12.12.2014 09:22 Uhr

Simon Ollert: Hoffnungsträger mit Handicap

Der Stürmer der SpVgg Unterhaching ist der einzige gehörlose Fußballprofi in Deutschland. Bereits mehrfach kam der 17-Jährige in der 3. Liga zum Einsatz und gilt als Riesentalent. Auf und neben dem Platz ist er ein gelungenes Beispiel für die Inklusion gehandicapter Menschen.

Zu holen war für Unterhaching an diesem lauen Septemberabend nichts. Bereits nach einer knappen Stunde lag die Mannschaft von Trainer Christian Ziege im Heimspiel gegen das Topteam aus Bielefeld aussichtslos mit 1:3 zurück.

In der 72. Minute gab es aber doch noch Anlass zur Freude im Stadion am Sportpark: Simon Ollert kam als Einwechselspieler zu seinem Debüt in der ersten Mannschaft der Hachinger. Ein besonderer Tag für den A-Jugendlichen, der von Geburt an auf beiden Ohren taub ist.

Drei weitere Jokereinsätze später hat Ollert längst bewiesen, dass er in der dritthöchsten Spielklasse mithalten kann. Gegen Rot-Weiß Erfurt bereitete der Youngster jüngst den Treffer zum 4:2-Endstand vor – sein erster Scorerpunkt bei den "Großen". Seit ein paar Tagen ist Ollert nun auch offiziell Teil des Drittligateams. Anfang Dezember unterschrieb er einen Profivertrag, datiert bis Sommer 2017.

Mit viel harter Arbeit zum Traumberuf

Dieser Schritt bedeutet dem jungen Mann sehr viel. "Von klein auf wollte ich Profifußballer werden", erinnert sich Ollert im Interview mit der "Hamburger Morgenpost". "Das war mein größter Traum, an den ich immer geglaubt und für den ich hart gearbeitet habe." Schon als Kind kickte der kleine Simon in seiner Heimat Saulgrub im Landkreis Garmisch-Partenkirchen in jeder freien Minute auf dem Bolzplatz.

Nebenher forderte und förderte Ollerts Mutter ihren gehandicapten Sohn. Sie zeigte ihm Bildkarten und ließ ihn die darauf zu sehenden Begriffe nachsprechen, wieder und wieder. Dank dieses Trainings und moderner Hörgerätetechnik kann Ollert im Alltag annähernd problemlos mit seinen Mitmenschen kommunizieren. "Wenn es sehr laut ist, lese ich nur von den Lippen ab. In einem ruhigen Büroraum sind es etwa 70 Prozent, die ich höre und 30 Prozent, die ich Lippen lese. Gebärdensprache kann ich nicht", erklärt er.

"Raumdeuter" wie Vorbild Thomas Müller

Auf dem Platz beeinträchtigt Ollert seine Gehörlosigkeit ebenfalls kaum, auch wenn er nicht alle Anweisungen von der Seitenlinie mitbekommt. Die Verständigung mit den Mannschaftskameraden funktioniert weitgehend reibungslos. Nur bei starkem Regen muss er seine Hörgeräte herausnehmen und ist dann auf Zeichensprache angewiesen. Der Umgang mit den Schiedsrichtern ist unkompliziert: Ihnen erklärt Ollert vor dem Spiel, dass er nicht jeden Pfiff hören kann.

Auf seine fußballerischen Fähigkeiten wirkt sich der Umgang mit dem Handicap sogar positiv aus: Ollerts visuelle Wahrnehmung ist besser ausgeprägt als bei vielen Kollegen."Ich muss viel schauen", sagt er. "Dadurch bekomme ich automatisch mehr vom Spiel mit." Der Angreifer erkennt freie Räume blitzschnell. Seine Laufwege sind oft überraschend und ungewöhnlich. Die Spielweise des 17-Jährigen wird sogar schon mit der von "Raumdeuter" Thomas Müller – Ollerts großem Vorbild – verglichen.

Teil von Hachings Tafelsilber

Neben Teamkollegen wie den U20-Nationalspielern Michael Zetterer, Thomas Hagn und Pascal Köpke sowie dem 18-jährigen Dominik Wiedmann zählt der Hochbegabte zum Tafelsilber der Spielvereinigung. Der chronisch finanzschwache Klub ist auf Ablösesummen aus dem Verkauf von Talenten angewiesen. Kein Wunder, dass Hachings Vereinspräsident Manfred Schwabl in den höchsten Tönen über Ollert spricht: "Ich bin mir sicher, dass er uns auch in Zukunft noch viel Freude bereiten wird. Am meisten freut es mich, dass er sich trotz seiner Behinderung momentan so in den Vordergrund spielt."

Für den Start seiner Karriere und die ersten Gehversuche als Profi scheint Ollert in Unterhaching das ideale Umfeld gefunden zu haben. Und das, obwohl die Mannschaft in der 3. Liga momentan gegen den Abstieg kämpft. "Ich fühle mich sehr gut aufgehoben. Gerade genieße ich einfach nur den Moment", sagt der Jungspund, der dem Vernehmen nach in naher Zukunft auf seinen ersten Startelfeinsatz hoffen darf.

"Ich will zeigen, dass man etwas erreichen kann"

Auch abseits des Fußballgeschäftes ist Ollert ein Vorzeigebeispiel für gelungene Inklusion: Bereits mit 16 Jahren zog er in eine eigene Wohnung in München und wird in der bayerischen Landeshauptstadt übernächstes Jahr sein Abitur machen. Für die Trainingsfahrten ins 15 Kilometer entfernte Unterhaching wird er vom Unterricht freigestellt.

Als erster gehörloser Profi seit Stefan Markolf im Jahr 2008 (beim damaligen Zweitligisten 1. FSV Mainz 05) ist sich Ollert seiner gesellschaftlichen Verantwortung vollauf bewusst. Trotz seiner jungen Jahre sieht er sich selbst als Vorbild für andere gehandicapte Menschen. "Man sollte nicht sagen: Ich höre nichts, ich kann nichts, ich verkrieche mich", erzählt er dem "Münchner Merkur". "Ich will zeigen, dass man etwas erreichen kann – oder es zumindest versuchen sollte."

Tobias Knoop

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