03.02.2021 17:18 Uhr

Warum Erling Haalands "Abseits-Treffer" zählte

Schiedsrichter Stieler hatte bei der Partie zwischen dem BVB und dem SC Paderborn jede Menge zu tun
Schiedsrichter Stieler hatte bei der Partie zwischen dem BVB und dem SC Paderborn jede Menge zu tun

SC Paderborns Trainer Steffen Baumgart kann sich nach dem Pokal-Achtelfinale gegen Borussia Dortmund gar nicht beruhigen. Er zürnt gegen Schiedsrichter Tobias Stieler, schimpft über verpasste Millionenzahlungen, die nun an den BVB gehen. Die Szene, die ihn entsetzt, ist laut "Collinas Erben" aber eindeutig.

Das war doch abseits! Das war niemals eine Ballberührung! Für viele Fußball-Fans ist auch am Morgen nach dem DFB-Pokal-Achtelfinale klar: Der SC Paderborn ist betrogen worden.

Das Spiel hätte nicht 3:2 (2:0, 2:2) nach Verlängerung ausgehen dürfen. Das Tor von Erling Haaland hätte nicht das spielentscheidende 3:2 für Borussia Dortmund sein dürfen. Denn der Norweger stand klar im Abseits, als er sich mit einem seiner unwiderstehlichen Läufe allein aufmachte in Richtung Tor von Paderborns Leopold Zingerle.

Trotzdem genehmigte Schiedsrichter Tobias Stieler den Treffer - nach knapp fünf Minuten Bedenkzeit und Austausch mit dem Video-Assistenten. Denn die Linien waren nicht das Problem, das Abseits unstrittig. Doch, so die Wertung, konnte Haaland gar nicht im Abseits stehen, da gar nicht einer seiner Mitspieler den Ball zuletzt berührt hatte.

Kontakt "schwer zu erkennen", aber gut zu hören

Vielmehr war es Svante Ingelsson, Paderborns Mittelfeldspieler, der die mögliche Sensation seines Teams nach der Aufholjagd von 0:2 zum 2:2 zunichtemachte - in der 95. Minute, als sich Paderborn durch Treffer von Julian Justvan (79.) und Prince Owusu in die Verlängerung gerettet hatte. 

Denn Ingelsson grätschte in den Schuss von Thomas Delaney, der zu Haaland passte. Am Pass konnte der Schwede nichts ändern, er berührte den Ball minimal - wenn er ihn denn überhaupt berührte. Doch darauf entschieden Stieler und der Video-Assistent, für sie war es eine bewusste Aktion Ingelssons.

Diese Erklärung gab es auch auf dem Twitter-Account der DFB-Schiedsrichter: "Die Wahrnehmung des Schiedsrichter-Teams auf dem Platz war, dass der Spieler Ingelsson durch ein bewusstes Berühren des Balles die vermeintliche Abseitsposition des Spielers Haaland aufgehoben hat. Diese konnte durch die TV-Bilder, die dem VAR vorliegen, nicht zweifelsfrei widerlegt werden. Aus diesem Grund blieb die Feld-Entscheidung bestehen."

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter-Experte von "Collinas Erben" erklärt: "Auf den Fernsehbildern ist das schwer zu erkennen, allerdings konnte man den Kontakt aufgrund des fehlenden Publikums tatsächlich hören."

Dies sagte auch Emre Can nach der Partie in der "ARD": "Keine Ahnung, ob es Abseits war. Aber ich weiß auf jeden Fall, dass er ihn (den Ball, Anm. d. Red.) berührt hat, ich habe es bis hinten gehört." 

So kam also der Ball für Haaland nicht mehr vom eigenen Mann, sondern vom Gegner - Abseits unmöglich. Denn, so Feuerherdt: "Dieser Ballkontakt, so geringfügig er auch war, ist regeltechnisch als absichtliches Spielen des Balles zu bewerten." Und weiter: "Beim absichtlichen Spielen des Balles kommt es nur auf die bewusste Aktion zum Ball an. Ob der Ball anschließend zu einem Mitspieler oder einem Gegenspieler geht oder ins Aus fliegt, ist unerheblich."

"Das ist eine absolute Frechheit"

Ganz anderer Meinung war Steffen Baumgart. Paderborns Trainer regte sich nach dem Spiel fürchterlich über die Entscheidung auf: "Der Schiedsrichter hatte die Wahrnehmung, dass unser Spieler den Ball spielt. Ich sehe da keine Veränderung des Balles, das ist eine absolute Frechheit", schimpfte Baumgart am "ARD"-Mikrofon.

Tatsächlich ist es in Videos selbst mit zahlreichen Wiederholungen kompliziert, eine Berührung Ingelssons am Ball auszumachen. In den sozialen Netzwerken negieren Fans, dass eine solche vorliegt, es hätte also auf Abseits entschieden werden müssen, der Treffer nicht zählen dürfen.

Es ging Baumgart aber neben der getroffenen Entscheidung auch noch um etwas anderes. Nämlich um das Zustandekommen eben jener: Stieler hatte sich die Szene nicht selbst auf dem zur Verfügung stehenden Monitor angeschaut, sondern auf das Urteil des Video-Assistenten vertraut. Baumgart mangelt es da an Respekt: "Langsam wird's lächerlich. Nicht rauszugehen, um sich das anzugucken, das ärgert mich. Da machen wir uns zum Affen", sagte er. Und: "Respekt bedeutet auch, sich den Scheiß anzugucken und nicht den Kleinen wieder in den Arsch zu treten."

Deshalb hat der VAR keine Überprüfung empfohlen

Laut Protokoll gibt es aber keine Pflicht für Schiedsrichter, in diesem Fall Stieler, sich die Szene anzusehen. Feuerherdt zufolge war die Verantwortung des VAR, zu beweisen, dass es keinen Ballkontakt gab.

"Dieser Beleg war nicht zu erbringen, die Bilder widerlegen Stieler also nicht. Deshalb hat der VAR kein Review empfohlen", erklärt der Schiedsrichter-Experte. "Stieler hätte sich zwar von sich aus die Bilder anschauen können. Allerdings hätte er dabei nichts zu sehen bekommen, was er nicht schon auf dem Feld wahrgenommen hatte."

Baumgart aber zürnte: "Wir stehen da und frieren uns sieben Minuten lang den Arsch ab. Das geht für uns um zwei Millionen! Ich bin keine Aktiengesellschaft, wir kämpfen um jede müde Mark." Eine minimale Berührung entscheidet über die Chance aufs Weiterkommen, das viel Geld bringt. Noch dazu eine Entscheidung, die für die meisten nicht eindeutig zu erkennen ist.

Hätte man da nicht im Zweifel für den Angeklagten entscheiden können? Feuerherdt kann nachvollziehen, dass viele eine schnellere Überprüfung fordern, dass ihnen der VAR-Kontakt zu lange dauert. "In diesem konkreten Fall verstehe ich aber, dass man sich Zeit genommen hat. Auf den ersten, zweiten und dritten Blick sah es nach einem Abseits aus, und dann sollte man sich nicht dem Vorwurf mangelnder Sorgfalt aussetzen." Denn sonst hätten sich die Dortmunder zu Recht aufregen können: "Wäre der Check schnell beendet worden, hätte der Einwand gelautet: Der VAR war zu hastig."

Anja Rau

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