17.12.2022 15:14 Uhr

Flick spricht Klartext: DFB-Defensive "nur Durchschnitt"

Bundestrainer Hansi Flick (M.) hat sich nach der enttäuschenden WM zu Wort gemeldet
Bundestrainer Hansi Flick (M.) hat sich nach der enttäuschenden WM zu Wort gemeldet

Hansi Flick schmerzt das WM-Aus noch immer, schwerwiegende eigene Versäumnisse sieht er nicht.

Hansi Flick sitzt mit schwarzem Sakko und hellgrauem Rollkragenpulli am Nussholztisch im Frankfurter DFB-Campus, draußen liegen die vereisten Trainingsplätze und zwei Glühweinbuden im Halbdunkel. Der Bundestrainer ist "ein bisschen verschleimt", wie er mit belegter Stimme berichtet, die Wüsten-WM hat Spuren hinterlassen. Und doch sitzt da immer noch derselbe trotzige Hansi Flick wie zweieinhalb Wochen zuvor nach dem schmerzlichen WM-Aus im "Beduinenzelt" von Al-Bayt.

Ein Rücktritt "war für mich nie ein Thema", sagt er im "SID"-Interview mit festem Blick. Flick ist "absolut überzeugt" von seiner Arbeit und seiner "Mission Heim-EM 2024", in 25 Gesprächsminuten sind bei ihm keinerlei Selbstzweifel zu spüren. Er habe das Vertrauen von DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Vize Hans-Joachim Watzke, sagt er, das sei "eine gute Basis" für eine erfolgreiche Zukunft.

Als wäre nichts gewesen. Kein 1:2 gegen Japan. Kein WM-Desaster mit dem zweiten Vorrunden-Aus nacheinander. Die Daten bewiesen es doch, betont Flick: Seine Nationalmannschaft habe sich mit die meisten Chancen erspielt. Gut, die Effizienz habe gefehlt, die Defensive sei "nur Durchschnitt" gewesen. Aber die Gegner hätten dies auch "eiskalt ausgenutzt".

Flick hadert, es nagt. Folgt man seiner Argumentation, fehlten seiner Elf nur 30 Minuten gegen Japan, um unter die Besten vorzustoßen. Stand der Weg "zurück an die Weltspitze", wie es auf einem bunten Wimmelbild rechts neben Flick heißt, wirklich offen? Beim Betrachten der K.o.-Runde habe er sich bei dem Gedanken ertappt, "da hätten wir auch sein können", erzählt er verbittert. Den WM-Pokal kann er dabei auf einem Foto von 2014 aus dem Augenwinkel sehen.

Was hat gefehlt zum fünften Stern? Flick schwärmt von der Vehemenz, mit der die Turniersensation Marokko verteidigt habe, "diese Energie, diese Passion hat man bei uns im Spanien-Spiel erkannt". Hätte die DFB-Elf sogar mit den Finalisten Argentinien und Frankreich mithalten können? Dies, betont Flick, hätte seine Mannschaft "schon ganz oft gezeigt". Es müssten nur Konstanz und Disziplin her.

"Wir sind in der Bringschuld"

Und: Euphorie! Aus Flicks Sicht war die Katar-WM hierzulande politisch zu aufgeladen. Die ständige Kritik und das Genörgel - das war für ihn kein Klima, in dem Erfolg gedeihen kann. "Haben wir in Deutschland alles dafür getan, dass sich die Menschen auf die WM freuen konnten?", fragt er. In anderen Ländern habe sich die Politik vor den Sport gestellt, nur seine Elf habe auch dieses Feld beackern müssen, Stichwort "One Love". Für Politik aber "sind andere ausgebildet", seufzt Flick.

18 Monate bleiben ihm, um die miese Stimmung zu wandeln. "UEFA EURO 2024", dieses Motto stand groß und für alle gut sichtbar in blau, grün und rot bei der DFB-Weihnachtsfeier im Frankfurter Festsaal. "Wir haben nur diesen einen Schuss, der sitzen muss", hat ihm Neuendorf mitgegeben. Wie geht er es an? Muss er sich ändern? "Wir sind in der Bringschuld", sagt Flick, "wir wollen attraktiven Fußball zeigen und den Fans beweisen: Wir haben es kapiert."

Um dies zu gewährleisten, wird Flick von einem Expertenrat unterstützt. "Ich finde es großartig, dass sie sich bereiterklärt haben, uns beratend zur Seite zu stehen", sagt er, die Kritik an den "alten, weißen Männern" kann er nicht verstehen. Dass sie ihm einen Sportdirektor zur Seite stellen wollen, wäre nicht nötig gewesen - er hätte am liebsten mit seinem Vertrauten Oliver Bierhoff weiter gemacht: "Er wäre sicher kein Hindernis gewesen, um wieder erfolgreich zu sein."

Ob sich Flick auch von altgedienten Spielern trennen muss, will er in den nächsten Tagen in Einzelgesprächen etwa mit Thomas Müller erörtern. Aus seiner Sicht scheint dies eher nicht erforderlich zu sein. Italien habe doch "vorgemacht", wie man mit älteren Stars eine EM gewinnt.

Wenn Flick mit Müller und anderen gesprochen hat, will er die vermaledeite Wüsten-WM hinter sich lassen und dieses traurige Kapitel "abschließen". Dann freue er sich auf Weihnachten zu Hause im beschaulichen Bammental, auf die Zeit mit der Familie weit weg vom Fußball-Trubel.

Hat er Neujahrswünsche? Seine neue, alte Elf müsse "die Fans mit unseren Auftritten wieder begeistern", sagt er fast wortgleich wie zu Beginn seiner Amtszeit 2021. Der Anhang müsse wieder das Gefühl haben, dass das DFB-Team "alles für Deutschland" gebe: "Das möchte ich sehen!"

Online-Wettanbieter: bet365 | Interwetten | sportingbet | Tipico Sportwetten