Kahn findet Nübel-Wechsel "mutig"

Als brodelnder Fußball-Vulkan will sich Oliver Kahn in Business-Hemd und Anzug nicht mehr aufführen. "Ich werde nicht durch den Meetingraum grätschen", sagte der 50-Jährige und lächelte zum Abschluss seiner wegweisenden Antrittsrede als Vorstandsmitglied beim FC Bayern München.
Emotionalität habe ihm auf dem Platz sehr viel geholfen, "aber das ist über elfeinhalb Jahre her und die Dinge ändern sich". Grenzwertige Auftritte als Torwart-"Titan" und Heißsporn gehören der Vergangenheit an. Mit wohlüberlegten Worten rief der langjährige Kapitän am Dienstag bei seiner Vorstellung in der Münchner Arena ein neues Kapitel seiner großen Karriere aus.
Kahn trat zum Start seiner zunächst auf fünf Jahre datierten Amtszeit beim deutschen Fußball-Rekordmeister schon sehr Chef-like auf. Der frühere Weltklassekeeper strahlte nach fast zwölf Jahren Abwesenheit auch gleich wieder diesen unbändigen Ehrgeiz aus, mit dem er zur von den Bayern-Fans verehrten Klub-Legende avanciert war.
"Die Erfolgsgeschichte weiter- und fortzuschreiben, das ist schon ziemlich reizvoll, und vielleicht noch eine Schippe draufzulegen", sagte Kahn passend zu seinem früheren Spieler-Motto "weiter, immer weiter". Ziel sei es für den FC Bayern, in allen Bereichen "die Nummer 1" zu sein, sagte Kahn. Man wolle "hochklassigen, absoluten Weltklasse-Fußball" bieten. Wie einst Uli Hoeneß will Kahn auch "für die Spieler da sein" und eine "familiäre" Atmosphäre schaffen. Der Ex-Boss, der Kahn als starken Mann für seinen Herzensklub noch selbst ausgewählt hatte, wird an solchen Mia-san-Mia-Worten diebische Freude haben.
Nübels Wechsel zum FC Bayern "sehr mutig"
Als mächtiger Vorstandschef der Zukunft moderierte Kahn gleich einmal das jüngste Aufregerthema: die Torhüter-Debatte nach der Verpflichtung von Alexander Nübel. Der Schritt sei "sehr mutig", lautete die Botschaft des einstigen Welttorhüters an das große Torwarttalent. Flapsig ausgedrückt: Du traust dich was, Junge! Nübel sehe "sich in einigen Jahren als absolute Nummer eins. Seinen Weg gilt es zu akzeptieren", sagte Kahn, der sich auch viel (zu)traute.
Aus Vereinssicht sei es "eine sehr kluge und strategische Entscheidung" gewesen, den noch dazu ablösefreien ehemaligen U21-Nationaltorwart zu holen, sagte Kahn. Nübel sei zunächst bereit, "sich hinten anzustellen" und von dem "verdienten" Weltklassetorwart Manuel Neuer zu lernen, stellte er als Vorstand aber schnell klar.
Auch der "Titan" soll lernen. In knapp zwei Jahren soll er den dann 66-jährigen Karl-Heinz Rummenigge als Vorstandsvorsitzenden an der Spitze des operativen Geschäftes ablösen. Rummenigge musste seine Teilnahme an der großen Präsentation des Nachfolgers kurzfristig erkrankt absagen. Präsident und Aufsichtsratschef Herbert Hainer rühmte den Kronprinzen als Idealbesetzung für den Posten. "Er war der weltbeste Torhüter und hat das Bayern-Gen vorgelebt wie kaum ein anderer", erklärte der Hoeneß-Nachfolger. "Oliver Kahn ist der richtige Mann für diesen Job!" Hainer/Kahn - das könnte passen.
Der langjährige Adidas-Chef hob neben der Bayern-DNA eine "absolute Fußballfachkompetenz" und "wirtschaftliche Kompetenz" als wesentliche Punkte im Anforderungsprofil hervor. Auch das bringe Kahn mit, der von 1994 bis 2008 als Torwart und Kapitän mit dem Rekordmeister Titel um Titel gewann. Seine wirtschaftliche Kompetenz auf dem Niveau eines Welt-Unternehmens mit 1000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 750 Millionen Euro muss Kahn allerdings noch beweisen.
Er selbst verwies auf seine Erfahrungen als Unternehmer und seine Fußball-Analysen für das ZDF. "Dieses Paket lässt mich diese Aufgabe mit großem Selbstbewusstsein angehen", sagte Kahn, ohne dabei überheblich zu klingen. "14 Jahre für den FC Bayern München waren eine extrem lange Zeit mit sehr vielen Emotionen. Die DNA steckt so tief in einem drin, dass man diesen Verein nie verlassen kann."
Der 50-Jährige umschrieb die Rückkehr als besonderen Moment. "Für mich ist das schon eine Herzensangelegenheit, was bedeutet, dass sehr viel Herzblut dabei ist. Dementsprechend emotional waren die letzten Tage", sagte Kahn. Noch am Dienstag wollte er gleich weiter zur Mannschaft ins über 5000 Kilometer entfernte Trainingslager nach Katar fliegen. "Der sportliche Bereich ist der Kern, die Mannschaft ist das Entscheidende. Ich möchte mir dort einen Einblick verschaffen, wie die Stimmung ist", kündigte Kahn an.
Schon nach wenigen Monaten will er seine ersten Bayern-Titel im neuen Amt feiern. Dafür richtete er eine Kampfansage an Herbstmeister RB Leipzig, der vier Punkte vor dem Tabellendritten liegt. "Wir wollen uns nicht erlauben, die Meisterschaft abzugeben. Unsere Serie ist unglaublich, siebenmal in Folge Meister. Das ist für die Ewigkeit - achtmal allerdings auch!"
Die Zielsetzung für die zweite Saisonhälfte sei "relativ klar", sagte der Champions-League-Sieger von 2001. National und international sollen Erfolge gefeiert werden: "Die Leistung in der Champions League war überragend. Es ist alles möglich." Die Bayern treffen im Achtelfinale auf den FC Chelsea aus der englischen Premier League. "Beim FC Bayern kann es immer nur sein, dass wir spitze sind."
Die Erwartung an Kahn ist groß, das verdeutlichten auch Hoeneß, Rummenigge und Hainer. Das mache ihm "nicht so viel aus", sagte Kahn cool. "Ein großer Trainer des FC Bayern München hat mal gesagt: Wer bei Bayern München einen Vertrag unterschreibt, muss wissen, was er getan hat." Wer weiß das besser als der frühere "Titan".
Alle Aussagen der Pressekonferenz zum Nachlesen:
+++ Kommt der Vulkan-Kahn künftig zur Geltung? +++
"Ich denke, Emotionalität ist sehr wichtig. Das war für mich auf dem Platz wichtig und ich habe gehört, dass das auch auf der Tribüne wichtig ist. In anderen Bereich wie in der Wirtschaft ist Emotionalität nicht sinnvoll. Ich werde mich da jetzt in Zukunft zurückhalten und nicht durch den Meeting Raum grätschen."
+++ Kahn und Hainer über interne Entscheidungskultur +++
"Jeder sollte seine Meinung haben und es ist gut, dass über Probleme diskutiert wird. Das war auch in den letzten Jahren so. Wichtig ist, dass am Ende immer zum Wohl des FC Bayern entschieden wird. Die Meinung von Oliver Kahn werden wir im Aufsichtsrat gerne hören und wir wollen ihm auch die ein oder andere Hilfestellung an die Hand geben", erwidert Hainer.
"Für Entscheidungen ist es notwendig, dass mit unterschiedlichen Sichtweisen diskutiert wird. Wichtig ist aber, dass dies intern geschieht. Wir haben viele Personen in diesem Verein, die Verantwortung übernehmen müssen und ihr Wissen einbringen müssen. Das ist, was ich unter einen Entscheidungsprozess verstehe", ergänzt Kahn.
+++ Kahn über den Umgang im Verein +++
"Es ist ein ganz wichtiger Aspekt, dass man die sportliche Professionalität und das Menschliche zusammenbekommt. Das verfolgen wir hier beim FC Bayern, diese familiäre Atmosphäre. Deshalb steht auch meine Tür immer offen. Das ist das, was diesen Verein in den letzten Jahren von anderen großen Vereinen in Europa unterschieden hat. Die Spieler wissen, dass sich der Verein um sie kümmert."
+++ Kahn erneut zu Nübel +++
"Ich war zuletzt noch nicht in Transferentscheidungen involviert. Jeder, auch ein Alexander Nübel, muss seinen eigenen Weg gehen. Dieser Schritt erfordert von Alexander Nübel einen großen Mut. Es gilt, diesen Schritt zu respektieren. Wir sollten uns darüber aber jetzt noch nicht allzu viele Gedanken machen."
+++ Kahn über die Rückrunde +++
"Der sportliche Bereich ist der Kern, die Mannschaft ist entscheidend im Verein. Ich muss mir jetzt erstmal einen Eindruck verschaffen, wie die Spieler drauf sind. Die Ziele sind ohnehin klar. Wir haben diese unglaubliche Serie von sieben Mal in Folge Meister. Das ist schon jetzt etwas für die Geschichtsbücher, achtmal Meister aber auch. Aber wir wollen nicht nur die Meisterschaft, auch in der Champions League haben wir überragende Leistungen gezeigt. Mit dieser Selbstverständlichkeit sollten wir die Rückrunde angehen."
+++ Kahn über seine Beteiligung an Transfers +++
"Der sportliche Bereich ist in erster Linie die Aufgabe von Hasan Salihamidzic und ich bin da auch Teamplayer. Ich will den Entscheidungsprozess teamfähig angehen. Wir haben beim FC Bayern sehr viel Fachkompetenz, ob es Hasan ist oder die Analyseabteilung. Es geht darum, das alles zusammenzubringen."
+++ Kahn über den Druck in der neuen Position +++
"Beim FC Bayern ist das nun einmal so. Ich weiß, wie hoch die Erwartungen sind. Das macht mir nicht so viel aus. Ein großer Trainer des FC Bayern hat einmal gesagt: 'Wer beim FC Bayern einen Vertrag unterschreibt, muss wissen, was er tut'. Das sagt eigentlich alles."
+++ Kahn über mögliche Veränderungen ++++
"Nur was sich weiterentwickelt, bleibt am Ende auch lebendig. Ich habe die Dinge zuletzt von außen beurteilt. Das ist immer etwas anderes als sich die Dinge von innen anzuschauen. Ich muss mir jetzt erstmal einen Eindruck verschaffen, um dann sinnvoll sagen zu können, was verändert werden muss. Ein Thema ist sicherlich der Nachwuchs, wo wir auch Spitze werden wollen, damit wir wieder junge Spieler an die Mannschaft heranführen. Da sind wir schon auf einem guten Weg, genau wie beim Sportlichen mit Hasan Salihamidzic. Wir wollten aber auch wieder eine klare Spielidee."
+++ Kahn über seine Ziele +++
"Ich spreche ungern über eine Vision, sondern lieber über Ziele. Wir wollen überall vorne dabei sein und die Nummer eins sein. Wir tun diese Dinge, um unseren Fans den bestmöglichen Fußball zu bieten. Um das zu gewährleisten, müssen wirtschaftliche Voraussetzungen geschaffen werden. Hochklassiger Weltklasse-Fußball und das Streben nach der Nummer eins, das ist mein Anspruch."
+++ Kahn über das Torwart-Thema +++
"Ich denke wir alle wissen, was Alexander Nübel für ein Talent ist und was für Fähigkeiten er hat. Deshalb war es eine kluge strategische Entscheidung, einen solch talentierten Torwart zu verpflichten. Er hat sich auch bereit erklärt, sich hinten anzustellen und erst einmal zu lernen. Über die Qualitäten von Manuel Neuer müssen wir gar nicht reden. Ich bin in der schönen Situation, dass ich mit Ruhe an diese Situationen heran gehen kann und mit den Beteiligten reden kann. Unsere Prioritäten liegen nun erstmal auf der Rückrunde."
+++ Kahn über seine Qualifikationen +++
"Es war ein besonderer Moment für mich in den letzten Tagen. Das letzte Mal war ich 2008 hier, als ich mein Abschiedsspiel gemacht habe. Aber so ganz geht man hier nie weg. Deshalb war das für mich eine Herzensangelegenheit. Das Wirtschaftliche hat mich schon zu der Zeit meines Karriereendes sehr stark interessiert. Deshalb habe ich auch rasch ein Studium angefangen, weil mich das Unternehmerische fasziniert. Ich habe dann mehrere Unternehmen gegründet und jeder, der das Unternehmertum kennt, weiß, was für eine Aufgabe das ist. Dazu habe ich beim "ZDF" als Experte sehr analytisch gearbeitet. Dieses Paket gibt mir sehr viel Selbstvertrauen für die kommenden Aufgaben."
+++ Kahn über seine Aufgaben +++
"Ich habe in den letzten Wochen und Monaten bereits viele Gespräche geführt. Aber ich wollte es auch nicht übertreiben, weil ich es wichtig fand, völlig unvoreingenommen an diese Aufgabe heranzugehen. Das bedeutet es beginnt heute zu 100 Prozent. Wir haben eine klare Struktur aufgesetzt mit einer sehr professionellen Einarbeitungsphase. Ich muss einen Blick für das große Ganze haben und mir nicht nur einen Einblick auf den sportlichen Bereich verschaffen. Der Prozess soll mir den bestmöglichen Überblick über alle Bereiche im Verein ermöglichen."
+++ Kahn über seine Motivation +++
"Vierzehn Jahre war ich beim FC Bayern, das war eine lange Zeit mit viel Emotion. Die DNA des Klubs steckt so tief in einem drin, dass man nie loslassen kann. Ich war immer dabei. Zwar hat sich einiges in den letzten Jahren verändert, aber die DNA ist immer gleich geblieben. Es ist eine große Herausforderung, diesen erfolgreichen Verein zu führen und die Erfolgsgeschichte fortzuschreiben. Das ist schon ziemlich reizvoll, und vielleicht noch eine Schippe draufzulegen. Das gehört auch zu meinem Charakter. Ich musste nicht lange überlegen."
+++ Hainer für die Argumente für Kahn +++
"Die gute und weitsichtige Planung ist wichtig für jedes Unternehmen. Wenn man wie wir zwei hochrangige Persönlichkeiten wie Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge verliert, dann muss man sich frühzeitig hinsetzen und die Nachfolge planen. Der erste Schritt ist bereits erfolgt. Dann haben wir uns im Aufsichtsrat hingesetzt und überlegt, wer den Verein künftig führen soll. Er sollte absolute Fußball-Kompetenz haben, das Bayern-Gen ich sich tragen und wirtschaftliche Kompetenzen haben. Oliver Kahn vereint diese Fähigkeiten. Er ist der richtige Mann für diesen Job. Wir wollten ihn frühzeitig haben, um ihn rechtzeitig auf diese Aufgabe vorzubereiten."
+++ Los geht's +++
In diesen Minuten beginnt die Pressekonferenz in München. Oliver Kahn nimmt gemeinsam mit Klub-Präsident Herbert Hainer auf dem Podest Platz. Alle warten gespannt auf seine ersten Äußerungen im neuen Amt. Kahn wirkt entspannt und lächelt ruhig in die Kameras. Karl-Heinz Rummenigge fehlt krankheitsbedingt.
+++ Neuer sieht Kahn "sehr positiv" +++
"Ich bin sehr gespannt, wie er auftritt, weil er sich, was den FC Bayern betrifft, sehr zurückgehalten hat", sagte Kapitän Manuel Neuer in Doha. "Ich habe gegen ihn ja noch gespielt und ihn natürlich auch beobachtet, wie er sich in den ersten Jahren nach der Karriere verhalten und entwickelt hat", so der 33 Jahre alte Ex-Schalker weiter. "Ich finde es sehr positiv, was er alles gemacht hat. Ich freue mich darauf, dass Oliver Kahn zu uns stößt."
+++ Kimmich: "Weiß noch nicht, was sich mit Kahn verändert" +++
Auch Joshua Kimmich ist schon gespannt. "Er ist ein Leader-Typ. Er war einer, der über Emotionen gekommen ist, der sehr erfolgreich gewesen ist in seiner Karriere", sagte Kimmich im Trainingslager. "Natürlich ist das jetzt eine ganz andere Rolle, die er einnehmen wird. Ich weiß gar nicht so genau, was sich mit ihm verändert. Ich lasse das auf mich zukommen.
+++ Ist Oliver Kahn der richtige Mann für den FC Bayern? +++
+++ Nach der Vorstellung geht es sofort an die Arbeit +++
Sobald sich Kahn den Fragen der Medienvertreter gestellt hat, steigt er auch schon in den Flieger nach Doha, ins Trainingslager des FC Bayern München. Gegen 23:45 Uhr Ortszeit wird er dort erwartet. Tags drauf wird er sich der Mannschaft vorstellen und auch den Übungseinheiten beiwohnen.
Richtung Wochenende geht es dann mit dem Team zusammen zurück in die Heimat, wo am Samstag (15:30 Uhr) ein Testspiel gegen den 1. FC Nürnberg auf den deutschen Rekordmeister wartet.