Rennwagen Reus: Vom Antreiber zum Zuschauer

Marco Reus ist der Meisterschale ganz nah, vielleicht so nah wie nie. Er schwenkt stolz seine Werder-Bremen-Fahne, nur sein weißes T-Shirt ist drei Nummern zu groß. "Alter!", ruft der Kapitän von Borussia Dortmund beim Blick auf jene kuriosen Bilder vom 9. August 2002 lachend: "Die Frisur! Läuft."
Der Steppke mit kurz rasiertem Haar ist an diesem Tag 13 Jahre alt - und Einlaufkind beim BVB zum Bundesliga-Start. Zwei Meter links von ihm wird die Schale gerade ins Westfalenstadion getragen.
Am Samstag, fast 17 Jahre später, zufällig bei Werder Bremen, will der gestandene Bundesliga-Star der Trophäe wieder ganz nahe kommen. Problem nur: Er hat sich im Derby gegen Schalke 04 mit seiner Roten Karte womöglich selbst um die Chance gebracht, endlich deutscher Meister zu werden. Im Endspurt ist er für zwei von drei Spielen gesperrt - Marco Reus ist ein Rennwagen in der Garage.
Reus glaubt noch an den Titel mit dem BVB
"Ich werde versuchen, der Mannschaft weiterhin zur Seite zu stehen und positiv zu bleiben, auch wenn das gerade sehr schwierig ist", sagte Reus nach seiner ersten Rote Karte im 259. Bundesliga-Spiel. Er habe sich verschätzt bei seiner Grätsche gegen Suat Serdar, erklärte er einsichtig: "Es war ein Fehler, mit dem ich der Mannschaft natürlich nicht geholfen habe."
Dass er in seiner zehnten Bundesliga-Saison "Ersttäter" ist und nach Einschätzung des DFB-Sportgerichts zumindest "ballorientiert" von hinten herangerauscht war, ersparte ihm im Gegensatz zu seinem Mitspieler Marius Wolf (drei Spiele Sperre) das vorzeitige Saisonende.
Weil der FC Bayern beim 1. FC Nürnberg (1:1) patzte, besteht sogar noch Hoffnung im Titelrennen. Dem mit Ausnahme von Trainer Lucien Favre ("Der Titel ist verspielt") vorgetragenen Mantra, es sei nichts verloren, schließt sich auch Reus an.
"Wir haben eine große Chance, etwas zu verwirklichen"
Es wäre zu schön, am letzten Spieltag, wenn er auch selbst wieder spielen darf, ausgerechnet bei seinem Ex-Klub Borussia Mönchengladbach die Schale in Empfang zu nehmen. Bislang steht ein Pokalsieg in seiner Vita, was für einen Spieler seiner Klasse fast lachhaft wenig ist. Kevin Großkreutz beispielsweise, inzwischen in der 3. Liga beim KFC Uerdingen, war Pokalsieger, Meister (2x) und Weltmeister.
Reus aber hatte eben auch immer wieder gesundheitliche Rückschläge zu verkraften. "Die gehören dazu im Leben", sagt er locker und ohne Verbitterung, deshalb würde ihn der Meistertitel auch "für nichts entschädigen. Ich sehe das so: Wir haben eine große Chance, etwas zu verwirklichen. Dabei wussten wir zu Beginn der Saison nicht, wo wir stehen."
Reus: Familie wichtiger als der BVB
Zwischenzeitlich aber stand der BVB neun Punkte vor dem FC Bayern, was der wahren Geschichte von einer großen Entwicklung ein enttäuschendes Ende geben könnte.
Erst einmal muss Reus hoffen, dass seine Teamkollegen in den kommenden zwei Spielen keinen weiteren Punkt auf den Rivalen verlieren: In diesem Fall wäre angesichts der schwächeren Tordifferenz (BVB: +34/FCB: +50) und dann drei Punkten Rückstand der Traum geplatzt, bevor der Kapitän wieder eingreifen darf.
Eigentlich aber will sich Reus, der Ende März Vater geworden ist, gar nicht zu sehr den Kopf zerbrechen. Er ist bestens abgelenkt - für die wirklich wichtigen Dinge: Mit dem "Würmchen" auf seinem Arm sei "ohnehin alles gegessen".