22.02.2020 10:18 Uhr

"Die Null muss stehen": Wagners Schalke im Dogma gefangen

David Wagner (l.) an der Seite von FC-Schalke-Kult-Coach Huub Stevens
David Wagner (l.) an der Seite von FC-Schalke-Kult-Coach Huub Stevens

Nachdem die Vorsaison beim FC Schalke 04 im Zeichen des Abstiegskampfs stand, sorgte im Sommer der neue Trainer David Wagner für frischen Wind - und eine starke Hinrunde. Nach dem durchwachsenen Rückrundenstart ist auf Schalke allerdings Ernüchterung eingekehrt. Vor allem ein ewiges Dogma lähmt die Knappen.

Nachdem Schalke in der Hinrunde zeitweise sogar an der Tabellenführung schnupperte und die erste Halbserie letztlich immerhin auf Rang fünf beendete, herrschte blendende Stimmung unter den königsblauen Weihnachtsbäumen.

"So kann es weitergehen", sagte David Wagner bezogen auf die Darbietungen seiner Mannschaft im ersten halben Jahr unter seiner Regie. "Überragend", lautete das Hinrunden-Fazit von Sportvorstand Jochen Schneider.

Doch so überraschend der Höhenflug kam, so plötzlich verflog der Zauber mit dem Jahreswechsel wieder. An den ersten fünf Rückrunden-Spieltagen bejubelten die Schalker gerade einmal drei Treffer - nur Werder traf 2020 seltener. Diese miserable Ausbeute wird beim Blick auf die Tendenz der Ergebnisse erst recht besorgniserregend: Dem vielumjubelten 2:0-Erfolg über Borussia Mönchengladbach am 18. Spieltag folgten reihenweise Tiefschläge - und bis dato kein einziger dreifacher Punktgewinn mehr.

Die Gründe für Schalkes Offensiv-Flaute sind vielfältig: Mit Suat Serdar fehlte der Top-Torschütze (7 Treffer) zuletzt verletzt. Die Nummer zwei der hausinternen Torjägerliste, Amine Harit, sucht vergeblich nach der Galaform der Hinrunde. Und Benito Raman, mit vier Treffern der erfolgreichste nominelle Stürmer im Kader der Knappen, wartet seit Mitte Dezember auf einen Treffer in der Liga.

Der FC Schalke 04 "verkraftet" die Ausfälle nicht

Im Gespräch mit "schalke04.de" erklärte auch Sascha Riether, Schalkes Koordinator der Lizenzspielerabteilung, den Formknick mit einem Verweis auf die Verletztenliste. Die Mannschaft gebe "genauso Gas" wie in der Hinrunde, so Riether, die vielen Ausfälle seien jedoch problematisch. 

"Wir verkraften es nicht einfach so, wenn solche Spieler fehlen", stellte der Ex-Spieler etwa im Hinblick auf Serdars Fehlen fest. Das ist nicht von der Hand zu weisen, kann die Schalker Probleme aber nur vordergründig überdecken.

Denn auch die Führungsebene der Königsblauen muss sich hinterfragen lassen. So überzeugend das tabellarische Ergebnis der Hinrunde auch war, so offensichtlich war auch damals schon die Schwäche der Abteilung Attacke.

Beispiel gefällig? Fünf der 29 Hinrunden-Tore gingen auf das Konto der Innenverteidiger Ozan Kabak und Salif Sané. Die gesamte Sturmreihe kam lediglich auf sieben Treffer.

Nachgerüstet wurde im Winter allerdings nur zurückhaltend: mit der Leihe von Michael Gregoritsch vom FC Augsburg.

Eine eingebaute Torgarantie hat der Österreicher, der in seiner Profi-Karriere im Schnitt nur in jedem fünften Ligaspiel traf, allerdings nicht. Seine ersten Wochen auf Schalke liefen enttäuschend. Dass mit Eigengewächs Ahmed Kutucu der mit Abstand effektivste Angreifer (3 Tore in 280 Ligaminuten) unter Wagner meist ein Bankdasein fristet, gibt vielen im Schalker Umfeld immer größere Rätsel auf.

Wie schwer wiegt das Stevens-Erbe?

Neu sind diese Probleme auf Schalke nicht. Und dass dem Ruhrpott-Klub die Abkehr vom eher nüchternden Ergebnis-Fußball schwerfällt, ist kein Wunder.

Seit Jahrhundert-Trainer Huub Stevens ist das Dogma "Die Null muss stehen" tief in den Vereinsgenen verankert. Schließlich bescherte die Zeit unter Stevens mit dem Gewinn des UEFA-Pokals 1997 und des Doppel-Triumphs im DFB-Pokal 2001 und 2002 den Schalker Anhängern die schönsten Momente der neueren Vereinsgeschichte.

Stevens' Art Fußball zu spielen lässt sich mittlerweile allerdings kaum noch mit der nicht geringen Erwartunsghaltung auf Schalke vereinbaren. Der Niederländer übernahm 1996 einen schlafenden Riesen, der sich gerade erst wieder im deutschen Oberhaus etabliert hatte und sah sich mit überschaubaren Ansprüchen konfrontiert. Rückschläge, wie sie Stevens damals zugestanden wurden, passen nach Jahren als Dauergast in der Champions League mittlerweile schlicht nicht mehr ins Selbstverständnis.

Das jüngste Beispiel für diese Entwicklung lieferte Domenico Tedesco. Der Trainer-Newcomer führte Schalke 2017/18 überraschend  zur Vizemeisterschaft und ins Pokal-Halbfinale. Sein Rezept: Ergebnisfußball mit starker Betonung auf die Defensive, in Stevens' Sinne.

In der zweiten Saison konnte Schalke unter dem neuen Superstar der Trainer-Szene dann immer weniger knappe Spiele für sich entscheiden. Tedesco musste seinen Hut nehmen, ausgerechnet Stevens bewahrte Schalke vor dem Abstieg - ein Schicksal, das Wagner Warnung sein sollte.

Bezeichnend: Der beruft sich in der aktuell angespannten Situation auf alte Schalker Tugenden. "Wenn du Spiele nicht gewinnen kannst, dann musst du zusehen, dass du sie nicht verlierst", sagte der Coach nach dem enttäuschenden 0:0 gegen Mainz.

Riether ergänzte: "Keiner hat damit gerechnet, dass wir solch eine Hinrunde spielen. Jetzt erwarten alle wieder mehr, aber wir sind immer am Maximum gewesen. Du fährst nicht zu Union Berlin und sagst: Die hauen wir 3:0 weg. Du fährst nicht nach Freiburg und sagst: Hier gewinnen wir klar."

Er verfehlte damit allerdings den eigentlichen Punkt. Mit knappen Arbeitssiegen gegen die Außenseiter könnte in Gelsenkirchen wohl jeder gut leben. Was aber passiert, wenn es auch in den kommenden Wochen häufig knapp nicht zum Erfolg reicht?

Marc Affeldt

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