19.02.2014 14:28 Uhr

Dr. Sócrates: Der etwas andere Fußballstar

Im Nationalteam unvollendet: Sócrates
Im Nationalteam unvollendet: Sócrates

Er war Kinderarzt, Querdenker und politischer Aktivist, vor allem aber ist er einer der besten Fußballer, die Brasilien jemals hervorgebracht hat: Heute wäre Sócrates 60 Jahre alt geworden.

Der Mann mit dem markanten Vollbart galt als Philosoph und Visionär unter den Fußballern. So wundert es nicht, dass er selbst für die Umstände seines Todes seherische Fähigkeiten an den Tag legte. 1982 erklärte er in einem Interview, er wolle an einem Sonntag sterben, an dem sein Team, die Corinthians, die brasilianische Meisterschaft erringen. Am Sonntag, den 4. Dezember 2011, sicherte sich Corinthians den fünften nationalen Titel durch ein 0:0 gegen Palmeiras – wenige Stunden vorher war Sócrates den Folgen seiner jahrelangen Alkoholsucht erlegen.

Als Fußballer bleibt er durch seinen eleganten Stil in Erinnerung. Bei der WM 1982 war Sócrates der Kopf und Kapitän der vielleicht besten brasilianischen Nationalmannschaft aller Zeiten, in der neben dem "Doktor" so begnadete Spieler wie Zico oder Falcão zauberten. Die große Generation des brasilianischen Fußballs blieb allerdings unvollendet, denn zu häufig berauschten sich die Ballkünstler an ihrer spielerischen Klasse. Das Spektakel rangierte über der Effizienz. Letztere wurde wieder einmal von den Italienern zelebriert, die die Selecao in der Zwischenrunde aus dem Turnier warfen und Weltmeister wurden.

Verfechter des Offensivspektakels

Wie 1982 schieden die brasilianischen Zauberer auch in Mexiko 1986 als große Favoriten frühzeitig aus. Nach der Niederlage im Viertelfinale im Elfmeterschießen verkündete Sócrates seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Drei Jahre später beendete er seine aktive Karriere und tat sich in der Folgezeit als Kritiker des brasilianischen Fußballs hervor. 1994 bezeichnete er – der nie eine Weltmeisterschaft erringen konnte – die Elf, die gerade den Titel im Finale gegen Italien gewonnen hatte, wegen ihrer defensiven und wenig attraktiven Spielweise als "unbrasilianisch".

Der reine sportliche Erfolg war niemals die oberste Maxime des Mittelfeldspielers. Seinen Doktor in der Medizin erlangte Sócrates neben seiner aktiven Karriere. Aufgrund seines Studiums verzichtete er auf die Teilnahme an der WM 1978. Nachdem er die Fußballstiefel an den Nagel gehängt hatte, praktizierte Sócrates als Kinderarzt in der Nähe seines Geburtsortes Belém.

Kämpfer für die Demokratie

Neben seinen außerordentlichen fußballerischen Fähigkeiten wird der 1,93 Meter große Hüne vor allem durch sein politisches Engagement in Erinnerung bleiben. Immer wieder nutzte der bekennende Linke seine Auftritte vor großem Publikum, um auf politische Missstände hinzuweisen.

In seinem Klub Corinthians, für den er zwischen 1978 und 1984 auflief, installierte er gemeinsam mit einigen Mitspielern und einem innovativen Präsidenten Anfang der 1980er Jahre die "Democracia Corinthiana", eine bis heute einzigartige Form der Selbstverwaltung eines Vereins, in der Trainer und Spieler gleichberechtigt über Aufstellungen oder Neuverpflichtungen entschieden. Gleichzeitig hatten Sócrates und seine Mitstreiter einen politischen Anspruch. Trikots wurden mit an die Militärregierung gerichteten politischen Parolen versehen, die unter anderem die Direktwahl des Präsidenten einforderten.

Bis zu seinem Tod blieb Sócrates ein unbequemer Kritiker des brasilianischen Fußballs und der brasilianischen Politik. Seinen schon zu aktiven Fußballerzeiten gepflegten Hang zu Alkohol und Nikotin entschuldigte Sócrates einmal mit dem Ausspruch: "Ich trinke, ich rauche, ich denke". Mit 57 Jahren erlag sein Körper den Strapazen seines Lebenswandels.

>> zum Spielerprofil von Sócrates

Ralf Amshove

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