11.08.2016 15:15 Uhr

Die zwei Welten des Adriano Leite Ribeiro

Ein Weltstar am Boden? Über Adriano wundern sich die Menschen
Ein Weltstar am Boden? Über Adriano wundern sich die Menschen

Einige Fußballstars brauchen das Blitzlichtgewitter, andere gehen an ihm zugrunde. Wiederum andere vereinen beides. Zu dieser Kategorie gehört wohl der Brasilianer Adriano Leite Ribeiro. Einer, der sich nach ganz oben in die Weltspitze kämpfte. Einer, der hoch stieg und letztlich noch tiefer fiel.

Vor nicht allzu langer Zeit noch Brasiliens Wunderstürmer, geriet er lange Zeit in Vergessenheit. Wilden Gerüchten zufolge droht er nun sogar im Drogensumpf und Bandenkrieg in Rio de Janeiros Favelas zu versinken. Der Versuch, das bewegte Leben von Adriano zu ordnen.

Das "Comando Vermelho", das rote Kommando, ist kein Name aus dem Weltfußball - und dennoch hat er mit dem ehemaligen Weltklasse-Stürmer zu tun. Es ist der Name der Gang in Rios Favelas, der sich Adriano angeschlossen haben soll. Sie ist bei den Behörden keineswegs ein unbeschriebenes Blatt. Seit Jahren sollen Mitglieder im Drogengeschäft aktiv sein. Selbst vor Morden hätten die Kriminellen nicht zurückgeschreckt. Bilder, auf denen Adriano ein Maschinengewehr in der Hand hält, machen plötzlich die Runde. Auf anderen posieren zwielichtige Typen bedrohlich hinter dem Stürmer oder zeigen ihn in den Favelas bei der Bartrasur. Wie gerät einer wie Adriano, der in Italien einst die Welt verzückte, in diese Welt?

Das Märchen vom Straßenfußballer

Dass Adriano in den Favelas gesichtet wurde, sollte eigentlich nicht verunsichern. Er ist selbst ein Kind der Favelas und kennt das Leben auf der Straße. Hat dort Freunde und viele Erinnerungen an damals, als er sich zusammen mit seiner Familie in Vila Cruzeiro durchschlagen musste. Gewalt und Misere auf der Tagesordnung, der Fußball als Ausweg aus dem Elend - soweit das Märchen, das alle lieben. Ein Kind von der Straße, das wie viele mit ihm, Schicksalsschläge hinnehmen musste. Wie einer an einem Tag im März 1992, der alles veränderte.

Polizisten machten Jagd auf Drogenbarone in Adrianos Viertel. Menschen flüchteten und brachten sich vor Schüssen in Sicherheit. Trotzdem traf es den wichtigsten Menschen in Adrianos noch jungem Leben: Seinen Vater Almir Ribeiro Leite, den eine Kugel am Kopf erwischte. Wie durch ein Wunder überlebte er, obwohl die Kugel nicht aus dem Schädel entfernt werden konnte. Zu hoch die Kosten für die Operation. Für den Zehnjährigen ein traumatisches Ereignis: "Dieses Erlebnis hat mich über Nacht erwachsen werden lassen", verriet Adriano später.

Dann ging Adrianos Stern als Fußballer auf. Als 14-jähriger entschied sein erster Förderer, den bulligen Abwehrkoloss, schon in jungen Jahren seinen Gegenspielern körperlich überlegen, in den Angriff zu stellen. So einfach wie genial, denn fortan machte der Stürmer die Spiele im Alleingang klar. 2000 debütierte er für Flamengo in der ersten Liga - und schoss prompt sein erstes Tor. Drei weitere legte er für seine Mannschaftskollegen auf.

Mit Naturgewalt zum Superstar

Unaufhaltsam bahnte sich der Stürmer seinen Weg in die Weltspitze. Der Transfer zu Inter Mailand für damals noch sehr hohe fünf Millionen Euro. Seine überaus erfolgreichen zwei Jahre als Leihspieler für die Fiorentina und den AC Parma. Seine sieben Tore bei der Copa América 2004 in Peru und der Gewinn des Confed-Cups 2005 als bester Spieler des Turniers - all das wird für immer im Gedächtnis seiner Fans bleiben.

Nun liebten ihn auch die Fans in der Heimat, die den kantigen 1,90-Meter-Hühnen unter den filigranen Ballkünstlern zuvor nicht so recht einzuordnen wussten. Ab sofort war Adriano in Italien "Il Imperatore". Die Kraft und Gewalt in seinen Aktionen suchte seines Gleichen. Inter-Trainer Roberto Mancini bewunderte damals: "Adriano hat die Kraft von Gigi Riva, die Beweglichkeit von Marco van Basten und den Egoismus von Romario."

Adrianos etwas anderes Leben

Doch das Blitzlichtgewitter, die Aufmerksamkeit der Welt taten ihm nicht gut. Es folgten zahlreiche Eskapaden, die seine Trainer zur Weißglut brachten. Noch viel schlimmer: Adrianos Vater verstarb ausgerechnet in einer Lebensphase, als der Stürmer bereits verloren schien. "Nach dem Tod meines Vaters und der Trennung von meiner Freundin habe ich Zuflucht im Alkohol gesucht", wird er in der "Süddeutschen" zitiert. Durchzechte Nächte, unbegründetes Fehlen beim Training, Depressionen, Fettleibigkeit. Der Imperator herrschte über Mailands Unterwelt. Wirklichkeit und Traum verzerrte er. Die Karriere warf er weg.

Bei Inter war er fortan überflüssig und ging zurück in die Heimat zu Flamengo. Zu dem Verein, der ihn groß gemacht hatte. Die Reha schien zu funktionieren: Der Angreifer schoss die Rot-Schwarzen mit 19 Toren prompt zur Meisterschaft. Doch wie immer wartete das nächste Tief bereits: Nationalcoach Dunga strich ihn aus dem WM-Kader 2010. Seither kam Adriano nicht mehr auf die Beine. Nicht bei der Roma, nicht in Brasilien bei Corinthians, Flamengo, oder Atlético Paranaense. Auch nicht in Frankreichs zweiter Liga bei Le Havre oder zuletzt beim US-Amateurklub Miami United.

In Florida stand er im Mai nur einmal gegen Las Vegas City auf dem Platz, wo Kumpel Ronaldinho Trikot und Fußballschuhe als Show-Einlage über den Platz spazieren führte. Adriano ist längst angekommen in der Belanglosigkeit des Sports. Nach drei Monaten haute Adriano über Nacht ab und kehrte in seine Heimatstadt Rio de Janeiro zurück.

Dort, so will die britische Klatschzeitung "Daily Star" wissen, hat sich "Il Imperatore" nun der berüchtigten Gang "Comando Vermelho" angeschlossen. Gerüchte werden laut, nach denen der Ex-Inter-Star mit Drogenbossen miese Geschäfte macht. Andere meinen, Adriano selbst müsse Schutzgeld an die Kriminellen zahlen. Obendrein sei der früher noch mit den Scheinen wedelnde Star finanziell angeknackst. Ein Gerücht überbietet das andere, Medien zerreißen den Alt-Star. Klar ist einzig: Seine Lebensgeschichte zieht die Menschen an, in guten wie in schlechten Zeiten. Weil bei ihm die Grenzen von Traum und Wirklichkeit verschwimmen.

Gerrit Kleiböhmer

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