20.08.2015 12:54 Uhr

Vor 60 Jahren: Eisbrecher im Kalten Krieg

Blumen vor Spielbeginn
Blumen vor Spielbeginn

Am 21. August 1955 tritt die deutsche Nationalmannschaft zum Länderspiel in der UdSSR an. Es ist das Spiel mit der höchsten politischen Brisanz in der DFB-Geschichte.

Als die Nationalspieler den Flieger in Richtung Moskau besteigen, wissen sie nicht, was sie im Land des ehemaligen Kriegsgegners erwarten wird. Gerade einmal zehn Jahre ist das Ende des Weltkriegs her, der von Deutschland aus vielen Millionen sowjetischen Zivilisten und Soldaten den Tod brachte. In der jungen Bundesrepublik bestimmt die Situation der rund 10.000 deutschen Kriegsgefangenen, die sich immer noch in Lagern der Sowjetunion befinden, die politische Tagesordnung. Von Normalität ist die Beziehung der beiden Staaten noch weit entfernt. Umso überraschender kommt für den DFB die Einladung aus Moskau.

Dass die Fußball-Funktionäre diese umgehend annehmen, sorgt für große Aufregung in den diplomatischen Kreisen in der deutschen Hauptstadt. Der Weltmeister, so befürchten viele Politiker und Journalisten, könne zu Propagandazwecken missbraucht werden. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass nur zwei Wochen später Bundeskanzler Konrad Adenauer in die UdSSR eingeladen wird. Eine Absage der Reise kommt allerdings nicht mehr in Frage. So wird die DFB-Führung um ihren Präsidenten Peco Bauwens vom Außenministerium eindringlich gebeten, in Moskau größtmögliche Zurückhaltung zu üben.

Begeisterter Empfang

Die deutschen Nationalspieler bekommen von den diplomatischen Verwicklungen nur am Rande mit. Dennoch ist ihnen die besondere Bedeutung des Spiels bewusst: "Es ist uns ein bisschen unheimlich gewesen", erzählt Mittelfeldspieler Gerhard Harpers vom SV Sodingen später. Umso überraschter ist der DFB-Tross, als der Empfang in Moskau geradezu enthusiastisch ausfällt. Am Flughafen empfangen Tausende die deutsche Mannschaft. Auf dem Weg vom Stadion zum Hotel stehen die Menschen an den Straßenrändern und werfen Blumen in den offenen Bus, erinnert sich Torhüter Fritz Herkenrath. Auch die 1.500 deutschen Fans, zumeist aus der DDR, die das DFB-Teams nach Moskau begleiten, werden überall herzlich empfangen.

Das Spiel vor 80.000 Zuschauern im Dinamo-Stadion endet mit einem 3:2-Erfolg der UdSSR. Die Führung der Gastgeber durch Nikolay Parshin kontert die Herberger-Elf durch Tore der beiden Weltmeister Fritz Walter und Hans Schäfer. Anatoliy Maslenkin und Anatoliy Ilyin sorgen in der 70. und 74. Minute für einen verdienten Erfolg der Sowjets. Es ist die fünfte Niederlage im siebten Spiel nach dem Triumph von Bern. Doch das reine sportliche Ergebnis tritt hinter die politische Dimension der Reise zurück. Beim abendlichen Bankett mit den Spielern und Funktionären beider Seiten fließt der Wodka zur Feier der neuen Freundschaft in Strömen.

Letzte Kriegsgefangene kehren zurück

Die Sowjetführung, so weiß man heute aus den russischen Archiven, nutzte das Länderspiel, um die Atmosphäre für den anstehenden Staatsbesuch Adenauers zu verbessern. Während Parteiführer Nikita Chruschtschow die offizielle Anerkennung der Sowjetunion durch die BRD und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen erreichen wollte, ging es Adenauer und der deutschen Öffentlichkeit vor allem um das Schicksal der Kriegsgefangenen.

"Wir Fußballer sind die Eisbrecher von Adenauer gewesen", vermutet Josef Röhrig vom 1. FC Köln. Die Verhandlungen sind letztlich von Erfolg gekrönt. Wenige Wochen nach dem Adenauer-Besuch kehren die letzten Gefangenen aus den Lagern heim, die Moskau-Reise macht den Bundeskanzler zum populärsten Politiker der Bundesrepublik. Einen kleinen Anteil daran haben allerdings auch die 24 Nationalspieler, die vor 60 Jahren im Sinne der Völkerverständigung auf dem Platz standen.

Ralf Amshove

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