FC Bayern: Ohne Perspektive ins "Finale"

Der Pokal-Kracher bei Hertha BSC (ab 20:45 Uhr im Live-Ticker) ist für den FC Bayern ein vorgezogenes Finale. Scheitert der Rekordmeister in der Hauptstadt, müssen sich die Verantwortlichen mit dem Gedanken an die erste titellose Saison seit sieben Jahren anfreunden. Vieles spricht dafür.
Wer wissen will, wie es derzeit um den FC Bayern bestellt ist, kann die täglichen Wasserstandsmeldungen der Medien getrost ignorieren. Nach der 1:3-Niederlage bei Bayer Leverkusen offenbarte Trainer Niko Kovac höchstpersönlich (und eher unfreiwillig), wie labil der Zustand des Rekordmeisters im Februar 2019 ist.
Das nicht gegebene Tor von Robert Lewandowski zum 2:0 sei "die entscheidende Szene" gewesen, urteilte der Münchner Trainer nach dem Schlusspfiff. Eine Analyse, die durchaus stimmen mag. Gleichzeitig aber auch ein Eingeständnis, dass der FC Bayern der Saison 2018/19 nur wenig mit den Münchner Mannschaften der vergangenen Jahre gemein hat und womöglich nicht gut genug ist, um einen Titel zu holen.
BVB und Bayer widerlegen "ungeschriebenes Gesetz"
Nach sechs Meisterschaften in Folge hat der Rekordmeister den Nimbus der Unschlagbarkeit endgültig verloren. Die Partie in Leverkusen ist der beste Beweis dafür. Unter Heynckes, Guardiola und Ancelotti war es nicht nur schwer vorstellbar, dass der Rekordmeister einen Halbzeitvorsprung noch aus der Hand gibt, es ist in den letzten acht Jahren schlicht und ergreifend nicht ein einziges Mal passiert. Bayer Leverkusen war nach dem BVB bereits die zweite Mannschaft, die dieses ungeschriebene Gesetz in der aktuellen Spielzeit widerlegte.
"Wir sind nicht souverän genug", beklagte Joshua Kimmich, der sich schwer tat, eine schlüssige Erklärung zu finden: "Die Qualität ist da, aber wir können zu selten zeigen, wie gut wir eigentlich sind." Ein Problem, das sich wie ein roter Faden durch die Saison zieht und sich in den offensichtlichen Zahlen widerspiegelt.
In 14 von 20 Bundesligaspielen kassierte das Team mindestens ein Gegentor. Stolze 23 Mal mussten Manuel Neuer und Sven Ulreich schon hinter sich greifen. Auf der anderen Seite erzielte der Rekordmeister in 20 Spielen "nur" 44 Treffer. Schlechtere Zahlen verbuchte der FC Bayern zu diesem Zeitpunkt der Saison zuletzt 2010/11.
Kovac zwischen schuld-, ideen- und taktlos?
Während die Spieler zunehmend ratloser und frustrierter wirken, scheint auch Kovac kaum eine Vorstellung davon zu haben, wie er das Ruder noch herumreißen will. Personell fehlen dem 47-Jährigen Alternativen. Der dünne Kader geht auf die Fehlplanungen der Verantwortlichen im Sommer und das ungeschickte Verhalten auf dem Wintertransfermarkt zurück. Der Trainer ist der, der es ausbaden muss.
Der Vorwurf, Kovac habe keinen Plan B, bekommt allerdings spätestens nach dem 1:3 in Leverkusen neue Nahrung. Einmal mehr zog sein Team gegen eine aggressive, hoch anlaufende und spielfreudige Mannschaft den Kürzeren. Die Gegenmaßnahmen des Kroaten waren überschaubar und verpufften. Nicht das erste Mal in dieser Saison.
Auch die Kommunikation von Kovac hat in den letzten Monaten immer mal wieder Fragen aufgeworfen. Seit den ersten Rückschlägen beschwört er "die Einheit", fordert das gemeinsame Verteidigen und Abstellen der Fehler. Glaubhaft vermitteln konnte er seiner Mannschaft seine Lösungsansätze dafür aber offenbar nicht.
Vor dem Spiel in Berlin nahm sich der Trainer seine Mannschaft erneut zur Brust und verschärfte den Ton: "Wenn ich nach jedem Fehler denjenigen Spieler auswechsle, habe ich am Ende gar keinen Spieler mehr." Eine Aussage, die die Spieler sicherlich aufmerksam registriert haben und die nicht unbedingt für das Feingefühl des Übungsleiters spricht.
FC Bayern droht eine Saison ohne Titel
In der Summe könnten die Versäumnisse und Verfehlungen des FC Bayern zur ersten titellosen Saison seit sieben Jahren führen, das "Finale" in Berlin schon das letzte in dieser Spielzeit sein. Die Aussichten in den anderen Wettbewerben sind bestenfalls getrübt.
In der Bundesliga ist der Rekordmeister schon jetzt auf mehrere Ausrutscher des BVB angewiesen. In der Champions League wartet mit dem FC Liverpool ein Gegner, der dem FCB die Grenzen auf schmerzhafte Art und Weise aufzeigen könnte.
In München gibt man sich krampfhaft entspannt: Selbst nach einer Saison ohne Titel werde der FC Bayern nicht untergehen, versicherte Uli Hoeneß Anfang November. Für den Verein mag diese Rechnung aufgehen, für das Personal gelten jedoch andere Maßstäbe.
Erinnerungen an die Saison 2010/11
Unweigerlich kommen Erinnerungen an die Spielzeit 2010/11 hoch. Das folgenschwere Jahr endete für den FC Bayern ohne Titel. Trainer Louis van Gaal musste damals vorzeitig gehen.
"Erfolg ist das eine. Aber der Spaß hat in diesem Verein seit langer Zeit gefehlt", begründete Präsident Uli Hoeneß die Entlassung des Niederländers, gegen den sich die Spieler vehement ausgesprochen hatten. Niko Kovac kennt diese Situation. Auch gegen ihn sollen intern schon Stimmen laut geworden sein. Und Spaß am Fußball vermitteln die Bayern-Spieler in diesen Tagen ganz sicher nicht.
Christian Schenzel