27.01.2021 16:10 Uhr

Thomas Tuchel: Viel Erfolg, wenig Liebe

Thomas Tuchel ist neuer Teammanager des FC Chelsea
Thomas Tuchel ist neuer Teammanager des FC Chelsea

Thomas Tuchel steht oft im Schatten von Kult-Trainer Jürgen Klopp. Der neue Teammanager des FC Chelsea gilt als volksferner Taktikfuchs, der oft Ärger mit der Klubführung hat. Dabei ist der 47-Jährige mindestens der zweitbeste deutsche Trainer.

Nun ist er also angekommen. Thomas Tuchel, einer der weltbesten Trainer, steht endlich auch in einer der besten Ligen der Welt an der Seitenlinie. Der FC Chelsea will mit dem vor einem Monat bei Paris Saint-Germain entlassenen Coach die sportliche Wende einläuten.

Trotz der attraktiven Spielweise seiner bisherigen Teams und handfester Erfolge fliegt Tuchel dennoch meist etwas unter dem Radar. Quintuple-Gewinner Hansi Flick und vor allem sein doppelter Vorgänger Klopp schweben über ihm.

Tuchel ein Menschenfänger? Eher nicht

Er hat kein Zahnpasta-Lächeln oder unzählige Werbedeals wie Klopp, aber an er Seitenlinie kann er es mit dem Liverpool-Coach aufnehmen. Tuchel ist kein Menschenfänger, aber ein richtig guter Trainer.

Von außen betrachtet wirkt es so, als folge er dem Fixstern und Übervater Klopp. Die beiden verbindet vieles. Sowohl Tuchel als auch Klopp spielten nie im Oberhaus, beide ackerten mal mehr mal weniger erfolgreich in der 2. Liga oder darunter. Sie arbeiteten sich als Trainer mit Akribie und Hang nach Perfektion nach oben. Von Mainz in die weite Fußballwelt.

Der eine Schwabe (Tuchel) folgte dem anderen (Klopp) bei mehreren Stationen. Ein Jahr nach dem Abgang der Mainz-Legende Klopp übernahm auch Tuchel den notorischen Underdog aus Rheinhessen.

Später schlüpfte er ihn die übergroßen Klopp-Schuhe bei Borussia Dortmund. Nun, fünf Jahre nach der Kloppo-Ankunft im Mutterland des Fußballs, ist auch Tuchel auf der Insel angekommen.

Rangnick förderte Tuchel

Die Trainer-Anfänge gehen auf Tuchels Tage in Stuttgart zurück. Sein ehemaliger Ulm-Coach Ralf Rangnick lotste ihn Anfang der 2000er als C-Jugend-Trainer an den Neckar. Eigentlich wollte der junge Tuchel nochmal auf dem Platz durchstarten, doch Verletzungen machten ihm einen Strich durch die Rechnung. Sein begonnenes BWL-Studium finanzierte er auch mit einem Job in einer Stuttgarter Szenebar.

Von Rangnick und den Jugendtrainern Hansi Kleitsch und Hermann Badstuber (Vater von Ex-Nationalspieler Holger Badstuber) wurde er mit der damaligen Stuttgarter Schule, einer offensiv ausgerichteten Spielweise, geimpft. Rangnick brachte ihm ballorientierte Raumdeckung und laufintensiven Fußball bei. Schon damals war Tuchel ein Fußball-Besessener.

Kleitsch, an dessen Seite Tuchel die U19 trainierte, sagte in der Tuchel-Biografie: "Immer, wenn der im Training mitgespielt hat, gab es Streit." Tuchel war schon damals kein Ja-Sager, aber einer mit Auge fürs Detail. "Er hatte einen Röntgenblick, er konnte einen Gegner sezieren", so Kleitsch.

Über die Station FC Augsburg landete Tuchel schließlich in Mainz. Kurz nachdem er die A-Jugend zum Meistertitel geführt hatte, beförderte ihn Manager Christian Heidel zum Trainer der Profimannschaft für den in Ungnade gefallenen Aufstiegscoach Jörn Andersen.

Unglückliche Abgänge in Mainz und Dortmund

Wer sich den in Fußballkreisen legendären Vortrag aus Tuchels Mainzer Zeit anhört, kann sich ungefähr vorstellen, mit welcher Energie er den Klub umkrempelte. Mit Leidenschaft erklärte er dort unter anderem, wie er seiner Mannschaft Essmanieren vor Spielen beibrachte.

Den Aufsteiger führte er mit offensivem Spiel in ruhiges Gewässer. Ein Jahr später legte sein Team um die "Bruchweg Boys" (Lewis Holtby, André Schürrle, Adam Szalai) einen Startrekord von sieben Siegen in Serie hin, auch der FC Bayern musste mit 2:1 dran glauben. Taktische Kniffe gab's - klar -, aber mitunter auch einfach volle Ladung Energie mit dem Al-Pacino-Klassiker "Any given Sunday" als Motivationsspritze vor dem Spiel gegen den Rekordmeister.

Mainz etablierte sich in der Liga, sein Abschied 2014 überraschte allerdings die Klub-Führung, so richtig zufrieden mit dem Ende waren weder Trainer noch der Verein. Ein Vorgeschmack auf die Zukunft.

Tuchel verabschiedete sich ins "Sabbatical", wie eine Pause heutzutage heißt, sagte dem Hamburger SV und RB Leipzig ab. Legendär ist das kolportierte Treffen mit Pep Guardiola zu jener Zeit. Mit Salz- und Pfefferstreuern sollen die beiden Masterminds auf Taktikwolke sieben philosophiert haben. Zwei Fußball-Freaks unter sich.

Mit Pep duellierte er sich nicht nur am Esstisch, sondern auch auf dem Platz im Rasenschach gegen den FC Bayern. Tuchel, das geht oft unter, ist bis heute der BVB-Trainer mit dem besten Punkteschnitt (2,12). In dieser Hinsicht übertrumpfte er Klopp (1,90).

Die ganz große Euphorie am Borsigplatz blieb er aber schuldig. Die 78 Punkte 2016 sind bis heute die höchste Anzahl für einen Vizemeister. Ein Jahr später rutschte der BVB auf Rang drei, holte allerdings in Berlin den Pokal. Bis heute der letzte relevante Titel, den der BVB gewann. Doch drei Tage später war Schluss. Tuchel hatte sich unter anderem mit der Scoutingabteilung gezofft und der Klubführung um Hans-Joachim Watzke überworfen. Auch wegen der schnellen Neuansetzung des CL-Spiels gegen AS Monaco nach dem Attentat auf die BVB-Mannschaft im Teambus.

Star-Dompteur in Paris

Vom eher bodenständigen Ruhrgebiet ging's in die Glamour-Welt von PSG. Champagner statt Currywurst. In der Stadt der Liebe war Tuchel als Dompteur des Star-Zirkus' gefragt, mit dem Ziel, Neymar und Kylian Mbappé genügend Freiräume zu gewähren, ohne die Kontrolle zu verlieren.

Zwei Meistertitel, ein Pokalsieg und das Champions-League-Finale standen für Tuchel unter dem Strich. Erstmals überhaupt packte PSG den Sprung ins Finale der Königsklasse. Trotzdem zu wenig für den mit Katar-Geld aufgepäppelten Klub.

Da half es auch nichts, dass Paris unter dem Deutschen den höchsten Torschnitt der Vereinsgeschichte auflegte (2,67). Schlussendlich standen zwischen Tuchel und dem ganz großen Triumph wie schon beim BVB vor allem die Giganten des FC Bayern.

Nun also der FC Chelsea. Im Team schlummern viele Talente, unter anderem die deutschen Kicker Kai Havertz und Timo Werner, die bislang noch im Winterschlaf sind, beide stecken in einer Formkrise. Antonio Rüdiger spielte zuletzt sogar gar keine Rolle bei den Blues.

Marina Granovskaia ist Tuchels neue Chefin

Chelsea, das bei den bisherigen Meistertiteln vor allem als Defensivbollwerk auftrat, wird von Tuchel wohl eine offensivere Ausrichtung eingehaucht bekommen. Viel spricht dafür, dass Tuchel mit der "Iron Lady" Marina Granovskaia, der Sportdirektorin des Klubs, auf einer Linie sein muss.

Zuletzt machte Granovskaia mit Vereinslegende Frank Lampard, der bei vielen Fans Kultstatus genießt, nach ausbleibendem Erfolg kurzen Prozess. Schon bei PSG wurde Tuchel Ärger mit Sportdirektor Leonardo wegen Transfers nachgesagt.

Unmöglich scheint die Kombination aber nicht. Vieles spricht dafür, dass Tuchel mit Chelsea eine erfolgreiche Ära einläuten kann. Klopp wird die neue Konkurrenz aus der alten Heimat sicher gefallen. Guardiola sowieso. Im Beliebtheitsduell hat Tuchel keine Chance, aber entscheidend ist dann immer noch aufm Platz.

Tuchel ist kein neuer Klopp, er ist der erste Thomas Tuchel.

Emmanuel Schneider

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