29.03.2014 15:15 Uhr

Ukraine: Im Sumpf der Ungewissheit

Die ukrainische Liga hat in den letzten Jahren enorm an internationalem Ansehen gewonnen und sich zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz auf europäischer Bühne gemausert. In Zeiten von politischem Chaos und Krim-Krise gerät das Liga-Geschehen jedoch ins Wanken.

In den vergangenen Jahren hielt eine Gruppe von (einfluss)reichen Oligarchen Einzug im ukrainischen Oberhaus. Die milliardenschweren Wirtschaftsgiganten à la Rinat Achmetov (Donezk) und Grigori Surkis (Kiev) treiben fleißig die Kommerzialisierung des Fußballs voran und instrumentalisieren die Klubs zu Machtinstrumenten der Superreichen.

Das Herz der Oligarchen schlägt vor allem für talentierte Brasilianer – aus der Heimat verpflichten, in der Ukraine "großziehen" und dann für etliche Millionen an europäischen Top-Klubs verkaufen - so lautet der Businessplan der Klubchefs, um aus viel Geld noch mehr Geld zu machen. Vor allem Shakhtar Donetsk betreibt dieses Geschäft äußerst erfolgreich.

Der Fußball gerät ins Stocken

Doch der Zauber der Brasilianer könnte schon bald ein Ende gefunden haben, denn das politische Chaos in Kiew und die Krim-Krise machen auch vor dem Fußballgeschäft nicht halt. Die Ungewissheit, die in Volk und Politik herrscht, hat sich längst auf die Liga übertragen.

Obwohl seit dem 15. März wieder gespielt wird, nachdem der Rückrundenstart aufgrund der Unruhen um zwei Wochen verschoben worden war, kann niemand so richtig sagen, wie es weitergeht. Hauptverantwortliche für das anhaltende Wirrwarr sind die beiden Krim-Klubs Tavriya Simferopol und PFK Sevastopol, welche durchaus ernsthaft über einen Wechsel in die russische Liga nachdenken.

Chaos auf der Krim

Am ersten Spieltag der Rückrunde hätte Simferopol im Heimspiel gegen Dinamo Kiew antreten sollen. Doch die vorherrschenden Sicherheitsbedingungen auf der Krim ließen eine Austragung nicht zu, sodass in die Hauptstadt ausgewichen werden musste. Eine Woche später musste Tavriya dann auf seinen bulgarischen Trainer Nikolay Kostov verzichten, dem die Ausreise von der Krim untersagt wurde. Die Probleme des Klubs machen sich schnell bemerkbar.

Auch innerhalb des Vereins gibt es eine Menge Ungereimtheiten: Der Klub selbst spricht sich für einen Wechsel in den russischen Ligabetrieb zur kommenden Saison aus - im Gegensatz zu den Fans, allen voran den Ultras, die auf einen Verbleib in der Ukraine bestehen. Zu allem Überfluss wurde auch noch Präsident und Geldgeber Dmytro Firtasch wegen illegaler Geldmachenschaften festgenommen, weshalb der Klub vor der Pleite stehen soll und ausländische Kicker über einen Wechsel nachdenken: "Es ist ein guter Verein, aber die Situation ist schwierig. Wenn ich ein Angebot bekomme, werde ich den Klub natürlich verlassen", so einer der Legionäre, dessen Name nicht genannt wird, weil der Klub sich und seine Spieler zum Schweigen verdammt hat.

Ebenfalls deutlich spricht sich der Klubpräsident des Krim-Vereins PFK Sevastopol, Aleksandr Krasilnikov, für einen Wechsel in den russischen Verband aus. Ein Brief an FIFA und UEFA sei bereits verfasst, in dem er um die Genehmigung des Beitritts "zur russischen Fußballfamilie" bitte.

Flucht aus der Ukraine

Nicht nur die auf der Krim ansässigen Vereine haben mit den politischen Unruhen zu kämpfen, auch etlichen anderen Teams steht das Wasser bis zum Hals: Dem Europa-League-Teilnehmer Chernomorets Odessa etwa gehen die Spieler aus – fünf Vertragsauflösungen von ausländischen Spielern, darunter auch der Österreicher Markus Berger, musste der Klub bewilligen. Grund: Die Legionäre fühlten sich aufgrund der instabilen politischen Lage nicht mehr sicher im Land. "In den letzten Wochen hat sich die Situation in der Ukraine massiv verschlechtert. Auch der Spielbetrieb konnte nicht wie geplant laufen. Dazu dann noch die Zuspitzung an der Krim. Jeden Tag wurde es etwas schlimmer.", beurteilte Berger die Situation in der Ukraine gegenüber "transfermarkt".

In Kharkow hingegen sind es (noch) nicht die Spieler, die den Verein verlassen. Stattdessen suchte angeblich der Klub-Besitzer das Weite. Serhij Kurtschenko, Verbündeter von Ex-Präsident Janukowytsch, soll sich nach dessen Sturz ebenfalls nach Russland abgesetzt haben. Auch Frank Arnesen, der ehemalige Sportchef des Hamburger SV, verließ den Verein im März fluchtartig - nach nur einem Monat Dienstzeit. Kharkow soll mittlerweile das nötige Kleingeld fehlen, um Trainer und Spieler zu bezahlen.

FIFA und UEFA entscheiden

Letztendlich sind es FIFA und UEFA die gemeinsam über die Zukunft der Krim-Klubs entscheiden müssen. Jedoch bestehe momentan noch keine Notwendigkeit: "Für den Moment haben wir keine konkreten Anfragen bekommen. Wenn wir eine bekommen, prüfen wir sie und hoffen, dass wir eine Lösung finden, mit der alle Parteien leben können", stellte UEFA-Generalsekretär Gianni Infantino klar.

Wenn es jedoch zu offiziellen Anträgen der Klubs kommen sollte, würden FIFA und UEFA in einer Zwickmühle stecken: Einerseits könnte man es sich mit WM-Gastgeberland Russland (2018) und Präsident Putin verscherzen, wenn man dem Wechsel der Klubs nicht zustimmt. Andererseits läuft man Gefahr, der Annexion der Krim einen Hauch Anerkennung zu verleihen, falls man den Wechsel Simferopols und Sevastopols in den russischen Verband zustimmt. Eine Vermischung von Sport und Politik zu vermeiden erscheint schier unmöglich.

Sollten FIFA und UEFA zustimmen, ist der Wechsel zwischen zwei Verbänden laut FIFA-Regularien nur dann möglich, wenn sowohl der vorherige Verband als auch der aufnehmende Verband damit einverstanden sind. Der russische Verband hat kundgetan, dass er bereit ist, die Krim-Klubs aufzunehmen. Die Ukraine hingegen wird nach der Krim nicht auch noch ihre Fußballvereine an Russland verlieren wollen und sich querstellen. Ein Ende der Ungewissheit ist nicht in Sicht.

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Leon Heese

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