31.05.2015 09:15 Uhr

Gepresst wird bis der ÖFB-Arzt kommt

Das U20-Team betrieb gegen Ghana so wie hier Florian Grillitsch extremes Pressing
Das U20-Team betrieb gegen Ghana so wie hier Florian Grillitsch extremes Pressing

Österreichs erstes Spiel bei der U20-WM in Neuseeland machte Lust auf mehr. Der starke Auftritt beim 1:1-Remis gegen Ex-Weltmeister Ghana zeigte wieder einmal die aggressive ÖFB-Spielanlage: So sieht Pressing aus. Was die Nationalmannschaft unter Teamchef Marcel Koller auf Erfolgskurs brachte, ist längst auch bei den Nachwuchs-Teams in Fleisch und Blut übergegangen.

U20-Coach Andreas Heraf fasste es gegenüber weltfussball nach der Auftaktpartie vor 9.204 Zuschauern im Westpac Stadium von Wellington so zusammen: "Pressing ist das Non plus ultra des modernen Fußballs." Ghana war von Österreichs Spielweise völlig überrascht. Die "Black Satellites" hatten das Semifinale als Minimalziel ausgerufen und gelten als große Hoffnung Afrikas auf den Turniersieg. Gegen die ÖFB-Youngsters jedoch schrammten sie nur knapp an einer Startpleite vorbei.

Ein dickes rot-weiß-rotes Chancenplus bereits vor der Pause wurde in der 54. Minute mit dem Führungstor von Bernd Gschweidl belohnt, weitere große Möglichkeiten auf einen zweiten oder dritten Treffer blieben danach leider ungenutzt. Ein Elfmeter von Yaw Yeboah in der 90. Minute raubte Österreich stattdessen den verdienten Sieg.

"Nicht der Jahrgang des Jahrhunderts, aber Pressing ist unsere Stärke"

Die Technical Study Group der FIFA kam auf der Tribüne mit ihren Notizen kaum nach. Die Herren des Fußballweltverbandes hatten ebenso wie die Anwesenden im Pressezentrum mit einer klaren Sache für Ghana gerechnet. Sie wurden allesamt eines Besseren belehrt.

"Vor drei Jahren hat diese Mannschaft als U17 bitteres Lehrgeld bezahlt. Danach war klar, dass wir etwas ändern müssen. Wir haben unseren Spielstil völlig umgestellt und hatten immer das große Ziel Weltmeisterschaft in Neuseeland vor Augen", erinnerte sich Heraf an den Wendepunkt zurück.

"Wenn man nicht den Jahrgang des Jahrhunderts zur Verfügung hat, dann muss man sich etwas überlegen. Mit Pressing haben wir eine echte Waffe entwickelt. Das ist unsere große Stärke", so der Ex-Rapidler. Was lange Zeit eine große Schwäche des österreichischen Fußballs war, dass keine klare Handschrift und Spielphilosophie vom A-Team abwärts bis in den Nachwuchs herrschte, wurde mittlerweile zum Erfolgsrezept. Dem Gegner "Schmerzen bereiten": weltfussball berichtete schon vor zwei Jahren von dieser Umsetzung der ÖFB-Auswahlmannschaften.
>> Schmerzen bereiten - Klarer ÖFB-Matchplan

Ghana-Coach Sellas Tetteh war in der Mixed Zone "überglücklich" mit dem Remis. "Dieser sehr starke Gegner hat mein Team vor ganz große Probleme gestellt. Kompliment an Österreich: Es ist äußerst unangenehm gegen sie zu spielen."

Leidenschaft, die Leiden schafft

Heraf gab das Lob seines Gegenübers als Gentleman an sein ganzes Betreuer-Team weiter: "Ein Dank an meine Assistenten. Wir waren perfekt auf Ghana vorbereitet und haben alles über sie gewusst. Die Burschen haben es dann auf dem Platz fast perfekt umgesetzt." Fast. Denn nach dem Elfer in letzter Minute gab es zunächst hängende Köpfe in der österreichischen Kabine.

"Eigentlich ein Wahnsinn, dass man nach einem 1:1 gegen einen der Turnierfavoriten und Ex-Weltmeister nicht zufrieden ist. Aber das zeigt den Ehrgeiz meiner Mannschaft", so der ÖFB-U20-Teamchef.

Die Leidenschaft seiner Schützlinge ging sogar so weit, dass sie mit Leiden für den eigenen Körper verbunden war. Florian Grillitsch war bereits zur Pause angeschlagen, hielt aber bis zum Ende durch. Philipp Lienhart hingegen wurde in der Schlussphase mit einer Gehirnerschütterung vom Platz getragen und musste ebenso wie Daniel Rosenbichler (Verdacht auf Schlüsselbeinbruch) ins Krankenhaus.

"Ich möchte heute nicht mehr gegen meine Burschen spielen"

Andi Heraf war in seiner erfolgreichen aktiven Karriere selbst Nationalspieler, erreichte das Europacup-Finale und stand in der Champions League seinen Mann, doch er gestand: "Ich möchte heute nicht mehr gegen meine Burschen spielen. Wenn ich etwa an Martin Rasner und Konrad Laimer im zentralen Mittelfeld denke: Unglaubliches Tempo und Aggressivität."

"Ich habe dazu noch einige andere kleine, wuselige, giftige Spieler, die für unser System ideal geeignet sind", gestand der Coach die Qual der Wahl ein. Manchmal ist er dadurch sogar zu ganz schweren Entscheidungen gezwungen. Seinen Kapitän Francesco Lovrić musste er zunächst auf die Ersatzbank setzen. "Lukas Gugganig und Philipp Lienhart waren mit ihrer Kopfballstärke diesmal besser geeignet, aber Francesco hat sich überragend verhalten. Er wird immer mein Kapitän bleiben."

Nun gilt der Blick nach vorne. Am Dienstag (um 6:00 Uhr MESZ im weltfussball-Liveticker) wartet Panama als nächster ÖFB-Gegner. Das Sensationsteam knüpfte Argentinien ein 2:2-Remis ab und egalisierte dabei gleich zwei Mal einen Rückstand. "Das ist eine wirklich starke Mannschaft. Diese Spieler sterben für ihr Land und opfern sich auf. Aber wenn wir wieder mit so viel Herzblut spielen, dann rechne ich mir schon etwas aus."

Gschweidl liebt Bälle in die Tiefe, Tore und für Österreich zu spielen

Torschütze Bernd Gschweidl strahlte ebenfalls Zuversicht aus. "Unsere Mannschaftsleistung war ein Wahnsinn. Wir haben uns unglaublich viele Chancen herausgespielt. Schade um dieses blöde Gegentor am Ende."

Sein Treffer erfreute den 19-Jährigen besonders, denn es war keine leichte Saison für den Grödig-Stürmer. Er war vom SV Horn in die Bundesliga gewechselt, zog sich aber eine Verletzung zu, die ihm fast die ganze Herbstsaison kostete. "Im Frühjahr habe ich aber das Vertrauen vom Trainer bekommen und meine Einsätze gehabt. Jetzt spiele ich hier für mein Land bei der U20-WM. Das ist ein unglaubliches Gefühl", klang der Stolz beim Torjäger durch.

"Ich mag Pressing und wenn ich danach den Ball in die Tiefe gespielt bekomme. Das kommt mir sehr entgegen", schwärmte auch Gschweidl vom ÖFB-System, welches auch gegen Panama greifen soll: "Hoffentlich zeigen wir wieder so eine gute Leistung." Auch die FIFA notierte bei seinen Aussagen interessiert mit: Österreichs Nachwuchs wurde vom vermeintlichen Ghana-Schlachtopfer zum gefragten Gesprächspartner.

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Christian Tragschitz, weltfussball.at aus Wellington/Neuseeland

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