Griezmann: Prototyp des Simeone-Fußballs

Während alle Welt über Messi, Ronaldo und Neymar spricht, hat sich Antoine Griezmann zum Garanten für Atléticos Tabellenführung entwickelt. Europas Spitzenklubs horchen auf, die Rojiblancos wollen den Vertrag nachjustieren. Der Franzose ist auf dem Sprung in die Weltspitze. Seine Entwicklung hat er zu großen Teilen Diego Simeone zu verdanken.
Ein Blick auf die Torjägerliste der spanischen Primera División ist beinahe klischeehaft. Warum? Auf den ersten fünf Plätzen stehen mit Luis Suárez, Karim Benzema, Cristiano Ronaldo, Neymar und Gareth Bale ausschließlich Spieler vom FC Barcelona und Real Madrid.
Lässt man die Tatsache außen vor, dass Lionel Messi nach seiner langen Verletzungspause (noch) nicht aufgeschlossen hat, könnte man den Eindruck gewinnen, dass sich irgendwer in einem Computerspiel die Spieler mit den höchsten Stärken ausgesucht und am Reißbrett zusammengeschrieben hat. Alternativ könnte man sagen: Die spanische Liga besteht nur aus diesen beiden Teams.
Der jüngste Eindruck von der Ballon-d'Or-Gala zeichnete ein ähnliches Bild. Im Finale um den Titel: Lionel Messi, Cristiano Ronaldo und Neymar.
Atlético hält mit
Spitzenreiter in La Liga ist aber weder Barça noch Real. Nein, ganz oben steht Atlético. Barcelona hat zwar noch ein Nachholspiel und könnte wieder vorbeiziehen, nichtsdestotrotz ist bemerkenswert, dass es die Rojiblancos wieder einmal schaffen, den schillernden Edelklubs die Stirn zu bieten und ein lautes Wort um die Titelvergabe mitzusprechen.
Dass kein Spieler des Tabellenführers unter den Toptorschützen ist, ist bezeichnend für den Stil, den Trainer Diego Simeone dem Team eingeimpft hat. In Zeiten des Personenkults setzt der Argentinier auf ein starkes Kollektiv, hohen Arbeitsaufwand und eine disziplinierte Spielweise. Ganz ohne Personenkult kommen jedoch auch die Colchoneros nicht aus. Seit Monaten sticht einer aus dem Kollektiv heraus: Antoine Griezmann.
Beschwichtigende Worte
Erst am vergangenen Wochenende bekam der Hype neues Futter, als der Franzose mit seinen Saisontoren elf und zwölf großen Anteil am 3:0-Sieg gegen Las Palmas hatte. Doch Diego Simeone wäre nicht Diego Simeone, wenn er anschließend nicht versucht hätte, diesen Hype einzudämmen: "Griezmann spielt seit einem Jahr sehr konstant. Ich würde ihn aber noch nicht zu den Besten der Welt zählen."
Dass Griezmann bereits als künftiger Weltfußballer gehandelt wird, gefällt Simeone gar nicht. Stattdessen appelliert er an die Beharrlichkeit seines Schützlings: "Ich würde ihm raten, sich dieses Gerede überhaupt nicht anzuhören. Er sollte nur auf sich schauen und sich weiterentwickeln. Er ist jung und arbeitet hart. Mit der Zeit wird er von selbst zu den Besten gehören."
Schlüsselfigur Simeone
Simeone spielt eine wichtige Rolle im Werdegang des "Kleinen Teufels" aus Mâcon. Zwar kam dieser im Sommer 2014 schon mit Vorschusslorbeeren für 30 Millionen Euro nach Madrid, doch mit dem anspruchsvollen Spiel bei Atlético hatte Griezmann zunächst seine Probleme.

Das Ausdauertraining hat sich ausgezahlt. Im Spätsommer sagte Griezmann: "Ich habe am Ende eines Spiels immer das Gefühl, dass ich noch 20 Minuten weiterspielen könnte. Ich bin fit wie noch nie."
Seit über einem Jahr befindet sich der 24-Jährige in Topform. In seiner Zeit bei Atlético erzielte er 38 Treffer, nur fünf davon vor Dezember 2014. Besonders in den letzten Wochen hat die Formkurve noch einmal weiter nach oben gezeigt (acht Tore in den letzten zehn Spielen).
Schnell, kombinationsstark, flexibel
Doch Griezmann nur an seiner immer stärkeren Torquote zu messen, würde seiner Wichtigkeit für Atlético nicht gerecht werden. Vielmehr ist er ein Prototyp des Simeone-Fußballers: schnell, kombinationsstark, einsatzwillig, abschlussstark.
Die wichtigste Eigenschaft, die er unter Simeone entwickelt hat, ist seine Flexibilität. In den meisten Fällen spielt die Nummer 7 bei den Rojiblancos in einem 4-4-2-System als hängende Spitze neben einem Brecher wie Vietto, Torres oder Martínez. Nicht selten reagiert Simeone jedoch auf den Spielverlauf und ändert das System. In der dann häufig praktizierten 4-5-1-Variante kommt Griezmann über Rechtsaußen, hier und da beackert er auch den linken Flügel.
Welches System Atlético auch spielt, eines bleibt gleich: Griezmann ist der Fixpunkt in der Offensive. Nahezu jeder Angriff läuft über den Franzosen.
Steigerungspotential hat der 24-Jährige in der Robustheit und im Kopfballspiel. Auf den ersten Blick ist auch die Torquote nicht in Sphären wie die eines Ronaldo oder Messi. Bedenken muss man aber, dass Atlético sehr kompakt spielt und Griezmann dadurch seltener zu Abschlüssen kommt, als wenn er für ein offensiveres Team spielen würde.
Crème de la Crème spricht vor
Es ist nicht so, als gäbe es nicht genügend Interessenten, die ihm den nächsten Schritt auf der Karriereleiter ermöglichen wollten. Paris Saint-Germain, Chelsea, Bayern München und Real Madrid haben Griezmann längst auf dem Zettel.

Angesichts der überragenden Form nicht mehr unrealistisch – zumal im Sommer die EM ansteht. In seinem Heimatland könnte Griezmann seinen Marktwert durch starke Auftritte weiter steigern.
Erhöhung der Klausel?
Dieser Gefahr ist sich Atlético bewusst. Präsident Enrique Cerezo hat jüngst angekündigt, mit Griezmann sprechen zu wollen. Dann auf der Agenda: eine saftige Gehaltserhöhung und eine Anhebung der Ausstiegsklausel auf 100 Millionen Euro. "Wir müssen unser vorhandenes Kapital absichern – und das sind unsere Spieler. Ich gehe davon aus, dass wir in Verhandlungen einsteigen", sagte Cerezo.
Aussagen, die zeigen: Die Wertschätzung für Antoine Griezmann ist schon jetzt hoch. Und wer weiß, vielleicht steht sein Name in einigen Jahren in einer am Reißbrett entworfenen Liste der besten Spieler und niemand reibt sich verwundert die Augen...
Mehr dazu:
>> Vereinsspiele von Antoine Griezmann
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Jochen Rabe