27.11.2019 12:35 Uhr

BVB im Favre-Dilemma: Selbst Ergebnisse reichen nicht mehr

Lucien Favre ist beim BVB gehörig unter Druck geraten
Lucien Favre ist beim BVB gehörig unter Druck geraten

Ausgerechnet beim großen Favoriten FC Barcelona soll Borussia Dortmund endlich für die Trendwende sorgen. Der in den letzten Wochen auffällig uninspirierte, körperlose und instabile Fußball des BVB soll überwunden werden, in der Champions League neue Euphorie für die zuletzt desaströs laufende Bundesliga entfacht werden. Glauben die Dortmunder überhaupt selbst an diese Kehrtwende unter einem schwer angeschlagenen Cheftrainer Lucien Favre? Echte Aufbruchstimmung vermittelt dieser schon lange nicht mehr.

Lucien Favre ist ein Meister darin, seine Gegenüber nach Pressegesprächen mit mehr Fragezeichen auf dem Kopf zu hinterlassen als vorher. Das stellte der Schweizer am Dienstag auf der PK vor dem Barca-Duell einmal mehr unter Beweis.

Auf die Nachfrage, ob er die kommenden Partien gegen die Blaugrana und in der Liga bei Hertha BSC als "Spiele auf Bewährung" empfinde, entgegnete Favre gewohnt ausweichend: "Ich denke, wir haben Druck. Der Druck ist immer da. Egal, wo du trainierst oder du spielst." 

Mit seiner speziellen Art tun sich die Menschen in Fußball-Dortmund schwer. Die begeisterungs- und leidensfähigen Schwarz-Gelben - ob direkt im Verein oder als Anhänger auf der Tribüne - hatten von Beginn an ihre Probleme mit der Nüchternheit und spröden Sachlichkeit ihres Cheftrainers. Der sportliche Erfolg kaschierte diese Antipathien lange Zeit.

Favres großes Problem beim BVB: So, wie der 62-Jährige in der Öffentlichkeit auftritt und spricht, so coacht er auch - und viel schlimmer: So spielt Borussia Dortmund mittlerweile auch Fußball.

Hadernd, unentschlossen, emotionslos! Dortmunds Kapitän Marco Reus kann sich noch so sehr über Nachfragen zu angeblich fehlender Mentalität und fußballerischer Begeisterung aufregen. Die Defizite im kämpferischen und emotionalen Bereich sind und bleiben unverkennbar. 

Favre lebt eingeforderten Kampfgeist nicht vor

Die spieltaktischen und fußballerischen Probleme bei Borussia Dortmund ziehen sich bereits wie ein roter Faden durch das Spieljahr: das lahme Umschaltspiel, die extreme Anfälligkeit bei gegnerischen Standards, die zunehmende Anfälligkeit bei Kontern und neuerdings auch die fehlende Ball- und Passsicherheit.

Mit der richtigen Einsatzbereitschaft und Leidensfähigkeit ließen sich diese Baustellen mindestens überdecken, wenn nicht sogar ausmerzen. Doch dieses Wehren und Ankämpfen gegen die eigenen Schwächen müsste vor allen Dingen der Trainer selbst vorleben, im Training und während der 90 Minuten. Und genau das passiert beim BVB nicht.

Favre hat es nicht geschafft, dass sich seine Spieler für ihn zerreißen wollen. Die wöchentlichen Forderungen von Reus, Hummels und Co. nach mehr Körperlichkeit und mehr Überzeugung im eigenen Spiel waren kaum mehr als Lippenbekenntnisse.

Schließlich war es der BVB-Kapitän selbst, der in den letzten Partien weniger durch Laufstärke und Zweikampfführung als mehr durch Lamentieren und eigene Stockfehler auffiel. Vor den wohl letzten Bewährungschancen für Favre gegen Barcelona und Berlin übte sich Reus erneut in Durchhalteparolen: "Wir dürfen und können die Verantwortung nicht immer weiterschieben."

Selbst starke Resultate könnten zu wenig sein 

Das Dortmunder Dilemma: Die Wahrscheinlichkeit, dass der BVB rein ergebnistechnisch gestärkt aus dieser Woche der Wahrheit hervorgeht, ist gar nicht so klein. Schon ein Punktgewinn im Camp Nou wäre als Erfolg zu verbuchen, selbst mit einer knappen Niederlage könnten die schwarz-gelben Bosse wohl leben. Und gegen zuletzt desolate Herthaner ist ein Sieg am Wochenende auch mit einer absoluten Durchschnittsleistung drin. 

In diesem Fall würden die Dortmunder Probleme nur noch weiter in den Winter verschleppt werden, statt zum ehrlichen und groß angelegten Befreiungsschlag auszuholen. 

Auch in der Beziehung Trainer/Spieler lagen die Defizite zuletzt tiefer. Es ging um das große Ganze, die Systemfrage. Die Führungsspieler Reus und Hummels zweifelten offen daran, warum gegen Aufsteiger Paderborn zunächst am 4-2-3-1-System mit zwei defensiven Absicherungen festgehalten wurde. "Im 4-1-4-1 tun wir uns leichter zu pressen. Ich belasse es dabei", so Hummels eindeutig. Reus fügte zur katastrophalen ersten Halbzeit hinzu: "Wir wissen gar nicht, wie wir richtig pressen sollen. Und das sollte uns zu denken geben." 

Zu denken geben sollte den hochbezahlten Profis auch, wieso sie in Sachen Kampfgeist, Disziplin und Mentalität so viele Defizite offenbaren. Allein mit individueller Klasse und Tempoverschärfungen nach Rückständen reicht es in der Bundesliga nur zu einen Mittelfeldplatz. Bezeichnend: Der Vorsprung auf die zweite Tabellenhälfte beträgt nach zwölf Spieltagen gerade einmal drei Punkte. 

Watzke kämpferisch: "Wir sind immer noch Borussia Dortmund"

BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke brachte es zuletzt in seiner leidenschaftlichen Ansprache auf der Jahreshauptversammlung des Vereins auf den Punkt: "Wir sind immer noch Borussia Dortmund. Aber das muss man auch sehen!"

Damit sprach der BVB-Boss den über 150.000 Mitgliedern offenkundig aus der Seele. Der Basis eines Klubs, der gerade in sportlich kniffligen Situationen mit fußballerischer Arbeit und Leidenschaft hervorstechen muss statt mit Individualität und Glanz.

Dass das Urvertrauen in den Cheftrainer verloren gegangen ist, war in den letzten Tagen nicht zu übersehen. Watzke verlor auf der JHV über den Coach keine Silbe mehr als unbedingt nötig: "Lucien, du hast auch weiter unser Vertrauen. Aber: Es ist auch eins klar, und du bist schon so lange im Fußball dabei: Am Ende ist Fußball auch immer über Ergebnisse definiert."

Schon bald könnten Favre sogar bessere Ergebnisse nicht mehr reichen, um ihn auf seinem Stuhl zu halten.

Mats-Yannick Roth

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