08.07.2018 10:29 Uhr

Keine Hexenjagd: Brasilien schützt Neymar

Neymar (r.) verlor mit Brasilien gegen Belgien im Viertelfinale
Neymar (r.) verlor mit Brasilien gegen Belgien im Viertelfinale

Bleibt Tite? Wer sind die neuen Gesichter? Und vor allem: Checkt es Neymar endlich? Nach der WM ist für Brasilien auch ein Jahr vor der Copa América daheim.

Es war Samstagabend in Russland, unbegreifliche 19 Stunden nach dem bitteren Abtritt von der WM-Bühne, als Brasiliens Fußball-Superstar Neymar sich endlich zu Wort meldete. Nach einem Schweigemarsch durch die Interview-Zone der Weltpresse schrieb er bei Instagram in kargen 110 Worten über seinen Schmerz beim "traurigsten Moment meiner Karriere", bekam dafür aberwitzig 4,4 Millionen mal den "Gefällt mir"-Button gedrückt. Und merkwürdigerweise nur karge 140 Kommentare.

So wie Belgien beim 2:1 im WM-Viertelfinale am Freitag in Kasan dem Selecao-Star einen Riegel vorschob, filtert der 26-Jährige, im Gegensatz zu einem Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo, seit knapp vier Monaten, wer reagieren darf. Keine negativen Meinungen in sozialen Netzwerken sehen, keine kritische Presse anhören, besser nichts sagen: Nicht nur mit seiner Fallkunst auf dem Platz kam Neymar bei der WM affig rüber. Und er schottet sich ab. Außer vor seinen über 99 Millionen Social-Media-Abonnenten.

Neymar steht immer im Fokus

"Es ist nicht leicht, Neymar zu sein", mutmaßte Selecao-Koordinator Edu Gaspar, einzig hörbare Stimme am Tag danach, und rechtfertigte die Mätzchen eines Multimillionärs: "Wenn Neymar lächelt, wird er kritisiert oder gelobt. Wenn er weint, wird er kritisiert oder gelobt. Wenn er kein Interview gibt, wird er kritisiert oder gelobt." Wenn es schon egal ist, was er macht, dann sollte er aber, bitte schön, reden.

Trotz des spaltenden Neymars löste der vierte vergebliche Anlauf auf den "Hexa", den sechsten Titel, keine Hexenjagd aus. Selbst der anfangs teils rassistische Shitstorm im Instagram gegen Unglücksrabe Fernandinho, der beim Führungstor der Roten Teufel den Ball ins eigene Tor lenkte, schlug schnell in moralische Unterstützung um. Die sonst übliche Besserwisserei der Altstars endete gar unisono im Fazit: Die Selecao fiel aufrecht, Nationaltrainer Tite hat nicht versagt.

Noch vor dem Abflug in alle Himmelsrichtungen - neben Neymar reisten nur sechs Spieler bis nach Rio de Janeiro durch - bot der designierte Verbandspräsident Rogerio Caboclo, der satzungsgemäß im kommenden April die CBF übernehmen wird, als Delegationsleiter in Russland Tite eine Vertragsverlängerung bis Katar 2022 an. "Ich werde absolut nichts zu meiner Zukunft sagen", verkündete Tite aber vorerst.

Ronaldo: Tite verrichtet "sensationelle Arbeit"

20 Siege in 26 Spielen unter seiner Regie mit vier Unentschieden und nur zwei Niederlagen sprechen für den 57-Jährigen. Zuletzt durfte vor einer Ewigkeit von 40 Jahren (Claudio Coutinho 1978) ein Coach nach einem WM-Fiasko weitermachen. Zwei WM-Turniere in Folge, das schafften lediglich die Trainer-Legenden Mario Zagallo (1970, 1974) und Tele Santana (1982, 1986), Letztgenannter aber mit einer Denkpause dazwischen.

"Er ist ein Supertyp und verrichtet eine sensationelle Arbeit, die er aber fortsetzen muss", erklärte Idol Ronaldo und forderte zugleich: "Seine Arbeit muss auf die Junioren-Nationalmannschaften ausgeweitet werden."

Auch wenn der stets souverän herüberkommende Heilsbringer bei seinem WM-Debüt in Russland Fehler begangen hat. Der fehlende Mut zu Personalwechseln, sei es wegen Verletzungen oder Formschwäche. Die hohe Fehlerquote bei Standardsituationen. Das wird ihm am Zuckerhut mit viel "Wenn" und wenig "Aber" angekreidet.

An Talenten mangelt es nicht

In exakt einem Jahr findet in Brasilien die Südamerika-Meisterschaft statt. Der Triumph ist Pflicht, für den Umbau bleibt wenig Zeit. Und wird bis Katar auch wohl nur der überalteten Verteidigung ein neues Gesicht geben.

Die Optionen für die Abteilung Attacke sind vielversprechender. Real Madrid angelte sich für 45 Millionen Euro Vinicius Junior (17) von CR Flamengo. Die gleiche Summe für den gleichaltrigen Rodrygo (17) aus der Talentschmiede blättern die Königlichen auch für den FC Santos hin. In den Radar rückt wird auch Leverkusens 17 Jahre alter Neuzugang Paulinho (Vasco da Gama). An Talenten hat es Brasilien nie gefehlt.

Zum Schluss noch einmal Neymar. "Sie haben unseren Traum unterbrochen, ihn aber nicht aus unseren Köpfen oder unseren Herzen verdrängt", schrieb der Offensivmann von Paris St. Germain bei Instagram. Und hat nun vier Jahre Zeit, sein Image eines Fallsüchtigen und Medien-Rebells aufzupolieren.

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