewählt – ein Enthusiasmus, der auch etwas übertrieben ist angesichts der Tatsache, dass La Pulga vor der Pause weit über zehn Ballverluste hatte und nicht einmal 20 Prozent seiner Pässe an den Mann brachte. Die Leistung von Messi war nicht Weltklasse, aber auch nicht Kreisklasse. Das reine Schwarz-Weiß-Denken, das nicht nur an Stammtischen, sondern auch bei Experten und populären Medien vorgelebt wird, verwirrt. Gut, bei Messi war es hauptsächlich ein Social-Media-Phänomen.
>> Eigentor und Messi: Argentinien mit Zittersieg

Beispiel zwei: Der Fall der Furia Roja

Extremer fällt der Vorher-Nachher-Vergleich hingegen bei der Einschätzung Spaniens aus. Vor dem Turnier war völlig klar: Spanien ist eine Macht und einer der ganz heißen Tipps auf den Titel. Satte Spieler? Fehlanzeige! Leistungsträger zu alt? Quatsch, die sind immer noch die Creme de la Creme!

All das war vor Hollandgate. Dann gab's fünf Oranje-Hiebe und die Einschätzung drehte sich um 180 Grad! "Das Ende einer Ära" wurde ausgerufen, die Mannschaft sei "völlig überaltert" und habe "keinerlei Chancen", den Titel zu verteidigen.
>> "Katastrophe von historischem Ausmaß"

Klar war diese Niederlage ein Paukenschlag und ein echter Schock! Schon rein rechnerisch ist der Weg ins Achtelfinale für Spanien jetzt natürlich sehr, sehr schwierig. Aber die Spanier gleich abschreiben, wenn sie vor Kurzem noch als unschlagbar galten? Wenn Sergio Ramos und Xabi Alonso kürzlich die Champions League, Diego Costa die spanische und David Silva die englische Meisterschaft gewannen? Wenn man bedenkt, dass Spanien 2010 auch mit einer Niederlage ins Turnier startete? Das geht doch etwas schnell.

Parolen ja, aber dann nicht getarnt als Expertise

Gut möglich, dass Spanien ausscheidet. Und gut möglich, dass manche das schon vor dem Turnier prophezeit haben. Die meisten haben die Furia Roja aber zuvor zum absoluten Turnierfavoriten erhoben und ändern jetzt ihre Meinung wie ein Fähnchen im Wind – natürlich mit dem geliebten Zusatz "Ich hab es schon immer gesagt" - und genau dann wird es merkwürdig.

Wie bereits erwähnt: Es macht riesigen Spaß, Sprüche zu klopfen. Wenn diese aber ins Gewand fundierter Analysen und Experteneinschätzungen gehüllt sind, sollten sie zumindest eine gewisse Kontinuität haben. Sowieso sind Analysen in dieser Schwarz-Weiß-Systematik fragwürdig. Aber das verkauft sich eben gut. Und sowieso: Wann sind im Wind wehende Fähnchen mehr im Trend als während einer WM?

Mehr dazu:
>> Oranje versenkt die Furia Roja!
>> Messi trotz Lampenfieber glanzvoll

Jochen Rabe

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