06.02.2017 13:42 Uhr

Bestandsaufnahme: Werder im giftgrünen Bereich

Fassungslose Mienen beim SV Werder
Fassungslose Mienen beim SV Werder

Es gab Zeiten, in denen schlotterten den Gegnern des SV Werder Bremen die Knie, wenn die Nachspielzeit begann. Auf fast schon magische Art und Weise gelang es den Jungs von der Weser regelmäßig, in allerletzter Sekunde zuzuschlagen.

Ob im Achtelfinale der Königsklasse gegen Juventus Turin, in der Champions-League-Qualifikation bei Sampdoria Genua oder im Abstiegsendspiel gegen Eintracht Frankfurt - die Grün-Weißen waren immer wieder in der Lage, den Lucky Punch zu landen. Fortuna war den Bremern jahrzehntelang hold, doch damit ist jetzt Schluss.

Zum dritten Mal in der laufenden Spielzeit haben Gnabry und Co. eine Bundesligapartie quasi mit dem Schlusspfiff verloren: Im September gegen Mainz (1:2), im November gegen Frankfurt (1:2) und nun in Augsburg (2:3), als Raúl Bobadilla das Team von Alexander Nouri in der 94. Minute ins Tal der Tränen schoss. Alles eine Frage des Glücks? Mitnichten.

Grün-Weiße Lernresistenz

Werder ist der einzige Klub, der im neuen Jahr noch keinen einzigen Zähler gesammelt hat. Und das, obwohl die Auftritte der Mannschaft stets gelobt wurden. Tatsächlich wirkt der Tabellen-15. stabiler als zu Saisonbeginn, bietet auch nominell übermächtigen Gegnern wie Borussia Dortmund und Bayern München Paroli. Allein: Wer nicht punktet, kann nicht vorankommen.

Die Krux beim SVW bleibt das dilettantische Defensivverhalten. In bitterer Regelmäßigkeit verfällt die Bremer Abwehr einer Art Selbstzerstörungstrieb, der eine sportliche Weiterentwicklung beim grün-weißen Dauerpatienten im Keim erstickt. Beweis gefällig? In den vergangenen sechs Jahren kassierten die Nordlichter stets rund 60 Gegentore (61/58/66/66/65/65).

Ob Thomas Schaaf, Robin Dutt, Viktor Skripnik oder Bundesliga-Novize Nouri - kein Trainer brachte Besserung. Derzeit stellt Werder schon wieder die löchrigste Abwehr der Liga (41), spielte erst einmal zu null. Fußball-Deutschland fragt sich: Ist dieser Verein lernresistent?

Die Zeit der Ausreden ist vorbei

Wenn selbst der bislang so biedere FC Augsburg - erstmals in dieser Saison - dreimal in einer Begegnung jubeln darf, ist über den Zustand der Bremer eigentlich alles gesagt. Die Ausreden der letzten Jahre zählen nicht mehr. Gebetsmühlenartig wurde der Umbruch als Folge der rigorosen Sparpolitik zitiert, um erhitzte Gemüter im Umfeld zu beruhigen. Doch seit Geschäftsführer Frank Baumann das Ruder von Thomas Eichin übernommen hat, ist der Verein finanziell in die Offensive gegangen.

Knapp 24 Millionen Euro hat Werder Bremen in Neuzugänge investiert, so viel wie nie zuvor. Die Bilanz: Ernüchternd. Mehrere Hoffnungsträger floppten, andere plagen Verletzungssorgen. Die dringend notwendige Stabilisierung der Hintermannschaft blieb aus.

Keine leichten Voraussetzungen für Alexander Nouri, der personell wie taktisch seit seinem Amtsantritt nichts unversucht gelassen hat. Doch wer in 16 Partien als Chefcoach mickrige 16 Punkte holt, dem fehlen die Argumente. Performance okay, Ausbeute nicht - Werder im giftgrünen Bereich!

Wird die Wonderwall zur Klagemauer?

Noch können sich die schwer angeschlagenen Hanseaten der Unterstützung ihrer traditionell geduldigen Anhänger gewiss sein. Mit Recht, denn bei aller Kritik am Tabellenstand präsentiert sich das Team bislang noch als Einheit. Doch was, wenn die ohnehin wachsende Verunsicherung auf dem Platz überhand nimmt? Wie wird reagiert, wenn Werder auf einen Abstiegsrang abrutscht?

Mit Aktionen wie "AlleZ Grün" (2013) oder "Green-White Wonderwall" (2016) hatten die Fans schon zweimal großen Anteil am Klassenerhalt, als sie den Bremer Osterdeich in eine Hochburg des bedingungslosen Rückhalts verwandelten. Irgendwann wird indes auch an der Weser die Geduld aufgebraucht und die "Wonderwall" eine Klagemauer sein.

Heiko Lütkehus

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