12.07.2021 14:44 Uhr

EM-Helden erlösen Italien aus dem Corona-Trauma

Italien sicherte sich den zweiten EM-Triumph der Geschichte
Italien sicherte sich den zweiten EM-Triumph der Geschichte

Nach ihrem historischen Ritt in die Geschichtsbücher sind Italiens unbezwingbare Gladiatoren in der Heimat wie Heilige empfangen worden. Der lang ersehnte Titel wirkt auf das von Corona gebeutelte Land wie eine Erlösung.

Wie ein altes Ehepaar fielen Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini nach dem Finale furioso aufs Hotelbett, den Silberpokal nahmen die strahlenden Großmeister als "Baby" in ihre Mitte. "Keine Sorge, es wird sicher schlafen. Wir werden es beschützen", schrieb Bonucci auf Instagram.

Auf dieses "Kind" hatte ganz Italien 53 Jahre gewartet - und so wurden die Väter des Erfolgs in der Heimat auch wie Heilige gefeiert. "Jetzt sind wir Legenden", meinte Torschütze Bonucci: "Alle Italiener werden uns lieben."

Bonucci jubelt: "Wir sind die Champions von Europa!"

Als Trainer Roberto Mancini und Kapitän Chiellini nach der Landung auf dem Flughafen Fiumicino um 6:06 Uhr mit dem EM-Pokal in den Händen ausstiegen, gab es Freudenschreie der Fans und Airport-Mitarbeiter. "Wir sind die Champions von Europa!", rief ihnen Bonucci zu. Mancini versteckte seine müden Augen, in denen sich nach dem Schlusspfiff beim epischen EM-Endspiel gegen England (3:1 i.E, 1:1 n.V.) Tränen des Glücks gesammelt hatten, hinter einer dunklen Sonnenbrille.

Bei der Ankunft im Grand Hotel Parco dei Principi warteten trotz der frühen Stunde Hunderte Tifosi, die ihre Unbezwingbaren mit Sprechchören hochleben ließen. Nicht nur Chiellini, der mit einer goldenen Krone auf dem Kopf und einem glückseligen Lächeln an den Fans vorbeispazierte, fühlte sich wie ein König.

Europas Fußball-Thron hatten Italiens Gladiatoren sieben Stunden zuvor mit einem Sieg des Willens und des Zusammenhalts erobert. Nach dem 3:2 im Elfmeterschießen brachen alle Dämme - auf dem Heiligen Rasen in Wembley und auf den Straßen Italiens. In allen großen Städten von Mailand bis Palermo gab es bis zum Morgengrauen Autokorsos, Feuerwerk und grün-weiß-rote Straßenpartys. "Es lag etwas Magisches in der Luft", sagte Bonucci: "Es ist nur recht, dass alle Italiener in allen Ecken dieser Welt heute Nacht feiern."

Die Squadra Azzurra hat Italien nicht nur den zweiten EM-Titel nach 1968 geschenkt. Sondern auch eine "Auferstehung aus der schlimmsten Zeit unseres Lebens" (Corriere della Sera) und eine "Erlösung nach der Müdigkeit und Angst von zwei schrecklichen Jahren" (La Repubblica). Es scheint, als könnte der Triumph den Corona-Schleier, der Italien mit über 100.000 Toten und gravierenden wirtschaftlichen Folgen anderthalb Jahre umhüllte, auflösen.

Donnarumma zum besten Spieler der EM gewählt

Das spürt Papst Franziskus selbst in Rom, wo er sich von den Folgen einer Darm-Operation erholt und das EM-Finale verfolgte. Der Sport habe gezeigt, dass man sich nach "Schwierigkeiten des Lebens immer wieder auf den Weg machen und kämpfen" müsse, "ohne aufzugeben, mit Hoffnung und Vertrauen", sagte er nach Angaben seines Sprechers Matteo Bruni. Chiellini widmete den Sieg den Ärzten, Pflegern und all "denjenigen, die durch die Pandemie in die Knie gezwungen wurden".

Fallen, aufstehen, kämpfen und am Ende gewinnen - das hat die "neue" Nationalmannschaft dem Volk vorgelebt. Nach der verpassten WM 2018 sei man "noch das schwarze Schaf Europas" gewesen, schrieb "Tuttosport", "jetzt sind wir die Meister". Und was für welche! Leidenschaft, Zusammenhalt, Offensivpower, ein überragender Elfmeter-Killer Gianluigi Donnarumma, der zum besten Spieler der EM gewählt wurde - die Italiener spielten den attraktivsten Fußball dieser EM und eroberten die Herzen vieler neutraler Fans.

Mancini mit Italien seit 34 Spielen ungeschlagen

Mancini leitete den magischen Wandel vor drei Jahren ein, jetzt - nach 34 ungeschlagenen Spielen in Folge - ist er auf dem Olymp angekommen. Mit seinen taktischen und personellen Änderungen zur Halbzeit hat er auch im Endspiel, das nach dem schnellsten Finaltor der EM-Geschichte durch Luke Shaw schon nach 116 Sekunden für manche verloren schien, eine Wende herbeigezaubert.

Um dieses märchenhafte EM-Abenteuer zu verarbeiten und sich für die Jagd auf den WM-Titel 2022 neu zu motivieren, will der Erfolgstrainer demnächst auf dem Jakobsweg pilgern. Und wohl über den Moment sinnieren, als er die Tränen nicht mehr unterdrücken konnte. Als er seinen Assistenten Gianluca Vialli, den er nach dessen Krebserkrankung in den Trainerstab geholt hatte, innig umarmte und sich emotional fallen ließ.

Seine Spieler genossen da schon den Startschuss für den Party-Marathon, auch der schwer verletzte Leonardo Spinazzola feierte auf Krücken kräftig mit. "It's coming to Rome", schrie Bonucci nach seinem Ausgleichstreffer (67.) in die Kamera. Diese Stichelei gegen die Engländer griff der Abwehrchef später wieder auf. "Seit dem Dänemark-Spiel haben sie gedacht, dass der Pokal nach Hause nach London kommt. Es tut mir leid für sie, aber der Pokal wird einen schönen Flug nach Rom machen", sagte Bonucci genüsslich: "Italien hat mal wieder eine Lektion erteilt."

Und wie nebenbei scheinbar ein ganzes Land von einem Trauma erlöst.

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