Kurioses Coaching: Ist Baum zu viel Fußball-"Lehrer"?

Seit etwas mehr als 50 Tagen ist Manuel Baum nun schon Trainer des FC Schalke 04. Dass der ehemalige Realschul-Lehrer beim Coaching während der S04-Spiele einiges anders macht als sein Vorgänger, gefällt längst nicht jedem.
Wenn man früher vom TV-Kommentator genervt war, schaltete man - wenn möglich - auf Stadion-Ton um. Ein paar Tastendrücke und schon war Ruhe. Doch in den zurückliegenden Spielen war genau jener Stadion-Ton für den ein oder anderen Zuschauer kaum noch erträglich. Der Grund: Leere, stimmungslose Arenen aufgrund der Corona-Pandemie und, dafür umso lauter: Manuel Baum.
"Der Herr Baum muss ja offensichtlich jedem der zehn Feldspieler ununterbrochen sagen, was er zu tun hat", "Wie viele Packungen Halstabletten verbraucht Baum eigentlich so in der Halbzeit?" und "Kann jemand den Baum mal auf stumm stellen?" waren nur drei von unzähligen Zitaten ungehaltener Social-Media-Nutzer während der letzten Spiele der Königsblauen.
Kein Wunder: Baum - gelernter Pädagoge und bis vor wenigen Jahren noch praktizierender Lehrer für Sport und Wirtschaft an der Walter-Klingenbeck-Realschule im tiefsten Bayern - zeigte sich überaus engagiert an der Seitenline, ließ die Aktionen seiner Schalker Problemschüler kaum ein paar Sekunden unkommentiert.
"Schaut auf Manuel Baum, der lebt Schalke!"
Das fiel nicht nur dem geneigten Zuschauer auf. DAZN-Kommentator Sebastian Benesch machte sich während des Spiels gegen den VfB Stuttgart (1:1) Ende Oktober sogar einen Spaß daraus, die häufigsten Anweisungen per Strichliste zu sammeln. Darunter besonders häufig so grundlegende Aufforderungen wie "Anbieten!", "Spielen!", "Helft euch!" oder Baums Lieblingssatz: "Mitte zu!", der allein in Halbzeit eins mehr als ein Dutzend Mal zu hören war.
Das Echo auf Baums extrem engmaschiges Coaching, ganz im Kontrast zum fast stoisch wirkenden VfB-Coach Pellegrino Matarazzo, war entsprechend gespalten. Während einige Schalke-Fans und neutrale Zuschauer sich über den 41-Jährigen amüsierten, weil er die millionenschweren Profis wie eine Schülermannschaft dirigierte und sich in Rumpelstilzchen-Manier in der Coaching-Zone bewegte, lobten andere seinen Ansatz. "Manuel Baum hat in seiner Zeit als Schalke-Coach schon mehr gerufen als David Wagner in fast anderthalb Jahren", hieß es beispielsweise.
Und tatsächlich scheint es so, als würde das Thema derzeit etwas heißer gekocht, als es am Ende gegessen wird. Hätte Baum das Trainer-Amt zu einer Zeit übernommen, in der das Stadion voll und die Stimmung und Lautstärke demensprechend ist, wäre er für sein intensives Coaching vermutlich eher gelobt als belächelt worden, frei nach dem Motto: "Schaut auf Manuel Baum, der lebt Schalke!".
Die Corona-Pandemie hingegen lässt die recht einfach gehaltenen Anweisungen in ihrer Deutlichkeit beinahe unverhältnismäßiger erscheinen, als sie für das verunsicherte Schalker Team vermutlich sind. "Zur Trainer-Kompetenz gehört auch die Frage: Wie führe ich eine Mannschaft? Unser Team ist sehr heterogen, was Charaktere und kulturelle Hintergründe angeht", sagte Baum bei seiner Vorstellung. In diesem Lichte scheint es gar nicht mehr so abwegig, mit vielen Hilfestellungen eine Grundordnung zu etablieren, um die orientierungslosen Einzelkämpfer auf eine Linie zu bringen.
Führt Baum den FC Schalke 04 zum Klassenerhalt?
Wenn es Baum gelingt, mit diesen Mitteln dafür zu sorgen, dass sich die Spieler wieder anbieten (Lieblingsruf Nr. 2) , sich gegenseitig helfen (Lieblingsruf Nr. 3) und im richtigen Moment abspielen (Lieblingsruf Nr. 4), ist im Vergleich zum Schalker Fußball der letzten Monate und Jahre schon einiges besser. Denn Baum hat erkannt, dass es den Königsblauen eher an Vertrauen und Klarheit im eigenen Spiel als an Klasse fehlt.
"Ich weiß relativ gut und schnell, was man für Sachen machen muss, um wirken zu können", sagte Baum, der schon beim FC Augsburg vor fünf Jahren ins kalte Wasser geworfen worden war und das Team ins gesicherte Mittelfeld führte, bei seinem Antritt in Gelsenkirchen. Dass Baums Mittel so langsam greifen und die Schalker Spieler ihm vertrauen, ist in den letzten Wochen zumindest in Ansätzen zu erkennen gewesen.
"Er bringt neue Ideen ins Team – das Training ist sehr intensiv und sehr detailliert. Jede Einheit ist an die Spielweise gebunden, mit der wir am Wochenende auftreten wollen. Besonders unsere jungen Spieler werden viel von ihm lernen können", lobte Vedad Ibisevic den Coach zuletzt bei "t-online."
Baum, der es mag, möglichst viel zu kontrollieren, wird nur aufpassen müssen, dass er es rechtzeitig schafft, seinen Schülern eine gewisse Eigenverantwortung zu vermitteln. Dass dafür in dieser frühen Phase noch nicht der Zeitpunkt gekommen ist, ist jedoch verständlich.
Anders als beim FCA, wo ihm die Spieler irgendwann nicht mehr folgten, weil er sie mit seiner Detailverliebtheit erstickte, hat Schalke vorgesorgt und Baum mit Naldo von Beginn an einen erfahrenen Praktiker an die Hand gegeben, der die Bundesliga aus Spielersicht kennt.
Dass der ehemalige Top-Verteidiger zudem das Credo "Die Mitte muss zu sein" mitlebt, dürfte ohnehin außer Frage stehen.
Im Übrigen nicht ganz zufällig das Credo des letzten Meistercoaches von Schalke 04: Edi Frühwirth. Der hatte die Königsblauen mit verdichteter Mitte - damals ein ganz neuer Ansatz - im Jahr 1958 bis zur deutschen Meisterschaft geführt.
Für Fußball-"Lehrer" Baum hingegen wäre mit Blick auf die aktuelle Lage schon der "Klassen"-Erhalt ein großer Erfolg.
Chris Rohdenburg