14.10.2018 13:59 Uhr

Angeschlagener Löw flüchtet sich in Galgenhumor

Joachim Löw steht nach der Niederlage gegen die Niederlande unter Druck
Joachim Löw steht nach der Niederlage gegen die Niederlande unter Druck

Abgesang in Amsterdam: Nach dem historischen Debakel in der Nations League bei Erzrivale Niederlande nehmen die Debatten um den Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft Joachim Löw wieder an Fahrt auf.

Angeschlagen, verunsichert, ratlos: Nach einem seiner vielleicht letzten Spiele als Bundestrainer hatte Joachim Löw auch am Sonntag beim Auslaufen auf dem Ajax-Gelände noch keine Antwort auf den Abgesang von Amsterdam.

Der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und ihrem ohnmächtigen Chef drohen nach der historischen 0:3-Pleite in den Niederlanden nur wenige Monate nach dem WM-Desaster mit dem Abstieg aus der Nations League ein weiterer schwerer Imageschaden.

Mehr noch: Vor dem entscheidenden Duell bei Weltmeister Frankreich in Paris am Dienstag (20:45 Uhr) ist sogar eine vorzeitige Trennung in der Stadt der Liebe nicht mehr undenkbar.

"Wir stehen alle in der Verantwortung, ich als Trainer zuallererst", sagte Löw. Dass die Debatte um ihn nach der höchsten Niederlage gegen Oranje an Fahrt aufnehme, sei "normal, ich habe auch Verständnis dafür", ergänzte er. Doch Löw will "ausblenden, was auf uns einprasselt, ich muss mich um die Mannschaft kümmern".

Löw scherzt auf Pressekonferenz über eigene Zukunft

Kann, ja soll und darf er dies noch? Als Löw in der Johan-Cruyff-Arena von einem niederländischen Journalisten gefragt wurde, ob dies eines seiner letzten Länderspiele gewesen sein könnte, glaubte er offensichtlich, sich verhört zu haben. "Für mich, oder was?", sagte er, "da müssen wir schnell tauschen hier, da bin ich der falsche Ansprechpartner."

Hilfe suchend blickte er zu Pressesprecher Jens Grittner, fragte: "Haben wir die Frage richtig verstanden?" Dann räumte er jedoch ein, "im Moment" sei die Zukunftsfrage nicht seine alleinige Entscheidung.

Was das bedeuten sollte? "Das war ein Spaß", sagte Löw im Gehen dem Reporter der "Bild-Zeitung". Ja, richtig: Löw macht in der schwierigsten Phase seiner über zwölfjährigen Amtszeit Witze über seine prekäre Lage.

Bundestrainerdämmerung in Amsterdam

Reinhard Grindel vermied ein klares Bekenntnis zu seinem leitenden Angestellten. Die Konzentration gelte Frankreich und dem Rückspiel gegen die Niederlande im November, sagte der DFB-Präsident. Die Zukunft von Löw nach einem Abstieg in der Nations League wird von der DFB-Spitze diskutiert, Grindel aber betonte, es sei nun "umso wichtiger, als ein Team zusammenzustehen".

Dabei wehte ein Hauch von Bundestrainerdämmerung durch die Arena in Amsterdam. Der schleichende Verfall von Coach Löw und seinen abgehalfterten Weltmeistern scheint nicht mehr aufzuhalten.

Die desaströse WM war kein Betriebsunfall, wie Löw der Fußball-Republik in seiner Analyse weismachen wollte. Die DFB-Elf ist nach Jahren im Erfolgsrausch mit angebrachten Jubelarien auf Löw endgültig im Mittelmaß angekommen.

Sollte sie am Dienstag verlieren, wäre der Abstieg nicht mehr aus eigener Kraft zu verhindern - und Löw trotz Vertrages bis 2022 kaum zu halten. "Jetzt müssen wir zeigen, dass wir den Charakter haben, das zu verhindern", sagte Löw nach seiner höchsten Niederlage im 168. Spiel, die er als "sehr brutal" erlebte.

Führungsspieler enttäuschen gegen die Niederlande

Für das Team hat die Frage nach der Zukunft des Bundestrainers indes derzeit keine Relevanz. "Ich mache da kein Thema draus, das ist es für uns überhaupt nicht", sagte Kapitän Manuel Neuer, der die Niederlage mit seinem Fehler vor dem 0:1 von Virgil van Dijk (30.) eingeleitet hatte.

"Wir versuchen, geschlossen aufzutreten und zusammen aus dieser negativen Phase rauszukommen." Julian Draxler, Wortführer der jüngeren Generation, meinte: "Ich glaube nach wie vor, dass er ein sensationeller Trainer ist."

Doch Löw bekommt die schon beim WM-Debakel eklatanten Probleme wie Konter-Anfälligkeit und Offensivschwäche nicht in den Griff. Auch, weil er weiter auf seine abgewirtschaftete Achse um die Weltmeister von 2014 baut.

Die jungen Spieler wie Draxler, Leroy Sané oder Julian Brandt hätten "noch nicht die ganz große Qualität, um an ihrem Zenit zu sein, wir dürfen von ihnen keine Wunderdinge erwarten", sagte er. Manche der Erfahrenen seien "noch wertvoll und haben Qualität", betonte Löw.

Doch auch Löw war aufgefallen, dass weder Jérôme Boateng oder Mats Hummels, noch Toni Kroos in der Schlussphase bei den Treffern von Memphis Depay (87.) und Georginio Wijnaldum (90.+3) ihrem Führungsanspruch gerecht wurden. "Da müssen die Spieler Verantwortung übernehmen und nicht vogelwild irgendwo rumlaufen", schimpfte er. Neuer gab zu: "Das war ein bisschen Harakiri."

DFB-Team zwischen Schönfärberei und offener Kritik

Dass gestandene Nationalspieler wie Hummels die Erniedrigung durch eine Mannschaft schönredeten, die bei den letzten beiden Turnieren Zuschauer war, erschreckte. "Es hilft uns nicht, im Negativen rumzudümpeln", sagte Neuer, "wir müssen unser Bestes geben - jeder Einzelne und als Mannschaft geschlossen in Paris."

Doch es gab auch kritischere Stimmen - von den Jüngeren. "Schönreden bringt jetzt nichts mehr", sagte Joshua Kimmich, der einzige echte Lichtblick an einem rabenschwarzen Abend: "Es ist auch nicht so, dass das irgendwie Zufall ist. Immer Pech ist kein Zufall, irgendwas steckt dahinter."

Nur was? "Es geht mir alles zu langsam, es ist zu berechenbar. Es passiert viel zu wenig. Es fehlt Risikobereitschaft. Wir spielen den Ball immer hin und her bis wir einen Konter kassieren. So können wir nicht weitermachen", sagte Draxler. Sätze, die von Löw hätten kommen müssen.

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