11.12.2019 12:11 Uhr

Freud und Leid der Ostklubs in Europa

1974 gewann Magdeburg sensationell den Europapokal der Pokalsieger
1974 gewann Magdeburg sensationell den Europapokal der Pokalsieger

Der aus Torgau stammende Ex-Fußball-Nationalspieler Olaf Marschall spielte im Herbst 1989, kurz bevor die Mauer fiel, in Leipzig – dem Zentrum der Montagsdemonstrationen. Wenige Monate zuvor, am 26. Oktober 1988 waren 80.000 Menschen nicht auf die Straßen der Messestadt, sondern ins Zentralstadion gepilgert. Sie wollten sehen wie Marschall mit seinem Klub, dem 1. FC Lokomotive Leipzig, gegen den SSC Neapel spielte.

Viele kamen aber nicht wegen Lok oder Marschall, sondern weil bei den Italienern ein gewisser Diego Maradona auflief. "Es war eine ganz bizarre Situation. Weltklassespieler wie Careca, wie Alemão, die wurden überhaupt nicht beachtet. Von keinem Journalisten, nur ein Rattenschwanz hinter Maradona her", erinnert sich Fernseh-Kommentar Gottfried Weise in seinem Buch "Als Maradona 80.000 lockte."

Dieses Ereignis hat Weise offenbar so sehr beeindruckt, dass er seinem Nachschlagwerk über die DDR-Klubs im Europapokal diesen Titel verlieh. Der Argentinier traf beim 1:1 im Hinspiel nicht. Beim 2:0-Erfolg des SSC im Rückspiel in Neapel bereitete der damals beste Fußballer der Welt immerhin den Führungstreffer für seine Mannschaft vor. Nach der Niederlage am Fuße des Vesuvs war Leipzig früh raus aus dem Wettbewerb.

Das war ein Jahr zuvor noch ganz anders gewesen. Mit dem 1. FC Lok erreichte Marschall 1987 das Endspiel im UEFA Cup gegen Ajax Amsterdam. Dies war nicht die einzige Sternstunde von Vereinen aus der ehemaligen DDR in internationalen Wettbewerben.

Neben viel Freude gab es auf internationalem Parkett allerdings auch einige bittere Niederlagen. Grund genug, um fast exakt 30 Jahre nach dem Mauerfall auf die größten, aber auch die ärgerlichsten Momente von ostdeutschen Klubs im Europapokal zurückzublicken.

1. FC Magdeburg einziger Europapokal-Sieger aus der DDR

Das größte Spiel der Vereinsgeschichte des 1. FC Magdeburg im Jahr 1974 sahen weniger Zuschauer als heute zu einer Drittliga-Begegnung der Blau-Weißen kommen. Waren jüngst beim Heimspiel des Klubs gegen die Würzburger Kickers satte 16.000 Fans im Stadion, so verirrten sich 45 Jahre zuvor beim Magdeburger Auftritt im Rotterdamer Stadions "De Kuip" noch nicht einmal 5.000 Besucher im weiten Rund. Dabei fand dort ein Europapokal-Endspiel statt.

Der 1. FC Magdeburg hatte sich sensationell bis ins Endspiels des Europacups der Pokalsieger vorgekämpft und empfing dort mit dem AC Mailand einen klangvollen Namen des Weltfußballs. Warum nicht allzu viele Anhänger aus Sachsen-Anhalt nach Holland reisten, dürfte hinlänglich bekannt sein. Aber auch bei den "Tifosi" des AC und bei neutralen Fußball-Fans stieß das größte Spiel der Magdeburger auf wenig Interesse. Die exakt 4.641 Zuschauern sind bis heute die absolute Minuskulisse in einem Europacup-Endspiel.

Schade eigentlich! Den Stolz der Magdeburger kann dies jedoch keineswegs schmälern. Denn dem Team von Trainer Heinz Krügel und Kapitän Manfred Zapp gelang damals Historisches: Ein Eigentor von Mailands Enrico Lanzi fünf Minuten vor der Pause brachte den 1. FC in Führung – und sorgte für Schweißausbrüche beim damaligen AC-Trainer Giovanni Trapattoni, der zwei Jahre zuvor seine überaus erfolgreiche Übungsleiterlaufbahn bei den Norditalienern gestartet hatte.

Trapattonis Schweißausbrüche sollten sich später in Wutausbrüche verwandeln, als Wolfgang Seguin in der 74. Minute das Tor zum 2:0-Endstand für die Ostdeutschen erzielte. Ob Trapattoni damals dachte, seine Akteure hätten gespielt "wie Flasche leer", ist nicht überliefert. Eine solche Aussage wäre wohl im Jubel des Gegners untergegangen. Denn Magdeburg war der erste Europapokalsieger aus der ehemaligen DDR geworden - und sollte es bis zur Wende bleiben.

Lok "dampfte" 1987 bis ins Finale

Zwei Mal mussten die Magdeburger danach noch um ihr Alleinstellungsmerkmal bangen. Denn 1981 und 1987 standen DDR-Teams jeweils im Finale von internationalen Wettbewerben – zogen dort aber den Kürzeren.

1987 war Olaf Marschall mit dabei, als der 1. FC Lokomotive Leipzig im Endspiel des Pokalsieger-Wettbewerbs im Athener Olympiastadion auf Ajax Amsterdam traf. Während bei den Niederländern Weltklasse-Akteure wie Frank Rijkaard, Marco van Basten oder Dennis Bergkamp auf dem Feld standen, war Marschall bei Leipzig der einzige Akteur, der auch später noch international für Furore sorgen sollte.

Im Finale gelang dem Stürmer, der wenige Jahre nach der Wiedervereinigung mit dem 1. FC Kaiserslautern Deutscher Meister und DFB-Pokalsieger wurde, kein Treffer. Amsterdam siegte durch ein Tor von van Basten vor mehr als 35.000 Zuschauern mit 1:0.

Jena verliert in Westdeutschland gegen Tiflis

Sechs Jahre vor der Leipziger Endspielteilnahme feierte der FC Carl Zeiss Jena den größten Erfolg seiner Vereinsgeschichte. Im Endspiel musste das Team von Trainer Hans Meyer dabei ausgerechnet in Westdeutschland antreten. Das Finale des Wettbewerbs war zuvor nach Düsseldorf vergeben worden.

Da Jenas Endspielgegner Dinamo Tiflis aus Georgien Fußball-Fans nicht gerade mit der Zunge schnalzen ließ, blieben ähnlich wie beim Magdeburger Triumph 1974 die Ränge im dortigen Rheinstadion weitestgehend leer. Mit 4.750 Zuschauern wurde der Minus-Rekord an Besuchern nur haarscharf verfehlt.

Ganz kurz durfte Jena sogar davon träumen mit Magdeburg als DDR-Europapokalsieger auf eine Stufe zu rücken. Gerhard Hoppe brachte die Thüringer in der 63. Minute mit 1:0 in Führung. Der Jubel der wenigen Fans auf den Tribünen war noch nicht richtig verklungen, da glich Wladimir Guzajew für die Georgier zum 1:1 aus. Als Trainerfuchs Meyer sich wohl schon erste Gedanken darüber machte, welche Taktik er in der Verlängerung wählt, gelang Witali Darsselija in der 87. Minute das 2:1-Siegtor für Tiflis.

Der Vorgängerklub des FC Carl Zeiss, der SC Jena, hatte es 1962 bis ins Halbfinale des Pokalsieger-Wettbewerbs geschafft. Nachdem die Thüringer zunächst Swansea Town (Wales), dann Aliance Düdelingen (Luxemburg) und später Leixoes SC (Portugal) ausgeschaltet hatten, war in der Vorschlussrunde gegen Atlético Madrid (0:1 und 0:4) Endstation.

Hansa-Kogge versenkt Barcelona

Den letzten ganz großen Europapokal-Moment einer Mannschaft aus der ehemaligen DDR gab es am 2. Oktober 1991. Er war zwar nicht so bedeutend wie ein Finaleinzug - und blieb letztendlich auch sportlich ohne Wert - dennoch war er ein letztes Ausrufezeichen zum Schluss.

In der ersten Runde des Europapokals der Landesmeister setzte sich Hansa Rostock vor 8.500 Zuschauern mit 1:0 gegen den FC Barcelona mit Pep Guardiola, Michael Laudrup und Ronald Koemann durch. Das Siegtor gelang Michael Spies in der 64. Minute.

Da die Katalanen das Hinspiel mit 3:0 gewonnen hatten, schied Hansa dennoch aus. Barcelona gewann später das Finale im Londoner Wembley-Stadion mit 1:0 nach Verlängerung gegen Sampdoria Genua. "Barca" wurde damit der letzte Sieger des Europapokals der Landesmeister. Denn in der folgenden Spielzeit gab es die größte Reform im internationalen Fußball der vergangenen Jahrzehnte: Die Einführung der Champions-League.

Dramatische Aufholjagden

In Erinnerung geblieben sind nicht nur die Final-Teilnahmen von ostdeutschen Teams im Europapokal sondern auch packende Duelle. Kurioserweise gab es dabei einige der spektakulärsten Partien gegen westdeutsche Klubs. Im Cup der Landesmeister sorgte der BFC Dynamo im Jahr 1988 mit einem 3:0-Hinspielsieg gegen Werder Bremen für eine faustdicke Überraschung. Doch im Rückspiel schwammen den Berlinern die Felle schnell davon. Werder siegte noch 5:0. Die Partie ging später als das "Wunder von der Weser" in die Fußball-Geschichtsbücher ein.

Noch dramatischer war das Aus von Dynamo Dresden im Viertelfinale des Pokalsieger-Wettbewerbs gegen Bayer Uerdingen zwei Jahre zuvor. Die Sachsen um Matthias Sammer hatten das Hinspiel mit 2:0 gewonnen und führten im Rückspiel in der Krefelder Grotenburg schon mit 3:1. Doch als Wolfgang Funkel für die Gastgeber in der 58. Minute auf 2:3 verkürzte, war dies der Start zu einer der sensationellsten Aufholjagden der Geschichte. Uerdingen gewann 7:3. Dresdens Trainer Klaus Sammer wurde daraufhin entlassen und durch Eduard Geyer ersetzt.

Große Bühne für die "Kleinen"

Neben den bekannteren ostdeutschen Klubs vertraten einige heute nur noch absoluten Experten bekannte Klubs die ehemalige DDR auf internationalem Parkett. Ein Jahr nach der Wiedervereinigung durfte der Polizei SV Schwerin, der heute als FC Mecklenburg Schwerin in der sechsten Liga spielt, im Europapokal der Pokalsieger ran. Dort scheiterte der FDGB-Pokal-Finalist aber an Austria Wien (0:2 und 0:0). Stahl Eisenhüttenstadt scheiterte ein Jahr danach im selben Wettbewerb in Runde eins an Galatasaray Istanbul.

Der FC Vorwärts Frankfurt/Oder vertrat in den Spielzeiten 1974/75, 80/81 sowie 83/84 und 84/85 gleich vier Mal die Deutsche Demokratische Republik im Uefa-Cup. Davor war der zunächst in Berlin beheimatete Klub Anfang der 60er Jahre schon mehrmals im Europacup der Landesmeister angetreten. Gegner des heute in der Brandenburg-Liga spielenden Vereins waren auf internationaler Bühne unter anderem Juventus Turin und Manchester United.

 

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