26.02.2020 16:39 Uhr

Der lange Schatten von CR7: Warum Real nicht mehr sexy ist

Toni Kroos steckt mit Real Madrid in einer Identitätskrise
Toni Kroos steckt mit Real Madrid in einer Identitätskrise

Obwohl Real Madrid im Rennen um Meisterschaft und Champions-League-Titel aussichtsreich unterwegs ist, herrscht bei den Königlichen gedrückte Stimmung. Mehr noch: Vor dem richtungsweisenden Achtelfinal-Duell mit Manchester City (ab 21 Uhr im LIVE-Ticker) steckt der erfolgsverwöhnte Klub in einer Identitätskrise. Die Gründe dafür sind vielschichtig.

  • Real-Problem Nr. 1: Der Erfolgshunger ist kleiner geworden

Zwischen 2014 und 2018 holte Real Madrid vier von fünf möglichen Champions-League-Titeln. Nur 2015 durchbrach der Erzrivale FC Barcelona die Herrschaft der Blancos.

Unglaublich: Gleich zehn Spieler, die bei allen vier Königsklassen-Triumphen dabei waren, sind immer noch Teil der Mannschaft. Hinzu kommt Deutschlands Top-Star Toni Kroos, der immerhin drei Mal als Real-Profi den Gewinn des Henkelpotts bejubeln durfte.

Die Schattenseite der jahrelangen madrilenischen Dominanz auf internationaler Ebene ist der spürbar kleiner gewordene Erfolgshunger vieler Akteure. Wer will es ihnen verdenken?

Sergio Ramos, Marcelo, Luka Modric und Co. haben alles gewonnen, was man gewinnen kann. Unerreichte Karriereziele lassen sich da kaum noch finden.

Nun steht die Qualität der Routinier-Riege gewiss völlig außer Frage. Bis heute bildet sie das Herzstück des Teams, von ihrer Erfahrung können die zahlreichen Talente profitieren. Bloß strahlen die Seriensieger immer weniger Enthusiasmus aus.

  • Real-Problem Nr. 2: Viele Neuzugänge zünden nicht

Wahnwitzige 333 Millionen Euro haben die Real-Bosse um den mächtigen Präsidenten Florentino Pérez innerhalb des letzten Jahres locker gemacht, um den Kader gezielt zu verstärken. Im Vordergrund stand die Fortführung des zuvor bereits eingeleiteten Verjüngungsprozesses.

Königstransfer und einziger Neuzugang über 26 war Eden Hazard vom FC Chelsea, dessen ewiger Traum von Madrid für 100 Millionen Euro verwirklicht wurde.

Zudem kamen Eintracht Frankfurts Goalgetter Luka Jovic (60 Mio. Euro), Innenverteidiger Éder Militao vom FC Porto (50 Mio.), Lyons Ferland Mendy (48 Mio.) sowie die brasilianischen Teenager Rodrygo und Reinier (45 bzw. 30 Mio.).

Selbst für Real-Verhältnisse sind die Ausgaben der vergangenen Monate kein Pappenstiel. Umso ernüchternder, dass keiner der Neuen bislang einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat.

Während Hazard mit Verletzungsproblemen und dem dadurch fehlenden Rhythmus zu kämpfen hat, scheinen die übrigen Transfers schlicht (noch) nicht reif für die Aufgabe beim spanischen Rekordmeister.

Stammspieler ist keiner, einige Akteure wurden gar zur zweiten Mannschaft abgeschoben. So ist vom erhofften frischen Wind im Team absolut nichts zu spüren.


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  • Real-Problem Nr. 3: Der Schatten von CR7 ist riesig

Durch den Verkauf von Weltstar Cristiano Ronaldo an Juventus Turin im Sommer 2018 hat Real Madrid offenkundig ein Stück seiner Identität verloren. Fakt ist: Ohne den portugiesischen Titelsammler wirken die Königlichen weit weniger sexy.

CR7 war Torjäger, Anführer und Imageträger in Personalunion. Nach seinem Abgang sollten die Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt werden.

Immerhin ein Spieler profitierte tatsächlich von Ronaldos Wechsel: Den vakanten Platz im Angriff übernahm der zwischenzeitlich schon abgeschriebene Karim Benzema, der seither wieder zuverlässig trifft.

Dennoch wird CR7 rund ums Estadio Santiago Bernabéu bis zum heutigen Tage schmerzlich vermisst. Sein Charisma, von vielen als positive Arroganz bezeichnet, hatte stets auf Teamkollegen abgefärbt und Reals Selbstverständnis neun Jahre lang geprägt.

Wie folgenreich der Verlust des Aushängeschildes sein würde, haben die Verantwortlichen von Real Madrid augenscheinlich unterschätzt. Ronaldos langen Schatten werden die Blancos einfach nicht los.

  • Real-Problem Nr. 4: Nebenkriegsschauplätze bringen Unruhe

Bei Real gehören Nebenkriegsschauplätze seit jeher zum Alltag. Wer Stars will, muss ihre Allüren ertragen. Keiner weiß das besser als Trainer Zinédine Zidane, der seinerseits nicht als einfacher Charakter gilt.

Richtig ärgerlich wird's allerdings, wenn hochbezahlte Spieler wie Gareth Bale häufiger neben als auf dem Platz für Schlagzeilen sorgen.

Im November provozierte der wechselwillige Waliser, als er nach erfolgreicher EM-Qualifikation eine Fahne mit der Aufschrift "Wales. Golf. Madrid. In dieser Reihenfolge" über den Rasen trug.

Anfang Februar verließ er das Stadion frühzeitig, während seine Mitspieler im Pokal-Viertelfinale gegen Real Sociedad noch ums Weiterkommen kämpften (Endstand: 3:4). Identitätsstiftend ist das nicht.


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Doch nicht nur Bale schert aus: Erst kürzlich leistete sich Youngster Rodrygo einen fatalen Fehltritt, als er im Anschluss an einen Treffer für die zweite Mannschaft provokant jubelte und dafür Gelb-Rot kassierte.

Der Zeitpunkt für die Sperre ist denkbar ungünstig, schließlich müssen die Königlichen erneut länger auf Eden Hazard verzichten. Im anstehenden Clásico gegen den FC Barcelona wird der ursprünglich als Ersatz eingeplante Rodrygo nun nicht mitwirken können.

Für Real ist die Situation riskant: Solange der eine oder andere Star sein Ego nicht im Griff hat, ist es kaum möglich, eine harmonische, zukunftsfähige Einheit zu formen. Rückschläge wie die jüngste Pleite bei UD Levante werden so keine Ausnahme bleiben und die sportlichen Ziele der Königlichen extrem gefährden - auch über die Saison hinaus.

Heiko Lütkehus

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